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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Grund vor, mir ein so specielles Wohlwollen zuzuwenden, als ich es Ihnen schon jetzt zu danken habe –“

Winter’s Hand, die sich auf seine Schulter legte, unterbrach seine Worte. „Gut, Sir!“ erwiderte dieser, „es freut mich, daß Sie meinen Wunsch, Ihnen den Anfang in unserem Lande zu erleichtern, anerkennen. Sie haben Recht, ich hätte zwanzig andere, mehr als Sie routinirte junge Leute haben können; aber ich arbeite grundsätzlich mit Niemand, der vielleicht morgen mit derselben Gleichgültigkeit mein Geschäft verläßt, als er es heute betreten. Ich kenne Sie nur oberflächlich aus Ihren Berührungen mit meiner Tochter und unserer ersten Begegnung; trotzdem ist mir das Wenige genug zur Beurtheilung Ihres Charakters gewesen. Sie werden, wo Sie sich anschließen, dies mit ganzer Seele thun, werden das Interesse eines Geschäfts, dem Sie sich widmen, zu dem Ihren machen, und so handele ich nur in meinem eigenen Vortheile, wenn ich gleich völlig Besitz von Ihnen nehme und Ihnen möglichst schnell eine Heimath zu schaffen versuche. Die Anforderungen zur Gegenleistung werden sich Ihnen bald genug zeigen, und darum nehmen Sie nur jetzt die Dinge, gerade wie sie sich bieten! Da ist das Pferd,“ fuhr er fort, als an der Hand eines Negers ein schlankes, feuriges Thier herantanzte; „es hat eine Zeit lang gestanden, und Sie werden es gut im Zügel halten müssen; Jessy hat ihm ohnedies wenig Sanftmuth beigebracht!“

Der Deutsche hätte auf die ihm gebotene Erklärung kaum etwas Anderes thun können, als seinem Schicksale zu danken, und so wandte er seine Aufmerksamkeit dem Thiere zu, das früher ihr Eigenthum gewesen; fast überkam ihn ein Gefühl, als sei es ein hinterlassenes Erinnerungszeichen an ein verlorenes Glück. Er nahm die Zügel und klopfte schmeichelnd den feinen Hals des Pferdes, blickte ihm dann in die lebendigen Augen und sprach beruhigende Worte zu ihm, untersuchte unter steten Liebkosungen die Festigkeit des Sattelgurtes, und als es unter seiner Behandlung sichtlich Ruhe gewann, nahm er die Zügel kurz zusammen und schwang sich leicht auf. Kaum fühlte es indessen die Last, als es sich auch hob und ein paar kräftige Versuche machte, die Zügel zu durchbrechen; zweimal drehte es sich unter der fesselnden Macht des Reiters im Kreise, dann aber schien es seinen Meister zu erkennen und dem beruhigenden Zusprechen desselben Gehör zu geben; mit schäumendem Gebisse stand es, und nun reichte er dem künftigen Principale die Hand, der ihm ein lachendes: „Sie sind der Mann, Sir! ohne viel Lärm seinen Willen durchgesetzt!“ zurief, grüßte Carry, die vom Portico aus mit leuchtenden Augen sein Aufsitzen beobachtet, und sprengte davon.

Erst als er sich auf der großen Straße fand und das Pferd in regelmäßigem leichtem Trabe vorwärts ging, versuchte er die erhaltenen Eindrücke zu ordnen, aber er kam nicht über den Versuch hinaus. Es war ihm, als habe er soeben jedes bestimmte Ziel für sein Leben verloren, und dennoch fand er sich in eine Lage versetzt, die ihm nach allen Seiten hin so wohl that, daß er kaum recht zu dem Gefühle seines Unglücks zu kommen vermochte. Die Bewegung des Thieres unter ihm, der Gedanke, es zu seiner ausschließlichen Disposition zu besitzen, regten sein Blut wohlthuend auf, Carry’s helle, lebendige Augen traten vor ihn, und erst als er unwillkürlich einen Vergleich zwischen den beiden Schwestern ziehen wollte, als Jessy’s hohe Gestalt, ihr tiefblaues, wunderbares Auge und der eigenthümliche Reiz, der ihre ganze Erscheinung auszeichnete, vor seinem innern Ange standen, erfaßte ihn der volle Schmerz einer getödteten Hoffnung, von der er noch kaum gewußt, wie tief sie sein ganzes Denken und Empfinden durchdrungen, begann er über den Widerspruch, der in dieser Heirath und dem stolzen Wesen des Mädchens lag, zu grübeln – es war ihm, als habe sie sein ganzes Innere kennen, als habe sie wissen müssen, daß er kommen werde, und er mochte eher an ein Räthsel, das er jetzt nicht zu lösen vermöge, glauben, als an eine freie Zustimmung ihrerseits zu dieser sonderbaren, raschen Verbindung.

Die Dämmerung fing an bereits einzubrechen, als Hugo in die Stadt einritt; nach Kurzem indessen erreichte er Winter’s Geschäftslocal, wo soeben der Graukopf, welchen er am Morgen in der Office gesehen, die Thüren zu schließen begann. Der Ankommende benachrichtigte den Alten von seinem beabsichtigten Einzuge und reichte ihm „zu guter Cameradschaft“ die Hand; Henderson faßte sie und ließ einen eigenthümlich musternden Blick über die ganze Erscheinung des jungen Mannes laufen. „Weiß schon das Nöthige, Sir,“ nickte er dann, „und ich denke, wir werden uns vertragen; wenn Sie zurückkommen, sollen Sie Alles bereit finden!“ Er deutete ihm den Weg durch eine Seitenthür nach dem obern Stock an, bezeichnete ihm darauf einen nahegelegenen Leihstall zum Einstellen des Pferdes, und nach zehn Minuten stand Hugo wieder vor dem deutschen Gasthause, um sich hier zu verabschieden. Die bereits erleuchtete Schenkstube war zum großen Theil mit Gästen gefüllt, jungen Leuten im Arbeitsanzuge und älteren Männern im Bierrocke mit der langen deutschen Pfeife; dazwischen aber bewegte sich eine Figur in halbaufgestreiften Hemdärmeln, und der Eingetretene erkannte schnell den für ihn als Barkeeper bereits eingetroffenen Ersatz. Hinter dem Schenktisch war der Wirth mit Füllen und Spülen der Gläser beschäftigt und schien die Bewegungen des Neulings zu überwachen und zu leiten – das war also das Bild, in welchem Hugo zum Beginn seiner amerikanischen Thätigkeit die Hauptrolle hatte spielen sollen, und mit einem unwillkürlichen Athemzuge, als habe ihn jetzt noch der Gedanke bedrückt, ließ er sich an einem Seitentische nieder, um sich vor seinem Auszuge mit einem Imbisse zu stärken.

Das laut geführte Gespräch der Gäste an dem langen Haupttische schien sich um einen Gegenstand von allseitigem Interesse zu drehen; so viel der junge Mann in seiner Unkenntnis; aller amerikanischen Verhältnisse verstehen konnte, berührte es die Verwaltung der städtischen Finanzen, und nicht ohne Verwunderung hörte er die Handlungsweise der obersten Beamten einer Kritik unterziehen, wie er einer solchen im offenen Wirthshause noch nicht begegnet war. Es wurde der Verdacht aufgestellt, daß die contrahirten Schulden der Stadt weit über das bewilligte Maß hinausgingen, ohne daß sich doch eine Verwendung des Geldes nachweisen lasse; daß alle öffentlichen Arbeiten der Stadt um das Doppelte zu hoch angerechnet und nur an Leute vergeben würden, welche mit der Hälfte des von ihnen quittirten Betrages zufrieden seien; daß die kleinen Bonds der Stadt im allgemeinen Verkehr künstlich entwerthet würden, um sie dann billig aufkaufen und der Stadt wieder für voll anrechnen zu können – es wurde ein ganzes Betrugssystem angedeutet, durch welches die Häupter der Stadt sich bereicherten, ohne daß es den Steuerzahlern möglich werde, sich einen Einblick in das Unwesen zu verschaffen. Hugo horchte lebendig interessirt auf diese Enthüllung amerikanischer Zustände, war überrascht von dem klaren Verständniß junger Leute, die ihrem ganzen Aeußern nach nur zum Arbeiterstande gehörten, und vergaß eine kurze Zeit lang seine eigenen Angelegenheiten.

Da trat der Wirth langsam hinter dem Schenktische hervor. „Ja, das Reden ist recht gut,“ sagte er, seine Mütze scharf rückend, „ändern wird es aber doch nichts, wenn nicht eine ordentliche That folgt, wie sie sich auf ruhigem und gesetzmäßigem Wege ausführen läßt!“

„Ruhig und gesetzmäßig!“ lachte ein junger Mann, welcher den Hauptsprecher zu machen schien, „haben Sie nicht selber im Stadtrathe auf eine Untersuchung angetragen, Vater Marquart, und sind überstimmt worden?“

„Habe auch gar nichts Anderes erwartet!“ nickte Jener, „und nun haben wir eben das Recht, uns auf andere ruhige Weise zu helfen. Ich denke, schon nächste Woche werden wir eine allgemeine Bürgerversammlung haben, die aus eigener Machtvollkommenheit ein Untersuchungs-Committee einsetzen wird. Wer nun bis jetzt hat reden können, der sorge dann dafür, daß in seiner Nähe kein Deutscher zu Hause bleibt. Wir werden nicht allein sprechen, sondern die Beamtenpartei auch; das Geld wird nicht geschont werden, damit Alles wieder im Sande verläuft, und der Aengstlichen giebt es auch genug, die sich vorreden lassen, der Credit der Stadt müsse unter dem lautwerdenden Verdachte zu Grunde gehen. Dann heißt es, eine sichere und respectable Majorität für uns haben! Könnt’s ruhig weiter erzählen, damit sich Jeder bereit halte; die Sache ist schon ziemlich fertig!“

Er wandte sich von seinen Zuhörern, unter welchen die Mittheilung plötzlich ein eifriges allgemeines Gespräch hervorrief, und traf mit seinem Blicke auf den Referendar. „Nun?“ fragte er, diesem zunickend, „die Stelle wirklich angenommen?“

„Ich wollte soeben mein Gepäck holen und mich noch einmal für Ihre Freundlichkeit bedanken!“

„Dachte ’s wohl! aber da es einmal so ist, bleibt der alte Marquart doch Ihr Freund, und wenn Sie einmal in irgend einer Lage einen Mann, der’s ehrlich meint, brauchen, so wissen

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