Seite:Die Gartenlaube (1862) 458.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Beethoven’s darstellten. Dies ist glücklicherweise nicht der Fall. Unter der rauhen Hülle schlug ein edles, liebebedürftiges Herz. Dies geht zunächst aus dem hinterlassenen Testament an seine Brüder hervor. Wir theilen wenigstens den Anfang desselben mit. „O ihr Menschen“ – beginnt er – „die ihr mich für feindselig, störrisch oder misanthropisch haltet, wie unrecht thut ihr mir! ihr wißt nicht die geheime Ursache von dem, was euch so scheinet; mein Herz und mein Sinn waren von Kindheit an für das zarte Gefühl des Wohlwollens, selbst große Handlungen zu verrichten, dazu war ich immer aufgelegt; aber bedenket nur, daß seit sechs Jahren ein heilloser Zustand mich befallen, durch unvernünftige Aerzte verschlimmert von Jahr zu Jahr. In der Hoffnung, gebessert zu werden, betrogen, endlich zu dem Ueberblick eines dauernden Uebels (dessen Heilung vielleicht Jahre dauert oder gar unmöglich ist) gezwungen, mit einem feurigen, lebhaften Temperament geboren, selbst empfänglich für die Zerstreuungen der Gesellschaft, mußte ich früh mich absondern, einsam mein Leben zubringen. Wollte ich auch zuweilen mich einmal über Alles das hinaussetzen, o wie hart wurde ich durch die verdoppelte traurige Erfahrung meines schlechten Gehörs dann zurückgestoßen! und doch war’s mir noch nicht möglich, den Menschen zu sagen: sprecht lauter, schreit, denn ich bin taub; ach, wie wäre es möglich, daß ich die Schwäche eines Sinnes angeben sollte, der bei mir in einem vollkommeneren Grade als bei Andern sein sollte, eines Sinnes, den ich einst in der größten Vollkommenheit, wie ihn Wenige von meinem Fache gewiß haben, noch gehabt habe – o ich kann es nicht, darum verzeiht, wenn ihr mich da zurückweichen sehen werdet, wo ich mich gern unter euch mischte. Doppelt wehe thut mir mein Unglück, indem ich dabei verkannt werden muß; für mich darf Erholung in menschlicher Gesellschaft, feineren Unterredungen, wechselseitigen Ergießungen nicht statt haben; ganz allein fast, und soviel als es die höchste Nothwendigkeit erfordert, darf ich mich in Gesellschaft einlassen, wie ein Verbannter muß ich leben.“

So wird man wohl den Worten Seyfried’s glauben müssen, der den Meister lange gekannt, keineswegs blind für seine Schwächen war, und ihm doch Rechtlichkeit, strenge Moralität, sittliches Gefühl, Wohlthätigkeit und frommen Sinn zuschreibt.

Die Abfassung seines Testaments zeigt, daß Beethoven mit der Feder nicht sehr gewandt gewesen. Aber seine Bildung war demohngeachtet nicht gering. Er verstand lateinisch, französisch und italienisch. Er hatte für Poesie einen tiefen Sinn, und las und kannte die besten in- und ausländischen Dichter. Unter den deutschen war Goethe sein Liebling. Die Universalhistorie war ein Lieblingsstudium von ihm. Auch in andern schönen Wissenschaften und Künsten besaß er nicht gewöhnliche Kenntnisse.

Beethoven war nie verheirathet, aber sehr oft verliebt, und immer in Personen aus den höchsten Kreisen. Obwohl nun seine äußere Persönlichkeit nichts Anziehendes hatte, so ist doch eine seiner Neigungen ernstlich erwidert worden, wie übrig gebliebene Briefe beweisen. Doch wird allgemein behauptet, daß alle diese Verhältnisse nur platonischer Art gewesen seien.

Er starb am 26. März 1827 Abends gegen 6 Uhr an den Folgen der Wassersucht, im 57. Jahre seines Alters. Sein Leichenbegängniß fand am 29. März um 3 Uhr Nachmittags in feierlichster Weise statt. Er ruht auf dem Währinger Friedhofe nächst Wien, unter einem Denkmale, das ihm seine Freunde und Verehrer haben setzen lassen.

Die Poesie hat den unübertrefflichen Meister in zahlreichen Gedichten gefeiert. Bilder sind unzählige von ihm erschienen; Medaillen hat man auf ihn geprägt, Ehrendiplome hat er erhalten, Monumente sind ihm errichtet worden. Eines der allerinteressantesten Denkmale für die ganze Musikwelt ist jetzt ihm zu errichten begonnen worden, die „vollständige, kritisch durchgesehene, mit Genehmigung aller Originalverleger überall berechtigte Ausgabe aller Beethoven’schen Werke, zunächst aller derjenigen gedruckten Werke, deren Echtheit unzweifelhaft erschien.“ Auch viele bisher noch ungedruckte sollen in diese Aufgabe aufgenommen und, je ihrer Gattung nach, den einzelnen Serien angeschlossen werden. Der Preis ist verhältnißmäßig, bei der eleganten Ausstattung, äußerst billig und wird im Verhältniß zu dem Inhalte nur ungefähr die Hälfte der üblichen Musikalienpreise betragen.

Es wird Wenige geben, die seine sämmtlichen Werke besitzen oder auch nur alle kennen. Aber es giebt aller Wahrscheinlichkeit nach keinen Einzigen, der von jedem Werke eine sichere, correcte Ausgabe besäße. Beethoven’s Werke wurden nicht allein vielfältig und oft sehr liederlich nachgedruckt, es sind auch manche Compositionen von Andern unter seinem Namen in die Welt geschmuggelt worden. Die Härtel’sche Ausgabe liefert zum ersten Male alle echten Beethoven’schen Werke und in der sorgfältigsten Correctur. Ein sehr erfreulicher Umstand ist es auch, daß die sämmtlichen Schöpfungen des Meisters in drei Jahren, bis 1864, im Besitz der Musikfreunde sein sollen. Unschätzbare Vortheile bietet dieses opfermuthige Unternehmen der Herren Verleger.

Aus der Betrachtung und Vergleichung aller seiner Werke, wie sie der Zeit nach auf einander folgen, lassen sich Lehren abstrahlen, die das genießende Publicum wie die studirenden Kunstjünger sicherer führen möchten, als jene tief philosophischen und ästhetischen Raisonnements, welche oft von Gesichtspunkten ausgehen, an die der Meister nicht gedacht hat, an die überhaupt kein Meister denkt. Wir sind nicht gesonnen, diese Raisonnements zu vermehren. Nur einige unserer Ansicht nach falsche Meinungen über sein Wesen als Künstler, die bis heute noch cursiren, wollen wir zu berichtigen versuchen.

Man theilt die Beethoven’schen Werke in drei verschiedene Stylperioden ein: in der ersten sei er den Spuren Mozart’s nachgezogen, in der zweiten trete er ganz selbstständig und eigenthümlich auf, in der dritten habe er die Grenzen der Tonkunst überschritten. Die zwei ersten Punkte mögen zugegeben werden. Ueber den dritten wird bis heute gestritten, aber in’s Klare darüber ist man noch nicht gekommen. Zwei Parteien stehen sich hier schroff gegenüber. Die eine erklärt die dritte Stylart für die vollkommenste, ja für den Ausgangspunkt zu einer neuen Aera der Musik. Die andere verwirft diese Richtung in Bausch und Bogen als eine absolute Überschreitung der echt musikalischen Kunstgesetze. Beide Parteien gehen zu weit. Von wirklichen Sünden gegen die musikalische Aesthetik kann bei einem Beethoven die Rede nicht sein. Wohl aber hat er manche gute Kunstmaxime zuweilen zu kühn, künstlich und subtil ausgeprägt. Einige der spätern Quartette, etwa vom 13. bis zum letzten, 17., bringen den reinen, durchaus ungetrübten Kunstgenuß nicht mehr hervor, der uns bei der Mehrzahl seiner andern Werke entzückt. Aber außer dem 16. Quartett, Opus 133, mit der scurrilen Fuge, sind es in anderen immer nur einzelne Stellen, welche uns nicht anmuthen wollen, keineswegs, wie manche behaupten, ganze Sätze oder Stücke. In allen, außer dem genannten Opus, tauchen zwischen düstern, räthselhaften Gedanken viele von der höchsten Schönheit hervor. Der größte Irrthum aber, der noch immer von Vielen festgehalten wird, liegt in den Ursachen, welche man der dritten Stylart unterlegt. Es sind deren hauptsächlich drei.

Erstens sollen seine düsterern, unverständlicheren und unwirksameren Werke durch seine traurigen und peinlichen Lebensumstäude hervorgerufen worden sein. Sie hätten sein Gemüth verbittert, seine Phantasie verdüstert. Man braucht nur den Styl seiner neun Symphonien, wie sie der Zeit nach auf einander folgen, mit dem Schicksalsgang seines Lebens zu vergleichen, um sogleich zu erkennen, daß der Geist dieser Compositionen mit seinen realen Lebenszuständen nicht Schritt hält. Wann hat er seine sechste, die Pastoralsymphonie, geschrieben? In einer bereits sehr traurigen Lebensperiode. Und der künstlerische Vorwurf dieser Symphonie? 1) Erwachen heiterer Empfindungen bei der Ankunft auf dem Lande; 2) Scene am Bach; 3) Lustiges Beisammensein der Landleute; Gewittersturm; Hirtengesang; frohe und dankbare Gefühle nach dem Sturm. – Wie heiter, lieblich, zum Theil humoristisch sind diese Empfindungen musikalisch gemalt! Noch später, in Beethoven’s trübster Zeit, erschien die kleine, knappe, achte Symphonie in F dur, mit dem wunderlieblichen, klaren Andante-Scherzo und der ganz in Haydn’s und Mozart’s Zeit zurückgreifenden Menuett. Auf diese achte aber folgte die an Form, Umfang und Inhalt riesenhafte und tiefsinnigste neunte Symphonie über Schiller’s „Lied an die Freude“. Dieselben unerwarteten Uebersprünge von einer Stylart in die andere sind in Beethoven’s Sonaten, Trios, Quartetts u. s. w. zu bemerken.

Die zweite Ursache seiner dritten Stylart soll in dem Einfluß liegen, welchen die gewaltigen Zeitereignisse und die dadurch gebildete düstere Weltanschauung auf den Geist seiner Tondichtungen ausgeübt hätten. Hiernach müßte eine ruhige Zeit heitere, eine wild bewegte stürmische, düstere Tonwerke hervorrufen. Gerade das Gegentheil zeigt sich im Ganzen in den Beethoven’schen Compositionen.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 458. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_458.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)