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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

aus. In dieser Beziehung hatte Nürnberg im vorigen Jahre das Herrlichste geleistet. Was jedoch als für den Geist, in dem die Bewohner Frankfurts das Nationalfest feierten, besonders charakteristisch hervorzuheben wäre, ist der Umstand, daß die schwarz-roth-goldene Farbe in den Fahnen und Dekorationen fast die ausschließliche, die roth und weiße Landesfarbe dagegen nur in entschiedener Minorität vertreten war. Die Straßen selbst waren in einen Wald verwandelt, da vor jedem Hause eine Reihe von Fichten und Tannen ausgepflanzt war, welche von dem Forstamte zur Ausschmückung der Stadt unentgeltlich zur Verfügung gestellt worden waren. Mehrere Straßen hatten kolossale Triumphbögen erbaut und Festons von einem Hause quer über die Straße zu dem gegenüberliegenden geschlungen. Die meisten Fahnen waren von riesiger Länge und Breite, was sich jedoch der auf dem Portal des Bundespalais zwischen zwei schwarz-gelben abgestellten schwarz-roth-goldenen nicht nachsagen läßt. Auch das preußische Gesandtschaftshotel trug das deutsche Zeichen zwischen zwei schwarz-weißen Landesfahnen. Ueber allen erhaben aber wehte die deutsche Fahne von dem höchsten Punkte der Stadt, von dem Pfarrthurme.

An dem Ostbahnhofe und an den Westbahnhöfen waren Kanonen aufgestellt, welche von Mitgliedern der früheren freiwilligen Bürgerwehr in hellgrauer Schützentracht bedient wurden. Auch Musikcorps harrten der sehnsüchtig erwarten Gäste. Da brauste ein unabsehbarer Bahnzug zur Halle herein. Es waren nicht blos Schützen, sondern auch eine Unmasse sonstiger Gäste, die zum Feste gekommen waren und des feierlichen Empfanges mit theilhaftig wurden. Kanonensalven erdröhnten, und die Musik spielte das „deutsche Vaterland“. Jubelnder Zuruf in die Wagen und aus den Wagen. Die Herren vom Empfangscomité in weißen Schärpen traten an die Waggons und begrüßten herzlich die aussteigenden Gäste. Die versammelte Menge rief ihnen ein Hoch entgegen. Nachdem sich der erste Sturm gelegt hatte, sammelten sich die Gäste um die schwarz-roth-goldene Fahne und ließen sich von einem Mitgliede des Empfangscomites mit einer kurzen Ansprache officiell begrüßen. Dann ging’s mit klingendem Spiel durch die Straßen der Stadt nach dem Wohnungsbüreau. Während des ganzen Weges hatten sich rechts und links dichte Spaliere aufgestellt, welche mit den vorbeiziehenden Gästen ein beständiges Kreuzfeuer von donnernden Hochs unterhielten. Die Fenster waren geöffnet, und zu den bunten Fahnen gesellten sich noch zahllose weiße Fähnlein, deren jede Dame wenigstens eines unaufhörlich schwenkte.

So ging’s den ganzen Tag. Schon in aller Frühe waren die Nürnberger und die Bewohner der benachbarten Städte eingetroffen. Sie kamen noch trockenen Fußes auf das Wohnungsbüreau und wurden von da mit Hülfe der jugendlichen Turnermannschaft, welche die freiwilligen Fremdenführer abgab, in ihre Quartiere geleitet.

Als aber um 11 Uhr die thüringischen Schützen und mit ihnen der Herzog Ernst von Coburg aus dem Waggon traten, strömte der erste Platzregen vom Himmel, um von da an mit kurzen Unterbrechungen bis in die sinkende Nacht nicht mehr aufzuhören. Das veranlaßte aber die auf den Straßen wandelnde Menge keineswegs, nach Hause zu gehen, sondern mitten in dem dicksten Regen und trotz der durchnäßten Kleider harrte sie geduldig aus, bis die letzten Gäste spät Abends in Empfang genommen und herzlich begrüßt waren.

Da wir uns nicht zertheilen konnten, um alle Einzelnheiten des Empfangs mitzumachen, so müssen wir uns auf die Hauptscenen desselben beschränken. Die erste derselben ist die Ankunft des Herzogs Ernst. Schon als er unter die Eisenbahnhalle trat, ward er mit lebhaften Zurufen begrüßt. Dr. S. Stern, Oberlehrer an der hiesigen israelitischen Realschule, hielt darauf an die Thüringer Schützen und an den ersten derselben eine kurze und gehaltvolle Anrede. Als der Herzog daraus in offenem Wagen nach der Stadt in das Siefferheld’sche Haus fuhr, wo er seine Wohnung aufgeschlagen hatte, da war des Jubels in der versammelten Menge kein Ende, und zu Hause angekommen, mußte er mehrmals auf den Balcon treten, um für die herzliche Aufnahme zu danken.

Der zweite Haupteinzug, welcher am Samstag stattfand, waren um 6 Uhr Abends der der Schweizer. In einer imposanten Masse, über 1000 Mann stark, waren sie erschienen, und ihr Erscheinen rief begeisterten Enthusiasmus hervor. Sie trugen alle die Alpenrose und das Schweizer Kreuz auf dem Hute. Militärisch organisirt, ordnete sich die Heeresschaar unter der Anführung der jugendlichen Trommler und Pfeifer des Baseler Cadettencorps sehr rasch in dem weiten Bahnhofe der Main-Neckar-Bahn.

Von dem Perron der Eisenbahn aus redete sie Dr. Sauerländer folgendermaßen an:

„Der Festort Frankfurt ruft den Schützenbrüdern aus der Schweiz ein herzliches Willkommen zu. Dank Euch, daß Ihr dem Ruf gefolgt seid und heute zum ersten Mal an den Ufern des Mains jenes glorreiche Banner aufpflanzt, welches die Helden von Morgarten, Sempach und der Melzerheide, von Murten und St. Jakob geführt haben. Wenn unsere Jugend das flammende Kreuz noch nicht kennt, so kennt sie doch die Tage des Ruhms, verherrlicht in den unsterblichen Gesängen unserer Dichter; sie kennt das Land der Alpenrosen, die Felsenburg der Freiheit, das Brudergeschlecht der Eidgenossen, und diese begeisterte Jugend ruft Euch heute zu: Seid willkommen auf deutscher Erde, Ihr treue Boten aus dem Schweizerland, Gruß und Handschlag zum ewigen Bündnis;, liebwerthe Eidgenossen. Unsere Schweizer Brüder leben hoch, hoch, hoch!“

Darauf erwiderte Oberst Kurz aus Bern einige herzliche Worte und forderte schließlich seine Landsleute auf, mit ihm ein donnerndes Hoch auszubringen auf „Deutschland, das Gesammtvaterland unserer Freunde, es lebe, es gedeihe, es erstarke, ruft mit ganzer Schweizer Kehle aus, ruft: Deutschland hoch!“

Und aus voller Seele und aus voller Kehle fielen die Schweizer ein. In ähnlicher Weise fand der Empfang der Baiern, Oesterreichs und Tyroler statt. Unter nicht enden wollendem Jubel zog diese Truppe, in deren Mitte selbst die freudigste Stimmung herrschte, mit ihrer Musik und ihren Fahnen durch die Stadt.


Blätter und Blüthen


Die Asyle für Geisteskranke. In allen cultivirten Ländern hat die Humanität, vorzugsweise im Laufe der letzten Jahrzehnde, zahlreiche Heil- und Bewahranstalten für Kranke und Unglückliche in das Leben gerufen, die durch ihr segensreiches Wirken unserm Zeitalter zur Zierde gereichen und beweisen, daß auf gleiche Weise mit dem geistigen Fortschritte auch der humane gefördert ist. Neben den stolzen der Wissenschaft und Kunst gewidmeten Gebäuden hat sich auch die Humanität ihre Tempel gebaut, und der Schutz und die Pflege von Waisen, Blinden, Taubstummen etc. ist in der Gegenwart ein wichtiger Gegenstand der Fürsorge von Behörden und Vereinen geworden.

Vorzugsweise jedoch haben die humanen Bestrebungen der Neuzeit sich einer Classe von Leidenden angenommen, die noch vor Kurzem meist unter den allertraurigsten Verhältnissen ihr unglückliches Loos zu tragen gezwungen waren, der Geisteskranken. – Gerade diese, die Hülfsbedürftigsten aller Kranken, sind am längsten vernachlässigt und waren, anstatt zur Hülfe und zum Mitgefühl bei Andern anzuregen, Gegenstand des Spottes und des Abscheues. Man hätte doch denken sollen, daß die Mutter, welche der Verlust eines geliebten Kindes schwermüthig gemacht, daß der Mann, welchen übermäßige geistige Anstrengung des klaren Denkens beraubt halte, kurz, daß alle diese Kranken von jeher Gegenstand allseitiger Theilnahme hätten sein müssen. Es ist nicht so gewesen; man hat in dem Geisteskranken nicht den Kranken, sondern eher einen Verbrecher gesehen, man hat, befangen von abenteuerlichen Vorurtheilen, sie in abscheulichen Räumen verkommen lassen und, anstatt sie durch ärztliche Hülfe zu heilen und zu pflegen, durch strafende Strenge und schlechte Behandlung zum Aeußersten getrieben.

Erst in der Neuzeit ist es in dieser Beziehung besser geworden; gewissermaßen, als ob man das Versäumte wieder hätte gut machen wollen, sind in fast allen deutschen Landen zahlreiche Asyle für diese Kranken entstanden, die, zum Theil mit wahrhaft fürstlicher Pracht ausgestattet, ihnen ein Unterkommen bieten, wo sie, entfernt von dem Leben und Treiben der Welt, entzogen dem Spotte des Unverstandes, ihrer Gesundheit leben können, die viele von ihnen wieder erlangen und an ihren Beruf in den Kreis ihrer Familie zurückkehren, oder wo sie, wenn eine Heilung nicht mehr möglich ist, in Ruhe und im Genusse der möglichsten Freiheit ihre Tage beschließen.

Zwar entsprechen noch bei Weitem nicht alle Anstalten den Anforderungen, welche man an sie stellen kann, doch mehr und mehr bemühen sich die guten Anstalten, das zu werden, was sie sein sollen, wirkliche Asyle für diese Kranken, in welchen sie neben Pflege und freundlicher

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