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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Erwiderung; „es wird vielleicht sehr nöthig werden, dieser Untersuchungs-Partei zu zeigen, daß man sich gar nicht um sie kümmert. Arrangiren Sie einen Ball, wenn die Bewegung in ihrer vollen Höhe ist, und ich werde mit Vergnügen dafür sorgen, daß meine Freunde sich in voller Zahl einfinden – so etwas wirkt mehr in der öffentlichen Meinung, als jede Rechtfertigung, die sich auf gleichen Fuß mit den Widersachern stellt. Sie haben ohnedies in Ihrem Hause noch keine Gesellschaft seit Ihrer Verheirathung gesehen.“

„Ich werde selbst beurtheilen, was jetzt nothwendig wird,“ klang Graham’s Antwort. „Die letztausgegebenen Stadt-Schuldscheine sind noch in Ihrer Hand, Sir, ich werde mir diese unter den jetzigen Umständen von Ihnen zurückerbitten.“

„Ich bin völlig unglücklich, Sir, Ihnen nicht willfahren zu können; die Papiere sind bereits abgegangen, und es würde mich und die Stadt lächerlich machen, sie jetzt zurückzufordern.“

Eine kurze Pause entstand, dann hörte Hugo die Stühle rücken, und Winter sagte: „Ich gehe ein Stück Wegs mit Ihnen, Sir; hoffentlich sehe ich Sie morgen weniger aufgeregt und den Dingen ihren rechten Werth gebend.“

Eine Thür klappte, und die früheren Tritte näherten sich wieder der Treppe. Als sie das Zimmer des Deutschen passirten, ward ein Versuch zum Oeffnen der Thür gemacht, und Hugo vermuthete, daß Winter zu spät sich der Möglichkeit seiner Anwesenheit entsonnen. Der verschlossene Eingang schien ihn indessen beruhigt zu haben; der junge Mann hörte Beide die Straße betreten, und jetzt warf er sich auf den Divan, in völliger Unsicherheit über seine nächste Handlungsweise. Daß die Anreger einer Untersuchung gegen die Stadtverwaltung volle Ursache für ihr Verfahren hatten, daß Winter in die stattgefundenen Unredlichkeiten wenigstens theilweise eingeweiht war und sie zu seinem eigenen Nutzen ausgebeutet hatte, stand völlig fest in ihm; sollte er aber wegen etwas Vergangenen aus seiner kaum gewonnenen Stellung treten, jetzt, wo derartige Geschäfte von selbst ihr Ende gefunden zu haben schienen? Und vermochte er denn überhaupt zu beurtheilen, wie viel Schuld auf Winter’s Kopf fiel, der anscheinend sich in völliger Sicherheit fühlte? Er versuchte sich wieder in das Gedächtniß zu rufen, was Marquart, der Wirth und Stadtrath, über Winter geäußert – aber es waren nur dunkele Andeutungen; er hätte gern noch einmal mit dem Manne, der im Besitze von bestimmten Thatsachen zu sein schien, gesprochen, wenn er nur nicht gefürchtet hätte, dadurch eine Art Untreue gegen das Geschäftshaus, von dem er jetzt noch einen Theil bildete, zu begehen. Ueber alledem aber, welche Aussichten hatte er denn für seinen künftigen Unterhalt, wenn er aus vielleicht übertriebenen Gewissensscrupeln seine jetzige Stellung verließ? Er richtete sich auf und begann in leisen Tritten das Zimmer zu durchschreiten, bis der Gedanke, daß Winter zurückkehren und seine Anwesenheit wahrnehmen könne, ihn zum Verlassen des Hauses drängte. Einen vorläufigen Entschluß hatte er wenigstens gefaßt. Er sah jetzt klarer als vorher und er wollte abwarten, bis er durch eine bestimmte Thatsache ein Verlassen seiner Stellung ebensowohl gegen sich, als gegen den Geschäftsherrn rechtfertigen konnte.

Als er aus dem Zimmer trat, sah er Henderson neben der Treppe stehen und ihn mit groß aufgerissenen Augen anstarren. „Sie haben Alles gehört,“ sagte dieser mit gedämpfter Stimme, langsam auf ihn zutretend, „aber ich denke, es schadet nichts. Das sind die Geschäfte, die dieser Mr. Graham macht, mit denen er den Principal trotz dessen Vorsicht und Klugheit bethört hat, und die obendrein noch Miß Jessy in sein Netz gebracht haben. Ich habe doch gewußt, was zuletzt kommen würde, wenn ich auch nicht habe reden dürfen, und ich sehe den Herrn Comptroller noch im Staatsgefängniß. Nur Geduld, Sir, es wird noch Alles gut, Mr. Winter läßt sich nicht fangen, und Miß Jessy wird auch noch ihr Recht bekommen; schweigen Sie und warten Sie ab!“

Hugo fühlte das Blut in sein Gesicht steigen, ohne doch den Sinn der Rede völlig enträthseln zu können. „Ich weiß nicht recht, was Sie meinen, Sir,“ sagte er zögernd, „in die Geschäftsangelegenheiten habe ich noch zu wenig Einblick, und was außerdem Mr. Graham betrifft –“

„All right, Sir,“ unterbrach ihn der Alte, während in seinem Gesichte plötzlich ein voller Humor aufzuckte, „so weiß ich wenigstens, was ich meine. Sie heißen doch Hugo Zedwitz?“ Er blickte den Deutschen an, als wolle er sich an dem ungewissen Ausdruck von dessen Gesicht weiden, nickte dann und wandte sich nach seinem Zimmer.

Hugo meinte kaum mehr zweifeln zu dürfen, daß irgend ein Umstand den Alten eine frühere Beziehung zwischen ihm und Jessy vermuthen lasse, und je mehr er nach einer Aufklärung deshalb suchte, je bestimmter kam er auf die einzige Möglichkeit zurück, daß die junge Frau selbst zu einer derartigen Vermuthung Anlaß gegeben haben müsse; hatte sich doch der Alte gestern sogar ihres Vertrauens gerühmt. Sie konnte nach den eben gehörten Aeußerungen Graham’s in keiner glücklichen Verbindung leben, und ein eigenthümliches Gefühl durchschauerte ihn, wenn er sich die Möglichkeit einer nähern Berührung mit ihr in den jetzigen Verhältnissen dachte.

Er hatte sein Mittagsbrod eingenommen und ritt, nur mit Mühe sich der Gedanken erwehrend, welche die verschiedenen Ereignisse des Morgens immer auf’s Neue in ihm hervorriefen, nach Winter’s Farm; und kaum mochten die ersten Hufschläge seines Pferdes in dem Hause zu hören gewesen sein, als auch Carry schon in der Thür erschien und ihn mit einem leuchtenden Blicke begrüßte. Es war eine Veränderung in ihrem Aeußeren vorgegangen; ihr Haar saß fest und glatt, ihr Kleid zeichnete knapp die feinen Umrisse ihres Oberkörpers ab, und Hugo meinte erst heute rechte Augen für diese Erscheinung in frischester, jungfräulicher Blüthe zu erhalten. Sie bot ihm, als der herbeieilende Schwarze das Pferd in Empfang genommen, mit unverhüllter Freude die Hand, während dennoch, als er ihr mit unwillkürlichem Gefallen in die Augen blickte, ein helles Roth in ihre Wangen stieg, ohne indessen das Lächeln aus ihrem Gesichte zu entfernen. „Sie werden sich vorläufig wohl mit mir allein begnügen müssen,“ sagte sie, ihm leicht nach dem Zimmer vorangehend, „John ist wieder unwohl und will die Mutter nicht von sich lassen; ich habe mir indessen recht fleißig ein Stück durchgesehen, das ich Ihnen vorspielen werde, dann haben Sie mich tüchtig schlecht zu machen, wie ich’s verdiene, und ich werde für die Zukunft doch wieder wissen, wovor ich mich zu fürchten habe!“ Sie hatte mit einem neckischen Aufblicke selbst einen Stuhl für ihn herbeigerückt, ehe er es verhindern konnte, und öffnete das Piano.

„So haben Sie also Ihre frühern Lehrer gefürchtet, Miß?“ fragte er, angeregt von dieser ungefälschten Natürlichkeit, welche dem ganzen Wesen des Mädchens einen ungewöhnlichen Reiz verlieh.

„O, meine frühern Lehrer, das war etwas Anderes!“ lachte sie, „ich glaube eher, daß sie mich gefürchtet haben! – Aber warten Sie,“ unterbrach sie sich, plötzlich aufhorchend, „ich hatte außer meinem Stück noch etwas Anderes für Sie, und ich glaube, da ist es schon. Sitzen Sie ganz still, wir haben gar nichts gehört!“

Sie hielt den Kopf mit der gespannten Miene eines Kindes hoch, das die Entwickelung einer bereiteten Ueberraschung abwartet, und Hugo sah lächelnd in dieses klare, rosige Gesicht, das noch von keinem Gedanken, der eine Hülle nöthig gehabt, berührt worden zu sein schien, mehr mit der Betrachtung desselben als der Erwartung des Kommenden beschäftigt.

Ein Wagen hielt vor dem Hause, und in der nächsten Minute öffnete sich die Thür des Zimmers. Hugo hatte sich umgeblickt und schnellte von seinem Sitze empor – alles Blut war aus seinem Gesichte gewichen. Carry indessen sprang auf die schlanke Mädchengestalt, welche soeben in’s Zimmer getreten war, aber wie erschreckt ihren Schritt angehalten hatte, zu, faßte ihre Hand und rief, mit komischer Gravität ihre beiden Gäste einander vorstellend: „Mr. Zedwitz aus Berlin, jetzt im Geschäfte von Mr. Winter – meine Schwester Jessy, jetzt Mrs. Graham!“ Sie lachte fröhlich auf. „Hatte ich Dir nicht eine Ueberraschung zugesagt, Jessy?“

Das bleiche Gesicht der jungen Frau hatte einen Moment einen Ausdruck von Starrheit angenommen; Carry war aber kaum mit ihrer Rede zu Ende, als sich über die Züge der Ersteren ein kaltes, ruhiges Lächeln breitete und sie, die Hand leicht vorstreckend, auf den Deutschen zutrat. „Es ist wirklich eine Ueberraschung, die mir durch Ihre Anwesenheit bereitet wird, Sir,“ sagte sie langsam; „ich war ohne eine Ahnung von Ihrem Hiersein, hätte aber noch viel weniger eine so nahe Beziehung zwischen Ihnen und Mr. Winter vermuthet!“

Hugo’s Blick hatte, noch ehe sie sprach, ihre ganze Erscheinung erfaßt; das war noch immer dieselbe stolze Haltung des Nackens, dasselbe wunderbare Auge, das fast noch an Tiefe gewonnen zu

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 466. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_466.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)