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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

No. 29.   1862.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen.    Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.



Zwei Welten.

von Otto Ruppius.
(Fortsetzung.)


Eine Secunde lang blickte der Deutsche die Sprecherin starr an, er meinte zuerst falsch gehört zu haben; dann aber war es ihm, als presse eine steinerne Hand sein Herz zusammen; er fühlte, daß er todtenbleich geworden war; gleichzeitig indessen erkannte er auch die Nothwendigkeit, eine eiserne Herrschaft über seine Empfindungen zu bewahren, und ein plötzlicher Gedanke voller Selbsthohn über seine Einbildungen, über seine Ideen von dem besondern Wesen des Mädchens, dem er willenlos seine Zukunft in Deutschland geopfert, gab ihm wunderbar schnell seine äußere Fassung zurück. „Verheirathet!“ sagte er, leicht den Kopf beugend, „ist es vielleicht ihr damaliger Begleiter, Mr. Graham, dem Miß Winter gefolgt ist?“ Er hatte einen halben Anklang von Ironie in seinem Tone nicht zu unterdrücken vermocht, und als er aufsah, begegnete er einem eigenthümlichen, halb sinnenden Blicke Carry’s, der an seinem Gesichte hing.

„Es ist wirklich Mr. Graham, der Jessy’s Mann geworden,“ erwiderte sie, ohne den Ausdruck ihres Auges zu ändern, „hatten Sie den Gentleman kennen gelernt, Sir?“

„O, weniger als oberflächlich!“ versetzte er, sich rasch erhebend; „Sie sprachen von Ihrem Piano, Miß, es sollte mich freuen, Ihre Uebungen Ihnen möglichst angenehm machen zu können; jedenfalls sind wir jetzt Zwei und werden so gegenseitig ein Publicum für unsere Leistungen vorstellen – Sie sind wahrscheinlich eine kleine Virtuosin, vor der ich mich werde zusammen nehmen müssen?“

„O, Sie machen mir mit Ihren Erwartungen Angst, nur eine Taste anzurühren!“ lachte sie auf und schien vor der plötzlichen Lebendigkeit seines Tones kaum die auffällige Aenderung des Gesprächs-Gegenstandes zu beachten; „hier sehen Sie, was ich zuletzt gespielt habe,“ fuhr sie fort, einige Musikalien vom Piano nehmend, daraus mögen Sie sich selbst das rechte Urtheil bilden!“

Hugo begann zu blättern, er schien sich oft in einzelne Stellen völlig zu vertiefen; aber er sah kaum mehr als die Reihen der Noten. Vor seiner Seele stand nur das dunkele, verwirrende Räthsel: sie, der stolze, unabhängige Charakter, als Frau eines Mannes, dessen Verachtung sie ihm gegenüber deutlich gezeigt hatte, und er empfand eine Erleichterung, als sich jetzt die Thür öffnete, und Winter seine Frau und seinen Sohn hereinführte. Trotz der Selbstbeherrschung indessen, die er mit seiner ganzen Kraft aufrecht zu erhalten suchte, fühlte er sich doch in der nächsten Viertelstunde nur wie halb im Traume handeln, stellte er, während er sprach, die ganz abgesonderte Betrachtung an, daß die erhaltene Nachricht fast wie ein physischer Schlag gegen seinen Kopf gewirkt habe. Er sah eine ältliche, einfache Frau, welche ihm die Hand reichte, sah einen bleichen, hageren Knaben von vielleicht zehn Jahren, der ihn mit halber Scheu anblickte, aber unter seinen Worten bald Vertrauen zu erlangen schien; er sah, wie die Mutter zu seinen Bemerkungen gegen sie lächelte und Winter zufriedengestellt nickte, und doch wollte es ihm fast vorkommen, als arbeite sein Gehirn und sein Mund nur halb mechanisch, als sei Carry’s Blick, auf welchen er zu Zeiten traf, es allein, der zu seinem innern Bewußtsein dringe. Er sollte zum Abendessen dableiben, aber er fühlte die Unmöglichkeit dazu und erbat es sich, heute noch seine Privatangelegenheiten zum Uebertritt in die neue Stellung ordnen zu dürfen, und auf eine leichte Andeutung Winter’s, welchem der Wunsch des jungen Mannes nur recht zu sein schien, verstummte das gutgemeinte Nöthigen der Frau. Er nahm Abschied, empfing von Carry, die ihm bis mitten in die Seele blicken zu wollen schien, einen leichten Händedruck und sah sich bald daraus, wie von einem Zauber erlöst, allein mit Winter im Freien.

„Ich halte unser Uebereinkommen vorläufig für abgeschlossen, Sir,“ sagte dieser, „ich sehe, daß Sie sich nicht unwohl unter uns fühlen werden, und so hoffe ich auch morgen, sobald ich im Geschäfte bin, mit Ihnen über die finanziellen Punkte überein zu kommen. Das Weitere wird sich dann finden. Der Schwarze sattelt soeben Ihr Pferd, Henderson wird Ihnen sagen, wo Sie es einstellen, und dann besorgen Sie nur ohne Weiteres Ihren Umzug. Das Zimmer ist für Nothfälle stets im Stande gehalten worden, und sollte Ihnen noch etwas darin fehlen, so werden wir morgen nachhelfen.“

Jeder Grund, welchen sich Hugo im Heimlichsten seiner Seele für Winter’s Freundlichkeit gegen sich angegeben hatte, erschien ihm, seit er Jessy’s Verheirathung erfahren, als nirgends mehr stichhaltig, und unwillkürlich überkam ihn jetzt eine Art Befremdung über ein Wohlwollen seines künftigen Principals, das er sich, selbst in Amerika, bei dem einfachen Verhältnisse eines Geschäftsherrn zu seinem Angestellten, nicht zu erklären vermochte. Sollte auch seine frühere gesellschaftliche Stellung zu einer Rücksicht für ihn beitragen, so hatte er doch auf der andern Seite noch nicht einmal eine Probe von seiner geschäftlichen Brauchbarkeit abgelegt, und in der stillen, innern Erregung, welche allen seinen Empfindungen eine eigenthümliche Schärfe gab, sagte er: „Ich werde durch Ihre Güte fast ängstlich, Mr. Winter; noch weiß ich nicht, ob meine Fähigkeiten Ihren Ansprüchen so genügen werden, als Sie es vorauszusetzen scheinen, und noch liegt nirgends ein

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 449. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_449.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)