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durch die Straßen der Stadt nach dem Festplatz entfaltete, läßt sich kaum mit Worten malen. Wahrlich war es nicht nur die glänzende Außenseite, das Imposante und Massenhafte desselben, was einen gewaltigen Eindruck auf die hingerissenen Zuschauer machte, sondern vor Allem der in jedem Einzelnen zu vollem Leben erwachte Gedanke, daß hier eine große und zu großen Zwecken berufene Nation unter einem weithin leuchtenden Banner in Einigkeit und Liebe zu gemeinsamem Thun und endlich vergessend des kleinlichen Haders, der die Zusammengehörigen so lange getrennt, sich zusammengeschaart habe, um den heiligen Schwur der Treue an das gemeinsame Vaterland abzulegen. Diesem Gedanken galt der unendliche Jubel, der von den Straßen und aus den Häusern dem Zuge entgegenbrauste, dieser Gedanke hatte die sonst sehr zurückhaltende und nach Ständen gegliederte Frankfurter Bevölkerung in eine enthusiasmirte, jauchzende Gemeinschaft umgewandelt. Jeder fühlte, daß es sich hier nicht um einen gewöhnlichen festlichen Aufzug, sondern um einen Triumphzug deutschen Geistes, deutscher Kraft und deutscher Würde handle.

Diesem Gedanken entsprach auch die äußere Form des Zuges. Sie war würdig, sinnig und – dem deutschen Wesen entsprechend – die strenge Wirklichkeit mit der Kunst und der heitern Poesie verwebend, das Reelle mit dem Ideellen versöhnend.

Es lag seinem decorativen Theil die Idee zu Grunde, in ganz allgemeinen Zügen eine Entwicklungsgeschichte der Waffen zu geben. Demgemäß kamen nach seiner Eröffnung durch elegante Frackreiter Turner von allen Altersstufen, berittene Musiker in Schützentracht, fünf Gruppen der verschiedenen Bewaffnungsarten von den alten Germanen mit Bärenfell und Lanze bis zu den modernen Turnerschützen, dazwischen Bogenschützen aus dem 11. Jahrhundert in blauweißen Wämmsern, bauschigen kurzen Hosen und enganliegenden Strümpfen, dann in Grau und Roth gekleidete Armbrustschützen aus dem 13. Jahrhundert, ferner Luntenschützen aus dem 15. Jahrhundert in braun und grünen Röcken und gelben glänzenden Pickelhauben, mit unendlich langen und schweren Feuerrohren, und darauf die Feuerschloßschützen aus dem dreißigjährigen Krieg, eine stattliche Truppe in gelben Röcken mit schwarzen Aufschlägen, in großen Hüten mit wallenden Federbüschen, zuletzt die leichtbewegliche und rüstige Schaar der Turnerschützen. Nachdem verschiedene Zwischengruppen von Reitern mit dem Stadt- und Reichsbanner, Turnern und Sängern vorübergezogen waren, fielen uns zunächst die Sachsenhäuser Jäger auf mit ihrer Fahne, auf der ein ausgestopfter Adler thront, und die ganz in Roth gekleideten Zeiger, welche die zerschossenen Scheiben der aus dem 14. Jahrhundert stammenden Frankfurter Urschützengesellschaft, die sich selbst im Zuge befand, trugen, und dann die ehrwürdigen Gestalten der Freiwilligen aus dem Jahr 1813. Der Darstellung des Kampfes folgte die Symbolisirung des schönen Lohnes durch ein mit Ehrengaben tragenden Jungfrauen umgebenes Riesenbouquet. Diese Gruppe war die verkörperte Poesie: ein riesenhaftes, von frischem Laub durchwobenes Bouquet, aus dem nach allen Seiten himmelblaue Seidenschleifen niederfielen, deren Enden von kleinen lieblichen Mädchen getragen wurden, das Ganze umgeben von rosigen Jungfrauen, welche bekränzte silberne Ehrenpokale, und von Knaben in blauen Blousen, welche Preisstutzen trugen.

Dem zweiten Theil des Zuges schritten die sämmtlichen Vereinsfahnen voraus, an ihrer Spitze das Banner des deutschen Schützenbundes; so war ein schönes Symbol für den stets betonten Gedanken der Einheit gefunden und eine imposante, Herz und Augen erfreuende Gruppe im Zug geschaffen. Ungefähr 150 Fahnen in allen Größen, Formen und Farben hatten sich zu einem blendenden Ganzen vereinigt, das besonders von der Höhe aus gesehen einen imposanten Eindruck machte.

Dem Fahnenbouquet folgte die militärisch organisirte, über 1000 Mann starke Heerschaar der Schweizer, jeder die Alpenrose und das Schweizerkreuz auf dem Hute und den Ordonnanzstutzen im Arm. Ihnen voraus schritt die jugendliche Trommler- und Pfeifermannschaft des Baseler Cadettencorps im schwarzen Kittel und Käppi, das Ränzlein auf dem Rücken und die große Trommel an der Seite. Ihr Tambourmajor zog durch die Gewandtheit, mit der er seinen Stock haushoch in die Lüfte schleuderte, die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich. Die Schweizer führten ihren Schützenkönig und als Fahnenträger drei Hünengestalten mit riesigen Bärten im Costüm der drei Männer vorn Rütli mit sich.

Den Stammverwandten aus der Schweiz schloß sich das Volksheer der deutschen Schützen an in einer Stärke von 6000 – 7000 Mann. Mittel- und Süddeutschland waren bei Weitem stärker vertreten als Norddeutschland. Viele der norddeutschen Schützen waren, wie oben bemerkt, in ihren altertümlichen Gildentrachten erschienen, Viele jedoch auch in der modernen Schützenjoppe oder in anderen praktischen Trachten, wie z. B. die Bremenser in dunkelgrünen, bis oben zugeknöpften Blousenröcken.

Eine äußerst belebte, bunte und interessante Gruppe war die der Tyroler, die Wipper- und Pusterthaler voran, dann die Passeyrer, Ober- und Unterinnthaler, Oetzthaler, Vintschgauer, Botzener, Meraner etc., in der besonderen Tracht jedes der einzelnen Thäler, unter ihnen viele alte verwitterte Gestalten neben schmucken, jugendfrischen Burschen, meist mit schwerfälligen Waffen, die sie auf der Achsel trugen, die Mündung nach vorn, den ausgeschweiften Kolben nach hinten, auf dem Schützenhut eine grün und weiße Schützenkokarde, darauf einen kleinen rothen Schild mit dem goldenen Tyroler Adler, Alpenrosen, Edelweiß, Spielhahnfedern und sonstigen Schützenschmuck. In ihrer Mitte entfalteten sich drei Fahnen, die alte, von Kugeln ganz zerfetzte, mit Feldehrenzeichen geschmückte Fahne der Landesvertheidiger, die seit 1796 in allen Kämpfen der Tyroler geweht, links eine Fahne in den österreichischen Farben mit dem Doppelaar in der Mitte und rechts die Tyroler Schützenfahne, grün und weiß, mit dem rothen einköpfigen Adler darin. Unmittelbar darauf folgten Trommler, Querpfeifer, das Musikchor der Münchner Schützengesellschaft und Sänger, welche in den Pausen des Zuges heimathliche Lieder vortrugen, während die Schützen jodelten und sprangen.

Als um 12 Uhr die Spitze des Zuges in den völlig vom Publicum geräumten und abgesperrten Roßmarkt einbog, wo die Uebergabe der Bundesfahne stattfand, die bisher noch nicht im Zuge mitgegangen war, da zertheilte sich das bis dahin drohende Gewölk und warf seinen goldenen Schein auf das herrliche Schauspiel, das sich jetzt hier entfaltete. In schönster Ordnung gruppirte sich der kolossale über 10,000 Theilnehmer zählende Zug in dreifachen Reihen um den Roßmarkt, in dessen Mitte eine Tribüne für den Vorstand des deutschen Schützenbundes errichtet war. Gegenüber auf dem Balcon des englischen Hofes befand sich der Herzog von Coburg, von den vorbeiziehenden Gruppen jubelnd begrüßt. Nachdem die Aufstellung erfolgt war, ergriff Herr Dr. Sigmund Müller, der Vorsitzende des Gesammt-Festausschusses, im Namen der Stadt Frankfurt das Wort und hieß alle zur Verherrlichung des ersten deutschen Nationalfestes herbeigekommenen Gäste auf’s Herzlichste willkommen. Er schloß mit einem Hoch auf „unser ganzes, großes, hohes, einiges Deutschland“. In brausendem, vieltausendstimmigen, begeisterten Wiederhall pflanzte sich dieses Hoch durch die dichtgeschaarten Reihen von Glied zu Glied fort bis zu den entferntesten Punkten und hinein in alle Seitenstraßen und hinauf bis zu den höchsten Giebeln der von tiefbewegten Männern und freudestrahlenden Frauen dichtbesetzten Häuser. Nachdem es in der Ferne wie ein dumpf grollendes Echo verrauscht war, trat der Herzog im Geleit der imposanten, von drei kräftigen Männern getragenen Bundesfahne auf die Tribüne zu. Als sich sämmtliche Vereinsfahnen im Halbkreis um die Bundesfahne geschaart hatten, sprach er mit fester, klarer, weithin tönender Stimme die Worte, welche wir bereits in Nr. 31 mitgetheilt haben.

Der Enthusiasmus, der darauf in edlem Wetteifer zwischen den Zugtheilnehmern und den in den Häusern, auf den Dächern, auf Gerüsten, Laternenpfählen und allen möglichen erhöhten Standpunkten postirten, aus Nah und Fern in unzähliger Menge herbeigeeilten Menschen in brausenden Tonwellen hinauf und herunter, herüber und hinüber wogte, entzieht sich aller Beschreibung. So etwas muß man erlebt haben, um sich eine Vorstellung davon zu machen. Der Herzog trat jetzt in den Zug ein, welcher nun unter den stets sich steigernden Zeichen der hingebendsten Begeisterung von Seiten der ihn umdrängenden Menschenmassen seinen Gang durch die Stadt fortsetzte. Wahrhaft enthusiastisch wurde der Herzog und die dicht hinter ihm befindliche Bundesfahne begrüßt. Von den einzelnen Volksstämmen schienen besonders die Schweizer, die Kurhessen, die Schleswig-Holsteiner, welche hinter ihrer umflorten Landesflagge einherschritten, vor Allem aber auch die Tyroler unter den Berufenen die Auserwählten zu sein. Sie wurden mit einem Regen von Blumen und Kränzen überschüttet, unzählige Male angehalten und mit Erfrischungen aller Art bewirthet, und dankten dafür durch unablässiges Hochrufen und Schwenken der

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 522. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_522.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)