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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

No. 30.   1862.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen.    Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.



Zwei Welten.

von Otto Ruppius.
(Fortsetzung.)


Als Hugo nach der Treppe zu seinem Zimmer schritt, kam ihm Henderson mit einem bedeutungsvollen Augenzwinkern von der Vorderthür entgegen. „Wenn Sie Mr. Graham kennen lernen wollen – er kommt soeben,“ sagte er halblaut. „Ja doch!“ setzte er, wie den Ausdruck von Hugo’s Gesicht beantwortend, hinzu, „Sie verrenken sich den Hals auch nicht, um ihn zu sehen; es geht Ihnen darin wie mir – das sind Privatsachen, und ich darf’s Ihnen sagen!“ Er warf dem jungen Manne einen launigen Blick voll Einverständniß zu und wandte sich dann nach den seitwärts liegenden Kaufmannsgütern; der Deutsche aber stieg die Treppe hinauf und suchte vergebens nach dem Sinne der Aeußerung, und erst als er, in sein Zimmer gelangt, sich seines Gesprächs mit dem Alten vom Abend zuvor erinnerte, als einzelne Blicke und die Betonung mancher Worte desselben vor sein Gedächtniß traten, fragte er sich, ob es möglich sei, daß der Mann mehr von seinen Empfindungen für die nunmehrige Mrs. Graham errathen, als jemals unter den jetzigen Verhältnissen gut sein konnte.

Er hatte die Thür verschlössen, um sich für den Besuch in Winter’s Familie umzukleiden, und nach wenigen Minuten unterbrachen doppelte Tritte auf der Treppe seine Gedanken. Die Heraufkommenden passirten sein Zimmer; bald vernahm er aber durch die Seitenwand ein Geräusch wie herbeigerückte Stühle, und das erste dort laut werdende Wort überzeugte ihn, daß irgendwo unter der Tapete eine dünne Stelle, eine frühere Thüre oder dergleichen vorhanden sein müsse, und unwillkürlich unterbrach er seine Bewegungen.

„Sie wühlen wie die Prairiehunde, Winter,“ wurde eine erregte Stimme laut, „sie wollen eine Bürgerversammlung abhalten und ein Untersuchungscommittee ernennen, ich habe heute schon die Namen Derer, die sie auf uns hetzen wollen, erhalten. Gott mag wissen, wo der Verräther steckt, aber ich weiß, daß sie Kenntniß von Details haben, die mich zwingen werden, die Bücher vorzulegen, wenn wir nicht Alles aufbieten, um die ganze Bewegung niederzustimmen. Und nun nehmen Sie unter Ihren Freunden die Sache in die Hand, Freund, es ist die höchste Zeit dafür; wenn die große Geschäftswelt sich gegen diese Untersuchung als eine Untergrabung des städtischen Credits erhebt, so ist unser Spiel schon ein gewonnenes!“

„Well –!“ klang Winter’s ruhige Stimme, „ich glaube kaum, liebster Graham, daß ich auch nur einen Finger in der ganzen Angelegenheit rühren werde; ich weiß längst, was sich vorbereitet, aber ich, als völlig parteiloser Geschäftsmann, würde einen keineswegs nützlichen Verdacht auf mich laden, wenn ich ausfallend thätig die Partei der Stadtverwaltung nähme –“

„Aber glauben Sie denn, daß Sie außer Verdacht sind, Sir?“ rief Graham mit einem ärgerlichen Lachen.

„Um so weniger werde ich diesen noch mehr bestärken, Sir. Sie sind allerdings mein Schwiegersohn, was mich in der öffentlichen Meinung von selbst mit Ihnen in Verbindung bringt, aber was habe ich außerdem mit der Finanz-Verwaltung der Stadt zu thun?“

„Natürlich nichts, als daß Sie Ihren Gewinnantheil in die Tasche stecken. Wissen Sie wohl, Sir, daß ich im Augenblicke nicht weiß, was ich mehr bereuen soll, den ersten Schritt, den ich zu einer Geschäftsverbindung mit Ihnen that, oder den letzten, der mich zu Ihrem Schwiegersohne machte?“

Winter ließ ein völlig natürliches Lachen hören. „Gut, wirklich gut!“ rief er, „habe ich denn in Beidem nicht nur Ihren drängenden Bitten nachgegeben? Sie sind aufgeregter, als Ihnen gut ist, Graham. Was zwischen Ihnen und Jessy liegt, weiß ich nicht, ist auch nicht meine Sache, im Uebrigen aber sagen Sie mir doch, um was Sie besorgt sind. Haben Sie denn etwas in Ihren Büchern, das Sie bei einer Untersuchung zu fürchten hätten? So weit meine Geschäftsverbindung mit der Stadt geht, sind doch alle Ihre Posten darin die Unschuld selbst – was kümmert Sie denn diese ganze Untersuchungs-Komödie? “

„Habe ich Ihnen denn nicht gesagt, daß die Hauptwühler Kenntniß von einzelnen Details haben, die, eben weil meine Bücher nichts davon wissen, uns einen völligen Sturm bereiten müssen, sobald wir nicht Herr der jetzigen Bewegung werden? Ich sage Ihnen noch einmal, Sir, vereinen Sie Ihre Kräfte mit den unsern, wenn Sie nicht selbst mit in den Strudel hineingezogen sein wollen!“

„Und ich sage Ihnen, Mr. Graham,“ klang Winter’s Stimme in voller Bedeutsamkeit, „daß ich Sie nicht verstehe, daß ich nicht den entferntesten Grund sehe, weshalb ich mich in Dinge mischen soll, die mir absolut fremd sind. Ich bin der Agent der Stadt gewesen, das ist Alles, was geht mich als solcher die innere Verwaltung an?“

„Aha!“ ließ sich der Andere mit einem kurzen, gezwungenen Lachen hören, „Sie ziehen den Kopf aus der Schlinge und nehmen die Beeren mit sich. Very, well, so mag Jeder, ohne eine Verpflichtung gegen den Andern, seinen eigenen Weg gehen. Von heute ab, Mr. Winter, sind wir geschiedene Leute.“

„Ich sehe auch dazu keinen Grund, Sir,“ war die ruhige

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 465. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_465.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)