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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

halber berühmt, und Lucian erzählt von einem derselben, welcher um eine Professur sich bewarb, jedoch der Kürze seines Bartes wegen zu solchem Amte untauglich befunden wurde. 400 Jahre lang, sagt [Cicero]], gab es keine Barbiere in Rom; sie kamen, wie Plinius meldet, zuerst 454 v. Chr. von Sicilien nach Rom, und Scipio rasirte sich täglich. Verfeinerte Cultur, aber auch verweichlichende und schließlich die Nation verderbende Sitten entstanden und wirkten fort mit der Bartlosigkeit der Römer.

Was unsere Altvordern anbetrifft, so steht es fest, daß langes Haar und langer Bart das Ehrenzeichen der Freien und Edlen war. Die Angelsachsen schoren sich niemals; Druiden und Barden waren langbärtig, so berichtet Julius Cäsar.[1] Die Langobarden erhielten ihren Namen von ihrem Barte, wie Friedrich den des Barbarossa (Rothbart, später Robert). Die stolzen Bärte deutscher Ritter verschwanden, mehr und mehr, als die Kreuzzüge sie über die vaterländischen Grenzen und Interessen hinauslockten und in fremden Sitten verkommen ließen. Als in Frankreich zwei Monarchen, Ludwig XIII. und XIV., herrschten, welche beide während ihrer Minorennität den Thron bestiegen, schoren die Hofleute aus Kriecherei sich das Kinn glatt, und unser Volk in elender Nachahmungssucht that ebenso. Doch deutsche Bärte gingen so wenig verloren, als deutsche Kraft und deutscher Freiheitssinn; sie tauchten, sobald die Zeit dazu kam, wieder auf, und des Kraft- und Turnvaters Jahn Silberbart erschien bei dem neuen Aufschwunge des Volkes verjüngt und den Zopfträgern zum Schrecken wieder auf den Gesichtern der Demokraten und der patriotischen Jugend.

Wir wollen die Geschichte der Bärte nicht weiter verfolgen, nicht an ihre politische Bedeutung erinnern, nicht daran, daß Peter der Große wohl die Russen, aber nicht ihre Bärte bezwang; es ist genügend bewiesen, daß der Gebrauch des Scheermessers nicht durch das Alterthum geheiligt ist und nur als ein die nationale Entwicklung und den Freiheitssinn störendes Element sich einbürgerte.

Entbehrlich scheint es, weitläufig zu beweisen, daß ein bärtiges Gesicht der männlichen Schönheit weit mehr entspricht, als ein mönchisch glattgeschornes. Was giebt es Ehrwürdigeres als das Bild des Homer, welches Tennyson also zeichnet:

„In’s Antlitz eingekerbt der Runzeln tausend,
Einhundert Winter hingeschneit auf seine Brust,
Herab von Wange, Hals und Kinn.“

Welche würdige Ruhe, welche tiefe Weisheit schwebt um den goldnen Bart des Aesculap! Die Väter unserer Kirche waren sich der Würde eines Bartes wohl bewußt. Clemens von Alexandrien sagt: „der Bart erhöht die Schönheit eines Mannes ebenso viel, als dies ein reiches Kopfhaar bei dem Weibe thut.“ Selbstverständlich können wir in ästhetischer Beziehung nicht alle Bärte empfehlen. Es giebt solche, welche das Gesicht nicht verschönern, z. B. der des Hudibras –

„Der ob’re Theil von ihm war milchig blau,
Der untere orangegelb mit grau.“

Wir denken nur an einfarbige, wohlerhaltene, nicht an schmutzige Judenbärte, an die Bärte der Abrahams und Isaaks und Jacobs, welche bis auf den Gürtel Herabreichen. Wir bewundern die reizende Form der Bärte in den Bildern des van Dyk, ihre bezaubernde Schönheit bei G. Dow und Anderen. Wir staunen den Bart des Ritters Räuber aus Maximilian’s Zeit an, welchen er

„– – um einen Stab gewickelt,
Gleich dem Paniere in die Lüfte flattern lies;.“

Die Allgewalt und Allmacht bekleidet der Künstler mit dem Schmucke des reichsten Bartes. Am bartlosen Kinne erkennen wir Knaben, Weiber, Eunuchen. Wir mißtrauen der Vollkommenheit der Mannheit, wenn der Bart sich lichtet und ergraut, aber wir fühlen uns hingezogen zu der männlichen Kraft des Antlitzes, in welchem

„– des Auges Feuer hebt gebräunter Wangen Roth
Und schwarzen Bartes schattige Umrahmung.“

Ein lachender Philosoph (Democritus) meint, das Wegputzen des Bartes habe dieselbe Bedeutung wie das Stutzen des Geweihes und der Sporen bei Hirsch und Hahn, und die Fruchtbarkeit der Juden und Orientalen hänge vielleicht von ihren Bärten ab. Soweit gehen wir nicht in unserer Behauptung, aber wir machen darauf aufmerksam, daß, so lange man Bärte trug, mehr Männlichkeit unter Männern, mehr Gehorsam bei den Weibern herrschte.

Ist Bartscheeren nun etwas Angenehmes? Der geneigte Leser mittleren Alters streicht mit Daumen und Zeigefinger bei dieser Frage über sein „grauliches Kinn“, welches er dreißig Jahre lang täglich unter Angst und Zittern mit der scharfen Klinge tractirte, stößt ein höhnisches, ingrimmiges Lachen aus und denkt, der gesunde Verstand verbiete solche Frage! Was sagt Byron?

„Dem Mann ist mit dem Sündenfall in’s Kinn
Der Bart gepflanzt als ewig tastend Erbe.“

Und behauptet nicht Martinus Scriblerus – freilich unserer obigen Annahme entgegen – Adam sei erst, nachdem er gesündigt, bärtig geworden und die Qual des Rasirens auf seine Nachkommen vererbt, damit der Mann im Laufe seines Lebens durch tägliche Abzahlung den Gesammtbetrag der Leiden erdulde, welche das Wochenbett dem Weibe bereite? Wir sind in diesem Punkte befriedigt, haben nicht nöthig, an alle die Widerwärtigkeiten zu erinnern, welche stumpfe Messer, blinde Spiegel oder unser Gesicht betastende stinkende Barbierhände, blutdürstige Jünger der Bartscheerkunst, uns bereiten. Angenehm ist das Rasiren niemals!

Die wichtigste Frage aber lautet: Ist das Bartscheeren der Gesundheit förderlich? Wir denken: Nein! und wollen unsere! Gründe nennen. Ein neuerer Dichter sagt:

„Kein Theil am Menschenkörper ohn’ zwiefachen Zweck,
Zu fest’gen hier und auszuhelfen,
Zu runden dort und zu verschönen.“

So ist der Bart uns nicht blos als ein Ornament der Manneskraft und Frische gegeben, auch gewiß nicht allein zu dem Zwecke, dem schönen glattwangigen Geschlechte gegenüber für den Mann ein mächtiger Alliirter zu sein, sondern seine Bestimmung ist auch Erhaltung der Gesundheit.

Der Schnurrbart ist ein natürlicher Respirator, das Haar an Backen, Kinn und Hals soll Wärme und Schutz den zartgebauten Nachbarorganen geben, namentlich dem Schlunde und dem Kehlkopfe als eine naturwüchsige Cravatte. Vernichten wir also nicht die Absichten der Vorsehung, wenn wir uns rasiren? Dr. Szokalski machte 1803 an 53 kräftigen Männern, zwischen 25 und 45 Jahren alt, welche früher den ganzen Bart trugen und jetzt sich denselben abschoren, folgende Beobachtungen. Alle fühlten, anfangs ein unangenehmes Frösteln, nur vierzehn gewöhnten sich schnell an den Wechsel und verspürten weiter keinen Nachtheil; die Anderen aber litten in verschiedener Weise. Siebenundzwanzig wurden von Schmerzen in den Zähnen und Kinnladen befallen, – nämlich elf von Zahnweh und Gesichtsschmerz und sechszehn von rheumatischer Entzündung des Zahnfleisches. In sechs Fällen schwollen die Unterkieferdrüsen, und in vierzehn Fällen machte der Knochenfraß bereits kranker Zähne rasche Fortschritte. Er stellte Vergleiche an bei vierzig Männern von dreißig Jahren, die eine Hälfte barttragend, die andere geschoren. Bei der ersten Hälfte waren nur acht Zähne ausgegangen, bei der zweiten nicht weniger als sechsundzwanzig. Bei Einzelnen wich das nervöse Zahnweh nicht eher, als bis der Bart wieder gewachsen war.

Es steht fest, daß das Rasiren schwächliche Personen sehr empfänglich macht für Temperaturwechsel und somit zu Krankheiten geneigter; es ist wahrscheinlich, daß Bartlose leichter von Lungenschwindsucht (tuberculösem Nachschub) befallen werden als Bärtige, und in Frankreich, wo man sehr viel Bärtige sieht, findet man diese Krankheit überwiegend bei dem weiblichen Geschlechte. Der Bart wärmt und schützt den Mund, die Zähne und die Speicheldrüsen, bewirkt also mit, daß diese für unsere Ernährung wichtigen Organe gesund und kräftig bleiben. Er entwickelt sich beim Manne eben zu der Zeit, in welcher die größte Thätigkeit und Kraft der Verdauung nothwendig ist. Es ist von Andral und Gavarret bewiesen, daß die Thätigkeit des Blutbereitungsprocesses in bestimmtem Verhältnisse steht zur Menge der in einer gewissen Zeit ausgeathmeten Kohlensäure. Wir wissen aber, daß diese Ausathmung am stärksten ist, wenn der Bart hervorwächst. Man hat gefunden, daß Frauen während ihrer geschlechtlichen Blüthe halb so viel Kohlenstoff aufnehmen, als von Männern durch das Athmen verändert wird; aber seltsam genug ist es, daß nach dieser Periode mehr Kohlenstoff von ihnen verzehrt wird und dann nicht selten Bartspuren auftreten, welche ihr Gesicht eben nicht verschönern.

Die Eingeborenen kalter Länderstriche haben dickere, stärkere Bärte, als die der warmen Klimate, weil in nördlichen Breiten die Natur eine besondere Thätigkeit der Speichel- und Kauorgane erfordert, damit eine Menge Nahrung verdünnt und in das Blut aufgenommen werden kann, groß genug, die mit der Blutbereitung


  1. Gallischer Krieg, Buch 5, Cap. 14.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 440. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_440.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)