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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Man unterscheidet diese als französische, Quedlinburger, schlesische, sibirische und Imperial-Rübe.

Der Rübensaal birgt weiter nichts. Große Haufen Rüben, die, wie sie kommen, so verschwinden, und die Waschtrommeln; die gewaschenen Rüben fallen in ein Faß der Danaiden. Aber wo bleiben sie? Wir öffnen eine kleine Thür und treten in einen Raum, in welchem unser Auge vergeblich nach einem Ruhepunkte sucht. Alles ist hier in Bewegung! Millionen der stärksten Schallwellen durchjagen die Luft, wir hören kaum unser eigen Wort. Rechts im Hintergründe dreht sich ein kolossales Schwungrad, das einer Maschine von 40 Pferdekräften angehört, die große Triebfeder alles dessen, was wir vor uns sehen, was hier mit unaufhaltsamer Eile sich abspinnt. Ueber hundert Hände regen sich in munterer Geschäftigkeit, und Alles strebt einem Ziele nach. Zwischen all dem Gebrause, Getöse, Klappern und Zischen hören wir die Töne eines Volkslieds, das, von Mädchen und Männern gesungen, den Takt angiebt, nach dem die Bleche klappern. Platz, ein Wagen! der führt uns auf unsere nächste Umgebung zurück.

Aus Eisenblech gefertigt wird er auf kleinen Rädern schnell fortgeschoben. Jetzt steht er, in einem Fenster erscheint ein Beamtengesicht, winkt, einige Rüben zu, einige zurück – gut! – der Wagen rollt von der Brückenwage und eilt fort. Die Rüben sind gewogen, genau 5 Centner wiegt man in solchem Kasten auf einmal, und der Steuerbeamte notirt die Zahl der Wagen und die Zeit, in der sie auf einander folgen. Er erlaubt uns einen Blick in sein Buch, alle 4 Minuten wägt er einen Wagen, in 24 Stunden 1400 Centner, gewiß eine schöne Zahl, die im Laufe eines Jahres zu der Summe von 250,000 Centnern heranwächst. Doch ehe die Rüben gewogen werden, hat man sie geköpft, sie fielen durch die Wand auf ein Caroussel, das sich langsam dreht, und an welchem etwa 10 Frauen mit einem Bret vor der Brust und einem langen scharfen Messer in der Hand stehen. Diese schneiden den gefärbten Kopf weg; ist derselbe nämlich auch nicht ganz zuckerleer, so enthält er doch so wenig Zucker, daß er die Steuer nicht tragen könnte. Ueberdies enthält er Gährungsstoff; er fällt und wird bei Seite geworfen.

Die versteuerten Rüben – sie haben zum großen Jammer der Fabrikanten 1/4 Thlr. à Ctr. gezahlt – fahren an die Reiben. Ein Cylinder, etwa 2 Fuß lang und von 1 Fuß Durchmesser, dreht sich etwa 1200 Mal in der Minute um sich selbst, er ist mit scharfen Sägeblättern dicht besetzt, so daß er allenfalls einem riesigen Igel gleicht. Ganz komisch sieht es aus, wie abwechselnd zwei Stücken Eisen, die an Gelenkstangen befestigt sind, diesem Cylinder Verbeugungen machen. Dabei nähern sie sich und entfernen sich und bei jeder Näherung fassen sie eine Rübe, auch wohl deren zwei und drücken sie gegen den Cylinder. Im Nu ist die Rübe zermalmt, verschwunden, nicht der kleinste Rest ist übrig geblieben, und der Poussoir (so heißt das Eisenstück) entfernt sich wieder. Das geht so riesig schnell, daß zwei Reiben sich nicht übereilen, um den ganzen Bedarf an Rübenbrei zu liefern. Dieser erscheint vorn als feine, breiige, weiße Masse – weiß aber nur auf Momente. Die Rübe, die lebendige Wurzel hält sich, bleibt unverändert, der Brei jedoch erliegt fast augenblicklich dem Einfluß der Luft, er wird röthlich, braunroth, endlich schwarz. Und mit diesem Farbenwechsel hält gleichen Schritt die Umwandlung des Zuckers; der Verlust lauert hier in jeder Secunde. Und doch will Alles seine Zeit haben; der Saft soll gewonnen werden!

Vor den Pressen steht ein langer eiserner Tisch, an diesem einander gegenüber sieben Paar Mädchen. Zwischen jedem Paar liegt ein Haufen eiserner Bleche, daneben große wollene Beutel. Die Mädchen fassen einen solchen Beutel, ein Knabe schüttet in den geöffneten ein kupfern Gefäß voll Brei, schnell ist dieser im Beutel vertheilt, der Beutel durch Umschlägen geschlossen, mit dem Mangelholz geebnet, und ein Arbeiter nimmt Blech und Beutel vom Tisch und schichtet sie in den hydraulischen Pressen. So schnell dies geht, so viel Brei 28 geübte Hände „packen“ können, es geht doch noch zu langsam. Verfolgen wir den Brei weiter. Ist eine der 10 hydraulischen Pressen gefüllt, so läßt man sie wirken. Erst geht die Platte schnell in die Höhe, der Stoß schwindet mehr und mehr, und der Saft fließt in Strömen ab. Ist dies eine Zeit lang so gegangen, so hört eine der beiden Pumpen, die die Presse treiben, auf zu wirken, und nun arbeitet die eine langsam fort, bis der Saft ganz ausgepreßt ist. Während der Zeit war die benachbarte Presse schon geleert und wieder gefüllt; sobald man die erste „abstellt“, beginnt die andre zu arbeiten. Von den 10 Pressen sind also nur immer fünf im Gange.

Die Bleche kehren zurück zum Tisch, die Beutel, die nun einem Bogen Pappe gleichen, werden in’s „Masseloch“ geworfen, dort entleeren sie Kinder und befördern sie in die Wäsche, wo sie so vollkommen gereinigt werden, daß aus ihnen ablaufendes ausgerungenes Wasser selbst auf einen Porzellanteller klar erscheint.

Wie viel Händearbeit gehört zu dieser Art der Saftgewinnung, welch Capital steckt in den Pressen, in den Beuteln! Und doch ist die Ausbeute nicht rühmenswerth. Ein und ein halb Procent Zucker bleibt in der Masse, und das will viel sagen bei 250,000 Centner von etwa 12 Procent Gehalt! Diesen Uebelstand fühlt man empfindlich genug und sucht ihm abzuhelfen. Das Pressen ist jedenfalls die roheste Methode, den Saft zu gewinnen, sie kann nie zum Ziel führen. Besser ist das Auswaschen, wo man eine Säule Rübenbrei langsam vom Wasser durchsetzen läßt. Wie oben das Wasser zufließt, fließt unten der Saft ab, und fast zuckerfrei bleibt die Masse zurück. Indeß liefert diese Methode doch sehr dünne Säfte, und es scheint, als werde sie mit Recht verdrängt von der sogenannten Centrifugalmethode. Hier dreht sich in einer großen, senkrecht stehenden Trommel eine etwas kleinere mit nicht geringerer Geschwindigkeit als die Reiben. Die senkrechte Wand der kleinen Trommel ist siebartig durchlöchert und trägt inwendig noch ein starkes Drahtgewebe. In diese Trommel fällt der Brei, durch Centrifugalkraft vertheilt er sich aufrecht an dem Sieb und in einigen Secunden ist er saftleer, ja fast trocken. Mit wenig Wasser hilft man nach und erzielt eine Masse, die kaum 1/2 Procent Zucker enthält. Die zahlreichen Vorzüge dieser Methode liegen auf der Hand, und mit Recht findet sie mehr und mehr Eingang. Die unappetitliche Handarbeit ist fast ganz verbannt.

Der auf eine oder die andere Weise gewonnene Saft ist röthlich bis braun, durchaus trübe, etwa wie Blut, und färbt sich immer dunkler. Daraus soll nun weißer Zucker gemacht werden! Fünf große kupferne Kessel stehen zu seiner Aufnahme bereit. Jeder Kessel faßt etwa 1200 Quart. Schnell füllt sich dieser eine, und während nun der andere gespeist wird, geht mit dem Inhalt des ersteren eine höchst wunderbare Veränderung vor sich. Mit eingesenktem Thermometer erhitzt man durch Dampf, der zwischen den beiden Böden des Kessels strömt, den Saft auf 63–65° R. möglichst schnell, schließt dann das Dampfventil und schüttet in den Saft bereitstehende, soeben aus 10–12 Pfd. Kalk bereitete Kalkmilch, rührt stark durch und läßt dann mit wenig zuströmendem Dampf ganz langsam, ungestört den Saft bis zum Siedepunkt sich erhitzen. In diesem Augenblick durchbricht die dicke, graue Schlammdecke, welche bisher den Saft bedeckte, plötzlich eine Welle goldgelber Flüssigkeit, aber schnell schließt sich das Ventil, man wartet einige Minuten, öffnet dann ein im Boden des Kessels angebrachtes Rohr, und – rheinweinheller Saft, goldig klar, strömt daraus hervor. Was ist da geschehen? – Der Kalk ist der Wundermann, er hat Alles, was nicht Zucker heißt, an sich gezogen, hat es unlöslich gemacht und als Schlamm abgeschieden. Dieser schwimmt nun als zähe Masse auf dem Saft. Leider ist dieser Ausspruch nicht vollkommen wahr, Alles scheidet der Kalk nicht ab, und was er unangetastet läßt, das bedingt eben den großen Verlust, den die Industrie erleidet. Salze und einige dem Eiweiß ähnliche Körper bleiben gelöst und sind auf keine Weise ganz zu entfernen. Aber immerhin ist der Gewinn ein außerordentlich großer, und hätten wir keinen Kalk, so hätten wir wahrscheinlich auch keinen Zucker, wenigstens nicht zu den heutigen Preisen.

Da hinter den „Scheidepfannen“ regt sich’s auch noch und führt eine unsaubere Existenz. Es sind die Schlammpresser, welche in leinenen Beuteln den Schlamm vom Saft befreien und dadurch einmal Saft, andrerseits eine Masse gewinnen, welche außer Kalk großentheils die Stoffe enthält, die zum Wachsen der Rübe so wesentlich sind. Als sehr gesuchter Dünger wird deshalb der Schlamm aufbewahrt.

Der geklärte Saft hat sich inzwischen in einem verschlossenen, in der Erde stehenden Kessel gesammelt. Im ferneren Verlaufe der Fabrikation muß er viele unter einander stehende Gefäße passiren, man muß ihn deshalb jetzt sehr hoch heben und zwar bis unter das Dach der Fabrik. Dies geschieht einfach durch Dampfdruck. Drei Atmosphären Ueberdruck würden den Saft nahe an 90 Fuß heben, man hat also nichts nöthig, als in den geschlossenen Kessel auf die Oberfläche des Saftes Dampf zu leiten. In

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 504. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_504.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)