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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

„Genug, genug,“ rief herzlich lachend das Original, „die 1000 Rubel sollst Du haben, Spitzbube, aber weiter brauche ich nichts zu hören.“

Höchst originell war die Art und Weise, wie die bekannte Tänzerin Lola Montez aus der Czarenstadt hinaus gemaßregelt wurde. Dieselbe kam nach Petersburg, miethete sich in dem Hotel des Franzosen Deneveux auf der Newsky-Perspektive ein und machte kein Hehl daraus, daß sie nur in der Absicht nach Rußland gekommen sei, die Geliebte des Kaiser Nikolaus zu werden. Durch ihre Tanzkunst konnte sie den Monarchen wohl nicht bezaubern, denn ich erinnere mich noch mit Vergnügen des unauslöschlichen Gelächters, welches eine Probe ihres künstlerischen Talentes hervorrief. Auf ihre Einladung versammelten sich die jungen Schauspieler des französischen Theaters im Speisesaal bei Deneveux, wo sie einen Solotanz zum Besten gab, der sich allerdings durch jeglichen Mangel an Schule auszeichnete und damit endete, daß die Vorläuferin Pepita’s der Länge lang und nicht sonderlich graciös auf den Boden hinschlug.

Der Glaube an die Macht ihrer Reize war bei Lola unerschütterlich, und auf das Allerbestimmteste versicherte sie ihrer Umgebung, daß sie, sobald sie den Czar nur einmal gesprochen haben würde, auch dessen Geliebte sein werde, in welchem Falle sie Madame Deneveux ihrer wärmsten Protection versicherte. Den Kaiser zu sprechen, war während der Wintersaison in Petersburg das leichteste Ding von der Welt, denn derselbe besuchte jeden der glänzenden Maskenbälle im kaiserlichen Opernhaus, für welche Art Vergnügen er eine besondere Vorliebe hatte. Es war dort Jedermann erlaubt, den Kaiser anzusprechen, und jede Art von Etikette verbannt. Beim nächsten derartigen Feste sollte die Eroberung des hohen Herrn vor sich gehen. Den Tag vorher erschien ein Officier im Hotel der gluthäugigen Spanierin, verlangte sie zu sprechen und stellte sich als Herr von N…ch, Flügeladjutant des allmächtigen Graf Kleinmichel, vor, Ein kurzes Gespräch begann, von beiden Seiten mit einem Kreuzfeuer von Koketterie und Galanterie in Angriff genommen; plötzlich sprach der Officier: „Mein Fräulein, ich werde die Ehre haben, Sie im allerhöchsten Auftrag bis an die Grenze zu begleiten. Meine Equipage wartet unten am Hause, und ich bitte Sie, mir augenblicklich zu folgen.“

Zur Bildsäule erstarrt glaubte die Tänzerin kaum ihren Ohren zu trauen. Als sie aber einsah, daß trotz der feinsten und ritterlichsten Formen hier die eisernste und unumstößlichste Nothwendigkeit vorliege, meinte sie, ihre Geldmittel reichten zu einer so unvorhergesehenen Reise nicht aus, da sie auf ein Engagement am hiesigen Hoftheater gerechnet etc. In artigster Weise stellte ihr der Adjutant eine baare Summe von tausend Rubel zur Disposition; ihrer Bitte, ihr einige Stunden zum Einpacken ihrer Effecten zu gönnen, wurde mit dem Ehrenworte des Officiers begegnet, daß sie an der Grenze all’ ihr Eigenthum wohlverwahrt und unversehrt vorfinden werde.

In artigster Weise wurde Lola Montez in den Wagen genöthigt und unter Assistenz ihres aufgedrungenen Begleiters bis Tilsit gebracht, wo sich der Letztere unter den aufrichtigsten Versicherungen seiner Freude, die Bekanntschaft der schönen Künstlerin gemacht zu haben, verabschiedete. Ihr Gepäck hatte sie schon in Tauroggen unversehrt und vollständig vorgefunden. Wie die Abenteurerin nach diesem gescheiterten Versuche, einen Monarchen zu erobern, anderwärts doch ihren Plan durchsetzte, ist bekannt genug geworden, ebenso daß die Gräfin Landsberg als fromme Schwester in Amerika ihre bewegte Laufbahn endete.

Als einst der Generaldirektor der sämmtlichen deutschen Theater in Petersburg große Summen verspielt hatte, die das Eigenthum der Theatercaffe gewesen, erhielten die Schauspieler monatelang keinen Gehalt und mußten schweigen, weil auf eine Beschwerde an das Ministerium nur die Entlassung des Betreffenden zu erwarten war. Der französische Komiker Vernet, der Liebling des Kaisers, lief einst bei sehr nassem Wetter auf dem Fahrwege durch Dick und Dünn im Straßenschmutz eine Weile neben dem Wagen des Czar her, bis dieser es bemerkte.

„Sind Sie toll, Vernet, was soll denn das bedeuten?“

„Lassen Sie mich in Gnaden laufen, Majestät,“ rief athemlos der Komiker, „ich habe die höchste Eile, seit drei Monaten laufe ich meiner Gage nach und kann sie nicht einholen.“ Mit diesen Worten verschwand er um die Ecke, wohl wissend, daß dieselben an den rechten Mann gebracht seien. Ein Befehl zur Untersuchung, was die Sache zu bedeuten habe, brachte den Künstlern ihre Bezahlung und dem leichtsinnigen Intendanten seine Versetzung zu einem andern Posten.

Vernet war seiner geistreichen Wortspiele wegen der Liebling des ganzen Hofes und wurde oft in die höchsten Kreise gezogen. So unter anderem einmal in einen glänzenden Cirkel des Großfürst Michael, wo unter den Eingeladenen auch der berühmte Astronom Schubert gegenwärtig war. Der große, aber schüchterne Gelehrte benahm sich etwas linkisch und befriedigte keineswegs die Ansprüche auf Unterhaltung, die höchsten Ortes an ihn gestellt wurden.

„Wie kommt es, Vernet,“ frug der Großfürst, „daß ein so gelehrter Mann wie Schubert sich so überaus ungeschickt in Gesellschaft bewegt?“

„Entschuldigen Ew. kaiserl. Hoheit die Verwirrung des armen Menschen, der Mann ist Astronom, er ist heute allerdings etwas confus, da er nicht gewohnt ist, so viel Sterne am unrechten Platz zu sehen.“

Von der Allmacht des Kaisers, von der Windeseile, mit welcher seine leisesten Wünsche als Befehle hingenommen und vollführt wurden, mögen nachfolgende kleine charakteristische Züge Beweise liefern.

Während der Abwesenheit des Kaisers in Warschau glaubte Graf Kleinmichel demselben eine angenehme Ueberraschung zu bereiten, indem er auf den freien Platz vor dem Alexandertheater ein paar zierliche Häuschen hinstellen ließ, in welchen Eis und andere Erfrischungen gereicht werden sollten. Als der Kaiser bei seiner ersten Ausfahrt die Neuerung bemerkte, rief er aus: „Welche Geschmacklosigkeit, den hübschen Platz so zu entstellen!“ Am folgenden Morgen war keine Spur der beiden Häuser zu bemerken, und frischer Rasen deckte die Stelle, wo sie gestanden.

Der Adjutant des Grafen Kleinmichel, Herr v. Nowasilsoff, besuchte mich einst, und indem er mir – es war dies natürlich vor der Vollendung der Eisenbahn – mittheilte, daß er den folgenden Tag dienstlich nach Moskau verreisen müsse, warf er eine dickleibige Brieftasche auf den Tisch, die nach seiner Angabe 30,000 Rubel Silber enthielt. Dieses Geld wurde verwendet, um die Schneewege, die in ganz Rußland im Winter aus Thälern und Hügeln bestehen, auf der ganzen Straße von Petersburg bis Moskau tischgleich ebenen zu lassen, damit der Kaiser, der einen Tag nach ihm führe, für seine pfeilschnelle Reise kein Hinderniß finde. Natürlich war der Kaiser der Meinung, daß in seinem ganzen Reiche alle Wege in diesem vortrefflichen Zustand sich befänden.

Eine Reise im strengen russischen Winter ist allerdings keine Kleinigkeit. Nichts widersteht der furchtbaren Kälte; Pelze, Betten, hermetisch verschlossene Schlitten halten dieselbe nicht ab. Ich hatte auf einer Reise nach Reval, bei 28 Grad Kälte, gerade die Empfindung, als ob ich nackt auf der Straße läge, obgleich ich zwei Pelze, hohe Fellstiefeln anhatte, bis über den Kopf in Federbetten eingehüllt war und in einem langen Schlitten lag. Wein und Fleisch, das ich mitgenommen, ward unbrauchbar und fror so fest, daß letzteres einem Steine glich, ersterer ohne Flasche auf dem Tische stehen blieb. Bei der Ankunft im Posthaus bleibt die Haut an dem metallnen Drücker kleben, den die Hand des Reisenden erfaßt. Die Vögel der Luft, weniger geschützt als der Mensch, und merkwürdiger Weise die Raben zuerst, fallen erstarrt und steif gefroren aus der Luft nieder, zahllose Spuren von Wild durchstreifen den Schnee, so daß die Wege am Rande der Wälder aussehen, als ob sie mit einem Rechen in Linien gekehrt worden wären.

Wehe aber dem Wanderer, wehe den Pferden und dem Kutscher, wenn ein Schneesturm die Eilenden fern von der Station überfällt und es ihnen unmöglich macht, dieselbe zu erreichen! Von der Wucht eines solchen Schneefalles, von der Menge und Gewalt desselben kann sich nur ein Augenzeuge einen Begriff machen. Der Mensch hat die Empfindung, als ob er den Kopf in einen nassen Federsack stecken müßte; es dunkelt um die Augen, nicht drei Schritte vorwärts kann man sehen, und in einer Stunde ist alles Lebende vergraben. Kaum tausend Schritt von einer Poststation ereilte mich und meine Gefährten im Eilwagen ein solches Wüthen der Elemente und brachte unser Leben in die ernstlichste Gefahr. Die Thiere schienen dieselbe schon früher zu wittern, denn sie griffen nach Möglichkeit aus, der Postillon hatte schon lange vor Einbruch der Dunkelheit die Laternen angezündet; plötzlich fielen die Flocken mit so rasender Schnelle und Dichtheit nieder, daß der Conducteur uns den Rath gab, auszusteigen und rasch zum Posthause zu eilen, welches vor uns läge, er selbst wolle uns begleiten. Dabei nahm er seine Pistolen unter den Arm, und Hand an Hand eilten wir vorwärts. Obwohl die Dämmerung noch nicht

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 491. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_491.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)