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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

haben schien; aber in ihren Zügen war das rosige Colorit und der rasche Wechsel des Ausdrucks geschwunden; ihre Bewegungen hatten die frische Keckheit verloren; ihre feine Hand lag während des kurzen Moments, in welchem sie sich ihm geboten, bewegungslos in der seinen, und der junge Mann fühlte ein eigenthümliches Weh durch sein Inneres zucken – kaum wußte er, ob über seine eigene unglückliche Liebe, die mit dem Anblicke der Eingetretenen in ihrer ganzen Stärke und Hoffnungslosigkeit in ihm erwacht, oder über Jessy’s veränderte Erscheinung, die ihn an die schutzlose Blume, welche ein frühzeitiger Frost getroffen, mahnen wollte.

„Aber behalten Sie Platz, Sir!“ fuhr sie fort, sich langsam auf den Divan an ihrer Seite niederlassend, und Hugo, seinen frühern Sitz einnehmend, suchte vergebens in ihrem Auge nach einem Ausdrucke, der eine Andeutung ihrer frühern Begegnungen gegeben hätte. „Sie gedenken jetzt hier und in Mr. Winter’s Geschäft zu bleiben?“ setzte sie im ruhigen Conversationstone hinzu.

„Wie der Mensch eben gedenken kann, Ma’am!“ erwiderte er, den Blick nicht von ihrem Gesichte lassend; „ich gedachte preußischer Beamter zu bleiben, und mußte nach Amerika gehen; ich gedachte hier verschiedene Dinge zu thun, die dann jeden Boden verloren, und bin jetzt in Mr. Winter’s Geschäft, woran ich niemals gedacht. Sollten Sie nicht ähnliche Erfahrungen gemacht haben, Ma’am?“

Es klang fast wie eine herbe Beziehung in seinen letzten Worten, und sie senkte den Blick, um ihn indessen gleich darauf ruhig wieder nach ihrer Schwester zu heben. „Schaffst Du mir wohl ein Glas frisches Wasser, Carry?“ fragte sie, und als die Angeredete bereitwillig das Zimmer verlassen, hob sie rasch den Kopf. Ihr Gesicht war noch bleicher und ihr Auge noch dunkler und größer geworden. „Sie sind jedenfalls von der Veränderung meiner Lage unterrichtet, und diese hat Sie überrascht,“ sagte sie, während es in den tiefen halblauten Tönen ihrer Stimme wie eine leise Erregung zitterte; „Sie scheinen nicht vergessen zu haben, wie ich mich auf unserer europäischen Reise über meinen zweiten damaligen Begleiter einst gegen Sie geäußert. Indessen wandeln Zeit und Umstände wohl oft mehr als eine Ansicht, und so ist auch meine Stellung völlig natürlich, wenn auch unerwartet, eine andere geworden, ohne daß ich dabei selbst etwas zu bereuen hätte.“

„Aber warum sagen Sie mir das?“ unterbrach er sie, vergebens bemüht, eine plötzliche innere Aufwallung von Schmerz ganz zu unterdrücken, „welches Recht habe ich denn auf das kleinste erklärende Wort?“

„Ein Recht sicherlich nicht, Sir,“ erwiderte sie, den Kopf hebend, während ein leises Roth in ihre Wangen stieg, „aber einesteils meine ich Ihnen einen Freundesdank schuldig zu sein, und anderntheils werden uns die Verhältnisse hier und da zusammenführen, so daß ich ein Wort über das, was Sie verwundert haben mag, für nöthig hielt. – Bei dieser Gelegenheit will ich Ihnen nun auch gestehen,“ fuhr sie mit plötzlich verändertem Tone fort, „daß ich einigermaßen überrascht bin, Sie auf dem Wege zum amerikanischen Geldmanne zu sehen, ich hätte nach meiner kurzen Beobachtung kaum dafür ein Talent in Ihnen vermuthet!“

„Warum nicht, Ma’am?“ erwiderte er, von einer halben Bitterkeit überkommen; „es kann Manches aus dem Menschen werden, wenn er seinen Boden verloren und nach dem nächsten fremden Halte greifen muß. Sie sehen ja, daß sich für einen Geldmann selbst bei Ihnen das Unerwartete natürlich geordnet hat, ohne daß Sie etwas zu bereuen hätten!“

Ein hohes Roth war in das bleiche Gesicht der jungen Frau geschossen, aber er sah es nicht. Er hatte sich, als könne er seinen Empfindungen nicht mehr gebieten, mit seinen letzten Worte rasch erhoben und war nach dem Fenster getreten; kaum drei Secunden indessen hatte er dort verweilt, als er sich langsam, sichtlich seine Erregung niederkämpfend, wieder zurückwandte.

„Verzeihung, Mrs. Graham!“ sagte er gedrückt, „aber Sie hätten die Todten nicht wecken sollen, die ich kaum erst begraben. Selbst diese Worte mögen ungehörig sein, ich verspreche Ihnen aber, daß keine meiner Mienen wieder von einer Thorheit reden soll, die im Augenblick stärker war, als ich selbst. Sie haben übrigens Recht, ich fühle bereits, daß ich kein Talent zum amerikanischen Geldmanne habe; und wenn ich jetzt noch einige Tage in meiner gegenwärtigen Stellung verweile, so geschieht es nur, weil Menschen, die auf den Strand geworfen worden sind, wie ich, nicht jeden Augenblick die Wahl einer andern Lage haben.“ In diesem Augenblicke öffnete sich die Thür, um Carry, welche selbst das geforderte Wasser herbeigeholt zu haben schien, einzulassen, und Hugo trat ihr wie in einem kurzgefaßten Entschlusse entgegen. „Ich habe soeben zu Mrs. Graham von einer Versäumniß gesprochen, die mich ganz unglücklich macht, da sie mich wieder in die Stadt zurückruft –“

„Sie wollen wieder fort?“ unterbrach ihn das Mädchen in sichtlich unangenehmer Ueberraschung und richtete den Blick wie um Erklärung nach der älteren Schwester. Diese aber hatte sich soeben erhoben und ein Notenbuch auf dem Piano geöffnet. „Vater versprach doch, daß Sie heute geschäftsfrei sein sollten!“

„Es ist auch nur eine Privatsache, Miß, aber von so viel Wichtigkeit und nicht allein für mich, daß Sie mich sicher entschuldigen werden,“ erwiderte er und wandte sich dann, als wolle er jeder weitern Zögerung vorbeugen, nach der jungen Frau. „Mrs. Graham, ich bitte nochmals um Verzeihung!“

Sie hob den Kopf und streckte ihm leicht die Hand entgegen; aber diese Hand bebte, als er sie berührte, und mitten aus dem Ernst ihres Auges blickte ihm ein so weicher Ausdruck entgegen, daß er wohl kaum seine mühsam errungene Selbstcontrole voll bewahrt haben würde, wenn nicht Carry, welche sich ihres Wasserglases auf dem Tische entledigt, mit einem schmollenden: „Aber das ist garstig, Mr. Zedwitz, uns den ganzen Nachmittag, den ich mir so lustig gedacht, zu verderben!“ herzugetreten wäre.

Er hatte das Zimmer verlassen, sein Pferd losgebunden und war bereits eine Weile davon gesprengt, als habe er wirklich eine gefährliche Versäumniß wieder gut zu machen, ehe er zu einem klaren Gedanken über die eben stattgefundene Begegnung gelangte. Jessy’s Abschiedsblick war es, der zuerst vor ihn trat und ihn mit einer Empfindung erfüllte, von der er kaum hätte sagen können, ob darin das Glück oder der Schmerz überwiege, und langsam rief er sich dann jeden Theil ihres vorangegangenen Gesprächs zurück. Sie hatte sich ihm gegenüber in völlige Gleichgültigkeit hüllen, den Ton einer leichten Bekanntschaft einführen wollen, sie hatte sich so gar zu dem Standpunkte des gewöhnlichsten Charakters erniedrigt, um die Inconsequenz in ihrer Heirath zu erklären und ihn selbst wohl dadurch zu erkälten. Aber die Lüge hatte ja vor seinem durchbrechenden Gefühle nicht bestehen können; es war nur ein einziger Blick voll Wahrheit, nur ein einziger zitternder Händedruck gewesen, den er von ihr erhalten, aber darin hatte Alles gelegen, ein volles Verstehen und Bekennen – wie sollte sich nun neue Wiederbegegnung, die sich bei dem stattfindenden Familienverhältniß nicht vermeiden ließ, gestalten? Auf welche Art ihre Heirath, die selbst dem alten Henderson nicht klar war, zu Stande gekommen, konnte ihm jetzt gleichgültig sein - sie bestand, und wollte er sich nicht einer stets fortlaufenden nutzlosen Marter preisgeben, so konnte er nur seine jetzige Stellung verlassen, die ohnedies ihm so viel Zweifel bot, daß er in jeder andern, die ihm eine anständige Existenz gewährte, sich glücklicher gefühlt haben würde. Wo sich ihm eine solche bieten sollte, wußte er jetzt freilich nicht, noch hatte er ja aber nicht einmal einen Versuch gemacht, sein Glück auf andern Wegen zu erproben.

Er hatte den Punkt erreicht, wo ihn die Dampffähre nach der Stadt zu bringen hatte, aber er konnte dort Winter begegnen und eine neue Erfindung über seine frühzeitige Rückkehr zu erzählen haben, und so ritt er langsam und planlos, nur um die Zeit zu tödten, die sich ihm zunächst bietende Straße in das Land hinein, und erst als er wohl eine Stunde lang bald sich mit seinen eigenen Gedanken und Empfindungen herumgeschlagen, bald die Bilder aus seiner letzten Vergangenheit an sich hatte vorüberziehen lassen, kam ihm mit der Sehnsucht, sich gegen irgend eine befreundete Seele aussprechen zu können, der Gedanke an den Tischler, von dessen Unterkommen er noch nicht einmal genauere Kenntniß hatte. Er wandte sein Pferd und ritt im Trabe zurück; jetzt hatte er bei seiner Ankunft keine Begegnung mehr zu fürchten, und noch vor Einbruch der Dämmerung stand er vor dem deutschen „Hotel“, um des Tischlers Aufenthalt zu erfragen.

„Werden ihn schwerlich heute treffen können,“ beschied ihn der Wirth in der sonderbar leeren Gaststube; „er wohnt hier, aber Alles, was von den Deutschen zur Untersuchungspartei gehört, hat heute früher Feierabend gemacht und ist hinauf auf den Berg zu einer Massenversammlung.“

„Und Mangold gehört auch bereits dazu?“ fragte der Eingetretene nach einer kurzen Pause der Verwunderung, ohne sich eines leichten Spottes enthalten zu können.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 467. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_467.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)