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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

No. 28.   1862.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen.    Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.



Der Untergang der „Amazone“.

(Schluß.)


Bald nachher waren wir im Gange, der Black Hawk gehorchte zierlich dem Steuer und glitt mit mäßiger Geschwindigkeit über die gekräuselte See hin. Jetzt konnten wir erst recht die Überlegenheit amerikanischer Schiffsbaukunst sehen. Während die andern Fahrzeuge ihr Bestes thaten, alle Leesegel aufgezogen hatten, benutzten wir kaum den dritten Theil unserer Leinewand und überholten doch binnen kurzer Zeit die plumpen Collier, Gallioten und andere kurzgebauten Schiffe. Nur die Amazone allein, welche besser als die andern, aber immerhin für ein Kriegsschiff schlecht genug segelte, ließen wir voraus. Als wir uns Kullen’s Spitze nahten, hatten wir die meisten schon weit hinter uns zurückgelassen. Gegen Abend schwand die schwedische Küste aus Sicht, und als es dunkel wurde, konnten wir die grün und rothen Lichter des Preußen deutlich vor uns sehen. Morton gab dem Mann am Ruder und der Wache auf der Back die gemessensten Befehle, stets die Amazone im Auge zu behalten, und begab sich dann in die Kajüte. Bald ließ er mich durch den Steward rufen. Ich fand ihn in tiefes Sinnen versenkt, den Kopf auf die rechte Hand gestützt am Tische sitzen.

„Charley,“ sagte er, „ich habe Sie rufen lassen, um ein wenig mit Ihnen zu plaudern; es ist nicht gut, so allein seinen Gedanken nachzuhängen.“

Dabei schob er mir ein Kistchen mit türkischem Tabak zu und verlangte, ich solle nur eine Pfeife stopfen, wie er es selbst thun wolle. Dann ließ er durch den Steward alles Nöthige zu einem starken Punsch mischen, schickte denselben fort und füllte die Gläser. Schweigend nahm ich ihm gegenüber Platz und in der Erwartung, was da kommen solle, hüllte ich mich in die blauen Wolken des Latakia.

Er leerte sein Glas auf einen Zug, gleichsam als wenn er sich Muth trinken wollte, und seine sonst so unheimlichen Augen schienen mildere Gefühle widerzuspiegeln. Dann begann er: „Charley, ich weiß sehr wohl, daß Sie mir mißtrauen, und daß Ihnen Manches in meinem Thun und Treiben räthselhaft erscheint, indessen wenn Sie meine Vergangenheit kennten, würden Ihnen die Schatten meines Charakters nicht auffallen. Vor mehr als zwanzig Jahren war ich Midshipman auf der Vereinigten-Staaten-Brigg Sommers, glücklich und unbefangen, wie ein junger Mann nur sein kann. Da plagte mich der Teufel, und ich betheiligte mich bei der Meuterei, welche der Sohn des damaligen Marinesecretairs in Washington an Bord dieses Schiffes anzettelte. Zu strenge Disciplin und schlechte Behandlung hatten uns zu diesem Schritte bewogen. Sie erinnern sich gewiß noch der Geschichte mit der Sommers, sie war das schnellste Schiff in der ganzen Navy und ging später auf der Rhede von Veracruz im mexicanischen Kriege zu Grunde, da ein plötzlicher Windstoß sie umwarf. Die Meuterei wurde entdeckt, die Rädelsführer auf der Stelle gehängt und ich mit vielen Anderen in Ketten nach New-York geschleppt. Dort gelang es mir von Governors-Eiland zu entspringen und in den Narrows an Bord eines Bremer Schiffes, das nach Rio segelte, zu entkommen. Von da an trieb ich mich auf allen Meeren herum, weil ich begreiflicher Weise auf lange Zeit die Staaten meiden mußte. Manche Fracht mit lebendigem Ebenholz brachte ich von der afrikanischen Küste nach Cuba und manche tausend Dollars habe ich in Havanna im Monte durchgebracht. Ich sank immer tiefer, die Franzosen sagen ja: ce n’est que le prémier pas qui coûte. Verwegen und glücklich im Geschäft, wie ich es war, wollte ich nun nicht mehr für die faulen Dons fahren, sondern rüstete auf eigene Kosten, es nahm mein ganzes Vermögen, einen schnellen Baltimoreklipper aus und brachte auf eigene Rechnung fünfhundert der schönsten Nigger glücklich bis an die Küste von Cuba. Da fügte es der Himmel, daß einer jener verdammten Regierungsdampfer, welche immer bei Key-West herumlungern, mir in die Quere kam. Hätten wir nur eine tüchtige Brise gehabt, so wäre ich ihm doch noch entschlüpft und hätte meinen Cargo noch zur rechten Zeit gelandet. So aber trat plötzlich Windstille ein, und ich mußte froh sein, mich und die Mannschaft noch in den Böten an die Küste zu retten. Der man of war kaperte mein Schiff und meine Neger; so wurde ich plötzlich ein armer Mann, kaum blieb mir so viel, um mich einige Wochen in Havanna halten zu können. Gern wäre ich nun nach New-Orleans zurückgekehrt, wo ich weniger bekannt zu sein glaubte, als ich im New-Yorker Herald einen Bericht über die Wegnahme meines Schiffes las, in dem auch erwähnt wurde, daß der Capitain desselben wahrscheinlich der entsprungene Meuterer von der Vereinigten-Staaten-Brigg sei, der nun zum zweiten Male seiner gesetzlichen Strafe entronnen wäre. Durch diesen Artikel erschreckt gab ich für das Erste jede Hoffnung auf, in mein Vaterland zurückkehren zu können. In demselben Blatte las ich einen langen Bericht über die neue Bildung einer deutschen Marine, und daß man dort befähigte Seeleute suchte. Da ich nun allen Grund hatte, mich für einen solchen zu halten, und auch entschlossen war, eine ganz neue Laufbahn anzutreten, da, wo ich vollständig unbekannt war, so eilte ich so schnell wie möglich nach Deutschland, wo ich, durch Zeugnisse, welche mir meine alten Freunde, die Dons, listiger Weise zu verschaffen gewußt hatten, unterstützt, es bald dahin brachte, als Deckofficier eines der neu auszurüstenden Kriegsschiffe angestellt zu werden. Freilich hatte ich jetzt nur so viel Thaler, als vormals Dublonen, indessen ich fühlte mich neu belebt dadurch, daß ich nun wieder ein ehrliches Mitglied der menschlichen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 433. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_433.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)