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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Ein armer Mann steht dort so allein in der Welt wie in Deutschland auch, aber er hat doch in Brasilien den ungeheuren Vortheil, daß er, wenn er wirklich arbeiten will, auch ein Terrain für seine Thätigkeit bekommen und sich mit der Zeit eine eigene Heimath gründen kann.

Süd-Brasilien ist deshalb, meiner Meinung nach, ein vortreffliches Land für deutsche Auswanderung, und besonders in jetziger Zeit, wo es keinem Deutschen anzurathen ist, nach den Vereinigten Staaten von Nordamerika auszuwandern, halte ich es für dringend gerathen, den Strom der deutschen Auswanderung den verschiedenen Theilen Süd-Amerikas zuzuwenden. Daß nicht Alle dabei nach Brasilien gehen können, versteht sich von selbst, denn nicht alle Auswanderer verfolgen gleiche Zwecke, haben gleiche Interessen. Der Ackerbauer aber wählt am besten den südlichen Theil Brasiliens oder Chile, der Viehzüchter Uruguay und die La-Plata-Staaten der Speculant Peru oder Buenos-Ayres, wie sämmtliche Hafenstädte, auch Ecuador, das gerade in jetziger Zeit einer nicht unbedeutenden Zukunft entgegen geht. Wer aber tropischen Landbau treiben will und natürlich die Mittel hat, etwas selbstständig anzugreifen, wer Cacao, Kaffee, Vanille etc. ziehen und unter Palmen wandeln will, der mag in den Norden Brasiliens oder noch besser nach Ecuador gehen, wo er das gesunde Land wenigstens gleich zur Hand hat, und sich auch selber auf tropischem Boden noch eine von Krankheiten ungefährdete Heimath gründen kann.

Außer diesem allgemeinen Ueberblick der brasilianischen Verhältnisse möchte ich dem Leser aber auch noch mit kurzen Worten ein paar Einzelheiten mittheilen, die ihm, wenn er, Lust hat nach dorthin auszuwandern, von Nutzen sein können. Die brasilianische Regierung begünstigt deutsche Einwanderung, hat aber bis jetzt den Fehler gemacht, um deutsche Auswanderer anzuziehen, deutschen Agenten ein gewisses Kopfgeld zu bewilligen, eine Maßregel, deren schlechte Folgen nicht auf sich warten ließen. Diesen Herren lag natürlich nur daran, die größtmöglichste Anzahl von Köpfen abzusenden, und Alte, Schwache, Kranke, jede Art von Gesindel zählte gleich. Von diesem Geschäftsbetrieb scheint man aber jetzt in Brasilien absehen zu wollen. Der Auswanderer bekommt nicht mehr freie Passage, die er drüben abzuarbeiten hat, sondern wenn er aus freien Stücken hinüber kommt und seine Absicht erklärt, sich auf brasilianischem Boden niederzulassen, so schenkt ihm die Regierung eine sogenannte Colonie, d. h. ein wildes Stück Land, das früher seine 160,000 Quadrat-Brazos umfaßte, während jetzt gewöhnlich nur 100,000 Quadrat-Brazos gegeben werden. Im Urwald erhält dabei der Ansiedler gewöhnlich 100 Brazos breite Front. Ein brasilianischer Brazo (Armspanne) oder Klafter ist aber größer als eine deutsche Klafter oder selbst ein englischer Fathom und wird etwa 7 Fuß 2 Zoll rheinisch betragen. 100,000 solche Quadrat-Brazos bilden deshalb schon ein ganz hübsches Stück Feld und sind jedenfalls für eine Einwandererfamilie genügend, den ersten Beginn darauf zu machen und in der neuen Heimath festen Fuß zu fassen.

Hier wird besonders der nutzbare Maniok (Manihot utilissima, auch bittere Yucca oder Cassavastrauch genannt) gebaut, dessen Mehl, neben einer delicaten und sehr nahrhaften schwarzen Bohne, das Hauptnahrungsmittel der Brasilianer bildet. Das Maniokmehl wird bekanntlich aus den Wurzeln, deren jeder Strauch 3–8 von 1–2 Fuß Länge und 3 Zoll Durchmesser hat, dadurch bereitet, daß man die Wurzeln durch Zerreißen, Auspressen, mehrmaliges Waschen mit Wasser von einem scharfen und giftigen Milchsaft befreit, der in ihnen enthalten ist, worauf man den ausgepreßten Satz trocknet. Sonst baut man noch hauptsächlich Mais und Kartoffeln, in den südlichen Provinzen Weizen und in den nördlicher gelegenen Kaffee. In diesen gedeiht auch das Zuckerrohr vortrefflich, was zwischen den deutschen Colonien von Rio Grande noch nicht so recht fort will, da es dann und wann ein Frost zerstört. Ueberhaupt darf man sich die Provinz Rio Grande ja nicht etwa zu tropisch denken, wenn auch eine kleine Art von Palmen überall gedeiht. Dieselben Palmen habe ich aber auch in Uruguay getroffen, wo der Boden mit Reif und stehende Lachen mit fingerdickem Eis bedeckt waren.

Der neue Colonist hat aber besonders darauf zu sehen, daß er nicht zu weit in das Land hineingeschickt wird, um etwa eine neue Colonie mit gründen zu helfen, die weder eine Wasserstraße, noch sonstige Verbindungswege hat. Ihm bleibt in den ersten Jahren wenig Zeit, an den Straßenbau zu denken, da er sein eigenes Land zu Feld und sein Feld zur Saat herrichten muß. Das Beste ist deshalb, er sucht in die Nähe eines wenigstens mit Booten schiffbaren Flusses zu kommen oder sich doch an einer fahrbaren Straße auzusiedeln. Er hat an diesen immer noch mit genügenden Schwierigkeiten zu kämpfen, seine Producte in der Regenzeit zu Markt zu bringen.

Uebrigens verstattet die brasilianische Regierung aber selbst jetzt noch den neuen Ansiedlern sogenannte Subsidien-Gelder, die ihm zinsfrei gegeben werden, aber natürlich mit der Bedingung, sie in einer bestimmten Reihe von Jahren (gewöhnlich fünf) zurückzuzahlen. Er kann auch Ackergeräth und Lebensmittel für den ersten Beginn bekommen, und ich weiß wirklich kein anderes Land der Welt, wo besonders der deutsche Colonist von irgend einer Regierung (seine eigene natürlich gar nicht ausgenommen) so begünstigt wäre, wie in Brasilien.

Daß es auch in Brasilien Leute giebt, die ihn zu betrügen suchen und auch wirklich betrügen, da der deutsche Einwanderer meist immer wie ein Kind – so kindlich und unpraktisch – ist, versteht sich von selbst, und wo geschieht das nicht? Er mag deshalb die Augen aufhalten und sich ein wenig in Acht nehmen. Jedenfalls wird er mit der Zeit und durch Erfahrung klug und lernt sicherlich in jedem fremden Welttheile in einem Jahre mehr, als daheim in zehn.

So eben kommt mir wieder ein Aufsatz zu Gesicht, der aus der alten Quelle, aus Berlin, fließt und Brasilien begeifert. Er beruft sich auf zwei Documente, das eine einen Protest von vierzig Deutschen betreffend, die nicht in die Nationalgarde treten wollen, das andere eine Weigerung des Oberkirchenraths, Geistliche nach Brasilien zu senden. Das Gesetz der Nationalgarde in Brasilien ist folgendes: Kein Deutscher braucht in Brasilien in die Nationalgarde zu treten, wenn er sich nicht naturalisiren läßt und dadurch brasilianischer Bürger wird. Als solcher hat er dann natürlich auch allen Pflichten eines brasilianischen Bürgers zu genügen. Niemand wird aber gezwungen, sich naturalisiren zu lassen, denn ich habe eine Masse alter Colonisten gesprochen, die schon 30 Jahr in Brasilien leben, ohne naturalisirt zu sein. Ihre Kinder aber, von denen auch schon viele wieder starke Familien haben, werden, wie sich das von selbst versteht, als Brasilianer betrachtet und können sich also auch nicht dem Dienst der Nationalgarde entziehen.

Was das andere Schreiben betrifft, so bestätigt es weiter nichts, als die Unwissenheit des Berliner Oberkirchenraths über brasilianische Verhältnisse. Die Deutschen in Brasilien haben der dortigen Regierung fortwährend in den Ohren gelegen und um protestantische Geistliche gebeten, die von der Regierung selber angestellt werden. Die Regierung ging darauf ein und verlangte nur passende Leute vorgeschlagen zu bekommen – aber es gab keine, und eine Zahl eben nicht passender Subjecte verrichtete nicht selten die heiligen Handlungen in den Colonien. Die Regierung wußte sich endlich nicht anders zu helfen, als daß sie nach Berlin an das Oberconsistorium oder sonst wohin schrieb und um würdige protestantische Geistliche bat. Jetzt ist das auch wieder nicht recht, und weil sich der Oberkirchenrath weigert, einige der Herren hinüber zu schicken, hat Brasilien wieder Ungeheuerliches begangen.

Es ist nicht mehr als recht, die Fehler eines Landes aufzudecken, besonders wo es sich um Auswanderung handelt und das Glück oder Unglück von Tausenden davon abhängt. Es ist aber ein trauriges Geschäft, wie es jener Berliner Herr betreibt, nur aus verletzter Eitelkeit oder sonstigen Privatgründen ein Land unausgesetzt zu schmähen, in dem Tausende unserer Landsleute eine glückliche Heimath gefunden haben und noch finden. – Er sollte nur hören, wie die Deutschen in Brasilien selber über ihn urtheilen.

Was die Parcerieverträge betrifft, so verweise ich darüber auf meinen anderen Artikel in diesem Blatte: „Wohlgemeinte Warnung für Auswanderer[WS 1].“

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Wohlgemeinter Rath für Auswanderer
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 456. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_456.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)