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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

über den Köpfen der dichtgedrängten Menge in tollem Wirbel umher. Zugleich strömte der Regen mit solcher Gewalt und in solcher Masse zu den offenen Seiten der Halle herein, daß diese alsbald in einen wogenden See verwandelt war und die hülferufenden Frauen und Kinder und die erschrockenen Männer auf Tischen und Bänken Schutz suchen mußten. Auf allen Gesichtern malte sich tödliche Angst und Verzweiflung, welche ihren höchsten schreckenerregenden Ausdruck in einem aus tausend Kehlen gleichzeitig ertönenden Schrei des Entsetzens fand, als plötzlich die Halle sichtbar zu schwanken und zu wanken anfing, als Breter, Balken und Kronleuchter niederstürzten und mit furchtbarem Krachen ein Theil des Daches des südlichen Flügels der Halle verschwand und den mit dickem Hagel untermischten Wasserfluthen nun auch von oben freien Zugang verschaffte. Nun stürzte und drängte Alles dem Ausgang zu, aber der vom Winde wüthend hin- und hergepeitschte Regen, das Heulen des Sturmes und das Wimmern der Verzweifelten verwirrte den ineinander fest verschlungenen Menschenknäuel nur noch mehr.


Das deutsche Bundesbanner.
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Alles fiel über den Haufen, und erst nach unendlichem Ringen und durch den Trieb der Selbsterhaltung vorwärts getrieben, erreichte die zerstörte Menge das Freie. Hier löste sich das Bild des Jammers in einzelne Schreckensscenen auf. Viele wurden von dem entfesselten Sturme zu Boden geworfen und lagen nun halb bewußtlos in dem Schlamme des kothigen Morastes, in den der Festplatz im Nu verwandelt war, während noch immer die Regenmassen herniederstürzten und sie zu ertränken drohten. Andern wurden die Kleider vom Leibe gerissen, und Zusammengehörige, die in dem entsetzlichen Durcheinander getrennt worden waren, suchten sich händeringend.

Nach wenigen Minuten lachte die Sonne wieder so hell von dem theilweise gelichteten Himmel, als wenn nichts geschehen wäre. Jetzt erst ließen sich die Verwüstungen übersehen. Das vom südlichen Flügel der Halle herabgestürzte Dachwerk war vom Winde auf die Spülküche geschleudert worden, hatte diese zertrümmert und dabei zwei Küchenmädchen erschlagen. Der südliche Flügel der Halle war theilweise abgedeckt, stand ganz schief und war überall arg beschädigt und zerrissen. Alle anderen Gebäude auf dem Festplatze trugen Spuren der Verheerung des furchtbaren Orkans an sich, der auch in der Stadt und deren näherem Umkreise wüthend gehaust, die ältesten Bäume entwurzelt und viele Dächer abgedeckt, ja eine kolossale, noch gut erhaltene Scheune in der Stadt in tausend Trümmer geschlagen hatte. Bei allem Unglück ist es ein Wunder der Vorsehung zu nennen, daß außer den genannten zwei Personen, welche augenblicklich getödtet wurden, und einer dritten, welche in Folge erhaltener Verwundungen später starb, fast nur unerhebliche Verletzungen vorgekommen sind.

Nur den vereinten Anstrengungen des Festcomités, des Handwerkerstandes, der Bürgerschaft und der Behörden gelang es, das Fest dennoch zur bestimmten Zeit zu ermöglichen. Mit Aufgebot aller Arbeitskräfte der Stadt schritt man sofort zur Reparirung des Schadens, dessen ganzen Betrag (ungefähr 20,000 Gulden) der Senat auf das Aerar übernahm. Am Freitag derselben Woche war jede Spur der Verwüstung getilgt, und die Festgebäulichkeiten waren wieder zur Aufnahme der erwarteten Gäste bereit.

Durch diesen traurigen Zwischenfall war nur ein erneuerter Schwung in die Festesvorbereitungen gekommen. Galt es doch jetzt die Ehre der Stadt zu wahren durch Einlösung des von dem Festcomité vor ganz Deutschland gegebenen Versprechens: „daß das Fest unverändert am bestimmten Tage beginne.“ Ein edler Wetteifer entstand. Jeder wollte es dem Andern zuvorthun, um dem Festcomité durch Opfermüthigkeit seine schwere Aufgabe zu erleichtern. Freiquartiere wurden dem Comité noch in den letzten Tagen in großer Anzahl zur Verfügung gestellt, so daß es in den Stand gesetzt war, die größte Anzahl der Schützengäste bei den Bürgern einzulogiren. Die große Theilnahme der Stadt an dem Nationalfeste sprach sich aber vorzüglich auch in dem wahrhaft glänzenden und blendenden Festschmucke aus, den sie schon einige Tage vor dem Feste anlegte.

So nahte der Empfangstag, der Samstag. Welch ein Gewühl herrschte schon am frühen Morgen in der Stadt! Alles bewegte sich in erwartungsvoller Stimmung auf den Straßen. Die Bahnhöfe waren von Menschen dicht belagert, so daß die Fiaker nur mit Mühe sich eine Gasse brechen konnten. Die Hotels waren bereits von Fremden, die Privathäuser von Verwandten und Freunden, die zum Feste auf Besuch gekommen waren, überfüllt. Ueberall standen Gruppen auf der Straße, mit jener sichtbaren Spannung und Aufregung in den Mienen, welche jedem festlichen Ereigniß vorauszugehen pflegen. Die Meisten tauschten ihre Besorgnisse über das Wetter aus, denn es hing ein bleigrauer Himmel über der von frischem Grün duftenden und von zahllosen Fahnen, die aus Fenstern und von Dächern und Thürmen wehten, überschatteten Stadt.

Frankfurt hatte sich in der That bis in seine kleinsten Straßen glänzend herausgeputzt. Auch die Vorstadt Sachsenhausen war nicht zurückgeblieben. Die Brücke, die sie verbindet, war zur Fichtenallee geworden. Es war dasselbe Gewand, das die Stadt in den Tagen des Vorparlaments trug, nur daß damals das geschriebene Wort zur Auslegung der Bedeutung der Fahnen und Kränze mehr zu Hülfe genommen war, als heute. Inschriften bemerkten wir nur wenige und unter diesen wenigen wieder mehrere, welche schon zu Zeiten des Vorparlaments verwandt worden waren, wie z. B.:

„Des Vaterlands Größe, des Vaterlands Glück,
O schafft sie, o bringt sie dem Volke zurück!“

Der Schmuck der Stadt zeichnete sich im Ganzen mehr durch Reichthum und Pracht, als durch besonders geschmackvolle und künstlerische Verwendung gegebener Anhaltspunkte in der Decoration

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 493. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_493.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)