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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

das deutsche Parlament, von dem unsere Existenz abhing, sei von den Fürsten gesprengt worden, und dieselben hätten, um dem Ansinnen ihrer Verbündeten, der Junkerpartei, zu entsprechen, beschlossen, die Marine als eine Schöpfung der Revolution zu vernichten. Man flüsterte sich leise zu, daß wir bald entlassen werden würden und daß die Flotte unter den Hammer kommen sollte. Unser Admiral, den wir Alle schätzten, machte mehrere Reisen, um durch seine Vorstellungen die Katastrophe abzuhalten; mit trauriger Miene kam er zurück, und wir lasen in seinen Augen, daß unser Schicksal besiegelt sei. Das brach ihm das Herz, und bald nachher ist er, wie ich später hörte, an seinem Kummer verschieden. Die Meuterei, bei der ich mich als junger Mann auf der Vereinigten-Staaten-Brigg Sommers frevelhafter Weise betheiligte, war gewiß gesetzlos, aber wenn wir in diesem Falle uns widersetzt hätten, wäre das gute Recht auf unserer Seite gewesen. Leider führten die Besprechungen, welche wir heimlicher Weise unter uns hielten, zu keinem Resultat, weil wir einen faux frère, einen Schotten, der sich schon früher dadurch verdächtig gemacht hatte, daß er ein in England für die Flotte gekauftes großes Dampfschiff in der Nordsee auflaufen ließ, unter uns aufgenommen hatten. Derselbe verrieth die noch unfertige Verschwörung an einen hochgestellten Chef der Reaction, durch den der Admiral, der von Nichts wußte, veranlaßt wurde, solche Vorkehrungen zu treffen, daß unser Vorhaben vereitelt wurde. Bald darauf wurden uns die Rückstände ausgezahlt und wir entlassen. Das Bischen Geld, welches ich bekam, ging bald darauf, und ich sah mich gezwungen, nach England zu gehen, um dort eine neue Anstellung zu suchen. Mein armes Weib, das seine Niederkunft erwartete, mußte in einer kleinen Weserstadt zurückbleiben, wo ich bei einer braven, aber unbemittelten Familie ein Zimmer für sie gemiethet hatte. Während meiner Abwesenheit drang die Polizei, durch einen Befehl aus Berlin dazu berufen, in ihre Wohnung, visitirte ihre ärmlichen Habseligkeiten nach meinen Papieren und fand Nichts! In Folge des Schreckens kam sie zu früh nieder und starb mit ihrem noch unreifen Kinde. Charley, ich sage Ihnen, nie habe ich in meinem Leben so gefühlt, wie bei dieser Nachricht! Bei Davy Jones’ locker, ich schwur mich zu rächen und ich glaube, die Rache ist da! – sie ist da für mich, während Andere die Schuld und – die Kosten derselben tragen!“

Hier wurden wir durch einen plötzlichen Knall, das Geschrei und das Stampfen der Matrosen auf dem Deck unterbrochen. Wir stürzten Beide herauf und fanden, daß die Heftigkeit des Windes unser Vorbramsegel zerrissen hatte. Der Schaden war nicht bedeutend und bald wieder ausgebessert, das Schiff wurde mehr an Norden gelegt und der Wache dringend befohlen, den Preußen, der jetzt bei der hohen See bald auf- bald untertauchte, nicht aus Sicht zu lassen. Wir gingen wieder hinunter.

„Glauben Sie mir, Charley,“ sagte Morton, „je mehr die Elemente stürmen, desto besser fühle ich. Ein wildes Entzücken überkommt mich, wenn die Wetter rasen, das harmonirt so recht mit meinen Leidenschaften. Stoßen Sie an, der Sturm soll leben!“ Damit goß er ein Glas des starken Getränkes hinunter. „Ach,“ fuhr er fort, „wenn mein Weib noch lebte, wäre ich ein anderer Mann; so wurde ich wieder in das wilde Thun und Treiben hineingehetzt, und so wurden meine besseren Gefühle getödtet, und so groß wie früher meine Sympathie für das deutsche Volk war, so groß ist jetzt mein Haß gegen die Regierungen, welche die Anfänge ihrer eigenen nationalen Marine, der ich meine ganze Zukunft und Hoffnung anvertraut hatte, auf solche rücksichtslose Weise zerstört haben. – Nach verschiedenen Schicksalsfällen kehrte ich aus Europa endlich wieder nach Amerika zurück, wo ich nun mit ziemlicher Gewißheit darauf rechnen konnte, nicht wieder erkannt zu werden, und Senator W., für den ich früher manche Ladung Nigger von der afrikanischen Küste geholt hatte, als er noch in Havanna einem spanischen Don associirt war, der aber jetzt einer der Hauptschreier unter den Abolitionisten ist, vertraute mir aus alter Freundschaft, oder weil er vielleicht fürchtete, ich würde ihn bloßstellen, das Commando des Black Hawk an. – In Petersburg traf ich einen alten Bekannten, einen Preußen, der mich früher auf der deutschen Flotte, wo er als Regierungscommissair herumschnüffelte, gekannt hatte; derselbe gab mir Empfehlungsbriefe an zwei deutsche Junker in Kopenhagen; es waren die beiden Männer, mit denen ich dort so häufig conferirte.“

Hier erdröhnte abermals unser Deck von einer gewaltigen Sturzsee, die auf der Luvseite über die Bollwerke geschlagen hatte, und so war unsere Anwesenheit oben nöthig. Der Wind hatte während unserer Unterhaltung der Art zugenommen, daß wir bei dem Umlegen die größte Vorsicht anwenden mußten, um kein Segel zu verlieren. Dieser Theil der Nordsee, den man Skager Rack zu nennen pflegt, ist auch oft von schweren Strömungen heimgesucht, welche dann die Gewässer noch mehr aufregen. Gegen Morgen, als der weißlichgelbe Nebel sich etwas aufklärte, und wir einigermaßen den Horizont beobachten konnten, sahen wir auch die Amazone. Morton hatte lange auf dem Campagnedeck mit dem Teleskop nach ihr ausgeschaut, und ein Lächeln der Befriedigung überlief sein gebräuntes Gesicht, als er dieselbe im Trog der See auf- und niederstampfen sah. Sie schien hart zu arbeiten, offenbar steuerte sie zu schwer, und die zu hohen Masten schlingerten hin und her, da ihre Wanten zu schwach waren. Weiter entfernt waren noch einige Segel in Sicht, doch ließ sich nicht erkennen, was sie waren. Als die Sonne höher stieg, ließ auch der Wind etwas nach, und wir konnten das Besansegel aufziehen, so daß der Black Hawk sicher und graciös auf der Seite liegend die hohen Wellen durchschnitt. Dieser Tag ging ohne weitere Ereignisse vorüber, es wehte freilich hin und wieder einmal stoßweise sehr heftig, indessen da der Wind nach Norden herumging, konnten wir sowohl, wie die Amazone, unsern südwestlichen Curs ohne viel Mühe verfolgen. –




So ging es mehrere Tage hintereinander, das Wetter war wohl stürmisch, und der Wind wechselte häufig, doch wehte er meistens von Norden. Wir begegneten vielen Segelschiffen und auch einigen Dampfern, die ihren Curs nach der Ostsee hin richteten, um noch vor Schluß der Jahreszeit und dem Eintritte des starken Frostes den Ort ihrer Bestimmung zu erreichen. Morton befand sich die meiste Zeit auf dem Deck, von wo er mit seinem Fernrohr nach dem Preußen und andern Schiffen hinüberlugte. Sobald ein neues Segel am Horizont auftauchte, fluchte er unwillig; es schien, als ob er darin Zeugen seines verbrecherischen Vorhabens erblickte, indessen nahm kein einziges Schiff Notiz von uns, da jedes bei der hohlen See mit sich selbst genug zu thun hatte. Eines Abends, es war einer der ersten Tage des Novembers, machte er mich auf eine kleine weiße Wolke aufmerksam, welche sich im fernen Westen kaum über den Sehkreis erhob. Das Wetter war verhältnißmäßig warm für diese Breite zu nennen, und der Barometer war schon früh bedeutend gefallen. Diese weiße Wolke kommt eigentlich nur in den Tropengegenden vor und ist dann stets der Vorbote eines aufbrechenden Orkans oder einer Cyclone (Wirbelwind). Wir Alle an Bord kannten die Gefahr, und Nichts wurde versäumt, um Alles fest und klar zu machen; wir bemerkten auch, daß der Preuße, der ungefähr drei Meilen windwärts von uns war, oben kahle Stengen zeigte, ein Beweis, daß er den kommenden Orkan erwarte.

Morton und ich standen auf dem Quarterdeck, als Mr. Brown zu uns trat und die Bemerkung machte, daß er in der Nordsee nicht erwartet hätte, die weiße Wolke zu sehen, ebensowenig wie jenes furchtbare Gewitter im Kattegat. „Wir werden das Wetter sich bald über uns entladen sehen,“ bemerkte er, indem er windwärts nach dem Horizont schaute, welcher nunmehr schwarz wie Pech war und die Umrisse der mit weißen Schaum bedeckten Wellen deutlich zeigte. „Sollen wir die Schnausegel einziehen, Capitain?“

„Ich glaube wirklich, wir werden einen Orkan haben,“ erwiderte Morton, indem er den Wettergangweg verließ, auf dem er eben gestanden hatte, und sich den Gischt vom Gesicht wischte, mit dem die Atmosphäre überfüllt war; „auch bemerkte ich, daß das Glas sehr gefallen ist. Nehmen Sie alle kleinen Segel da oben herunter, und sobald als das Stagsegel fest angezogen ist, lassen Sie die Gaffel herunter und falten den Spanker; eine Wache, denke ich, wird für’s Erste hinreichend sein, wir wollen unsre Leute nicht zu sehr ermüden, sie werden ihre Kräfte nöthig haben.“

„Ja, ja, Herr,“ erwiderte Brown, als der Master fortging. „Ich möchte schwören, daß er sich nicht viel daraus macht, er sah wenigstens so aus, als er den Gangweg verließ.“

„Das ist so seine Manier, je mehr die Elemente drohen, desto herausfordernder ist sein Blick.“

Nach dem Abendessen wurde die neue Wache aufgerufen, und der Master gab mir die Befehle, denen ich pünktlich gehorchte; ich mußte einen Matrosen aus Canada, einen Halbindianer, auf die Back postiren, mit dem gemessenen Befehl, die preußische Corvette

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