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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

„Halloh! jetzt wird noch einmal gefrühstückt!“ schrie der Tischler auf, „ob wohl der Mangold schon einmal einen verkehrten Einfall gehabt hat!“

Der Wirth indessen blickte in sichtlicher Befremdung auf, ergriff nur leicht die dargebotene Hand und rückte dann zu verschiedenen Malen an seiner Mütze. „John Winter!“ sagte er endlich langsam; „muß eine sonderbare Laune haben, daß er noch einen Andern in seine Geschäfte sehen lassen will! Haben Sie schon in genauerer Verbindung mit ihm gestanden?“

„Nur wie man sich auf der Reise kennen lernt!“ erwiderte Hugo aufmerksam werdend, „ist etwas Besonderes mit dem Manne?“

Der Alte schob die Mütze zurück und kratzte sich hinter den Ohren. „Nichts, was sich so ohne Weiteres sagen ließe,“ versetzte er, „es thut mir aber beinahe leid, daß Sie gerade dort Ihren Anfang machen sollen!“

Der junge Mann war in diesem Augenblicke am wenigsten in der Stimmung, sich sein neues Glück trüben zu lassen; unwillkürlich trat ein Vergleich zwischen dem Besitzer des kleinen Gasthauses und dem Kaufmanne, der in der ersten Gesellschaft lebte, vor seine Seele, und fast mit einem Anklänge von Ironie fragte er: „Glauben Sie, daß ich Gefahr bei dem Manne laufen könnte?“

„Wenn Sie das damit meinen, was er Ihnen versprochen haben mag, gewiß nicht!“ war die ruhige Antwort, „sein Geld ist so sicher untergebracht, daß es ihm nicht wieder genommen werden kann; aber – nun ja!“ unterbrach sich der Sprechende, „ich könnte Ihnen sehr viel erzählen, und Sie würden mich doch nicht verstehen; es gehört eben schon eine Zeit in Amerika dazu, um sich aus Manchem selber einen Vers zu machen. Eins aber will ich Ihnen sagen: Ich bin der Alderman Marquart, was man in Deutschland Stadtrath nennt, und meine es mit Ihnen von Herzen gut, denn Ihr Landsmann hier hat mir genug von Ihnen erzählt. Wenn Sie einmal über Eins oder das Andere, das Ihnen bei Ihrer Arbeit aufstößt, Zweifel im Gemüthe fühlen sollten, so kommen Sie nur zu mir, und ich werde als rechter Freund zu Ihnen reden, und vielleicht ist dann auch der Stadtrath gerade die rechte Person, die Sie sich wünschen!“ Er erhob sich langsam und ging nach dem Hintergrunde des Zimmers, wo der Schenktisch stand.

Hugo wandte einen fragenden Blick nach dem Tischler, und dieser zog eine wunderliche Grimasse. „Ein Barkeeper wie Du hätte ihm freilich schmecken sollen!“ sagte er halblaut und erhob sich dann mit einem Winke, das Zimmer zu verlassen.




6. Die Täuschung.

Am Nachmittag saß Hugo zur Seite seines neuen Principals in einem leichten eleganten „Buggy“, den ein großer, prachtvoll gebauter „Traber“ windschnell auf der Straße jenseits des Flusses davon führte, und das Gefühl, wieder in Kreise einzutreten, die seinen bisherigen Neigungen und Gewohnheiten entsprachen, schuf eine Leichtigkeit und Sicherheit in ihm, welcher selbst der Gedanke an das erste Begegnen mit ihr, die er in der nächsten halben Stunde zu sehen erwartete, nichts anzuhaben vermochte – war doch ihr Bild so lange schon mit allen Träumen und Vorstellungen von seinem hiesigen Leben verwebt gewesen. Was aber von den sonderbaren Aeußerungen seines Wirths etwa in ihm haften geblieben, war vorläufig ad acta in den Hintergrund seiner Seele gelegt worden. „Ich habe Augen und ein Urtheil,“ hatte er zu dem Tischler gesagt, „und werde bald selbst erkennen, auf welchem Grunde die ganze Rederei ruht; bis dahin indessen will ich mir nicht selbst das Leben verbittern!“ Demohngeachtet hatte er, von einem unbestimmten Gefühle geleitet, seinen Aufenthalt in dem deutschen Gasthause gegen Winter verschwiegen und bei einer Frage desselben nach seiner bisherigen Unterkunft nur sein Nachtquartier in dem amerikanischen Hotel angegeben.

Die rasche Fahrt war wenig zu einem weitern Wortaustausch zwischen den beiden Männern geeignet; nur beim langsameren Passiren einer Anhöhe hatte Winter, wie die Gelegenheit ergreifend, gesagt: „Das Beste wird sein, ein Pferd für Sie in die Stadt zu stellen, das ohnedem nicht aus dem Stalle kommt, seit meine Tochter es nicht mehr benutzt. Sie können dann ganz unabhängig Ihre Zeit meinen Kindern widmen, wie es Ihre Office-Arbeiten erlauben. Wollen Sie ferner sich nicht für ein besonderes Logis Kosten machen, so kann Ihnen ein Zimmer über dem Geschäftslocal eingeräumt werden, das ich selbst früher längere Zeit benutzt habe. Es würde mir ohnedies lieb sein, Sie Nachts dort zu wissen, da mein alter Henderson schon ziemlich wacklig wird; natürlich soll dies aber in keiner Art Ihrer Freiheit Abbruch thun!“ Hugo, der sich im Augenblicke nur dem wohlthuenden Gefühle hingab, welches Winter’s Freundlichkeit ihm erzeugte, ohne nach einer besondern Erklärung für diese zu suchen, hatte sich im Voraus mit jeder Anordnung in Bezug auf seine Verwendung einverstanden erklärt, und damit hatte das schärfer anziehende Pferd das Gespräch wieder unterbrochen. Nach einer Fahrt, die vom Flusse aus kaum eine halbe Stunde gewährt haben konnte, stieg das weiße geschmackvolle Landhaus über dem Eichenkranze von Oakhill auf, bald bog der Wagen von der Straße ab, in den aufwärts führenden Weg, und jetzt erst, als in unmittelbarer Nähe die Besitzung vor seinen Augen lag, begann der junge Mann eine Art Beklemmung zu empfinden, der er sich umsonst zu entreißen strebte. Das Gefährt hatte die Höhe erreicht und bog um das Haus; Winter deutete mit der Hand nach der sich aufthuenden überraschenden Aussicht; Hugo aber ließ nur mechanisch ein zustimmendes: „Brillant, Sir!“ hören; seine ganze innere Aufmerksamkeit war dem Portico des Hauses zugewandt, von woher sein Ohr ein plötzliches Rauschen von Frauenkleidern aufgefangen hatte. Er wandte den Kopf, sobald ein Schwarzer herbeisprang, um das Pferd in Empfang zu nehmen, und sah eine zierliche Mädchengestalt wie einen wilden Vogel die Freitreppe herabflattern, bei dem Anblicke der fremden Erscheinung aber plötzlich ihren Schritt anhalten und mit einem prächtigen Erröthen halb neugierig, halb befangen zu ihm aufblicken.

„Halloh, Carry, da bring’ ich einen Partner für Deine Musik, der Dir noch die richtigen Künste zeigen wird!“ rief Winter aus dem Wagen springend; „Mr. Zedwitz aus Berlin, der heute in mein Geschäft eingetreten ist,“ fuhr er vorstellend fort, als Hugo ihm rasch gefolgt war; „meine Tochter Carry, Sir! – Und nun führe unsern Gast nach dem Parlor, Kind, ich werde die Mutter mit John herunterbitten lassen, damit wir uns gleich Alle zusammen kennen lernen!“ Er grüßte den jungen Mann leicht und schritt nach dem Innern des Hauses voran. Carry aber blickte zu dem Zurückgebliebenen mit großen, lächelnden Augen auf. „Sie sind aus Berlin, Sir, und jetzt in Pa’s Geschäft? o, dann werden Sie uns viel erzählen müssen, es soll so schön in Europa sein!“ sagte sie, wie einen besonderen Gedanken verfolgend, „aber, bitte, treten Sie herein!“

Sie eilte in leichten Schritten die Treppe hinauf, um ihm den Weg zu zeigen, und er folgte ihr in einer plötzlichen Verwirrung aller seiner Vorstellungen. Das war Winter’s Tochter? und wer war sie dann, die er hier zu finden gemeint? Winter hatte seine Frau und seinen Sohn als die allein Fehlenden der gesammten Familie bezeichnet, und so schien sie, deren Namen er nicht einmal wußte, kaum in nächster Beziehung zu ihm zu stehen; aber dennoch – Hugo entsann sich genau – hatte er ihrer bei Berührung der Berliner Affaire als Tochter erwähnt!

Allen diesen sich durchkreuzenden Gedanken aber mußte sich der junge Mann zu entreißen suchen, wenn er seine Stimmung nicht auffällig machen wollte; Carry hatte das Zimmer, in welchem das Piano stand, vor ihm geöffnet und lud ihn mit einem so hellen Blicke, mit so unverhohlenem Vergnügen in den lebendigen Zügen zum Eintritt ein, daß er selbst unter dem Drucke seiner Täuschung die wohlthuende Wirkung dieser unverhüllten Natur auf sich fühlte.

„Sie spielen Piano, Sir?“ fragte sie, nachdem sie den Gast zum Sitzen aufgefordert und sich selbst in einem Fauteuil niedergelassen, „so habe ich doch Hoffnung, auch wieder zum Ueben zu kommen; es ist so langweilig, sich nur immer selbst vorzuspielen, wenn man wirklich auch einmal ein Stück gelernt hat; seit Jessy nicht mehr im Hause ist, hatte ich fast alle Lust dazu verloren!“

Hugo blickte rasch auf. „Sie erwähnen da einer jungen Lady, die in Ihrem Hause gelebt, Miß,“ sagte er, mit aller Anstrengung seinem Tone den Charakter leichter Conversation gebend, „und mir fällt da eben ein, daß ich in der Schweiz und in Berlin einer jungen Lady in Mr. Winter’s Gesellschaft begegnete –“

„O, das waren Sie also,“ unterbrach ihn das Mädchen lebhaft, „ich hatte fast eine Ahnung davon! Jessy ist verheirathet, Sir, und wird sich gewiß sehr freuen, Sie in ihrem Hause zu sehen – es werden morgen acht Tage, daß sie unser Oakhill verlassen hat!“

(Fortsetzung folgt.)


Anfrage. Giebt es ein Mittel, durch dessen Anwendung man Sandstein (Gesimse, Säulen etc.) gegen den nachtheiligen Einfluß der Witterung und des Kohlenrußes schützen und ihm das ursprüngliche Ansehen erhalten kann? – Antworten etc. bittet man an die Verlagshandlung von E. Keil zu richten.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 448. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_448.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)