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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Reichthums werden würden. Ja, eine Quelle des Unterhalts und des Reichthums, denn der gezähmte Mustang wird nicht nur von den nomadisirenden Nationen zum Lasttragen verwendet und giebt den wilden Jägern der Steppe die Mittel an die Hand, den Büffel zu jeder Zeit und mit leichterer Mühe zu erlegen, sondern er dient auch zur Speise, wenn Schnee und Eis oder der gewaltige Prairiebrand das Wild weit, weit abwärts gescheucht haben.

Dem golddurstigen Emigranten, der Californien, jenes Eldorado des Westens, aufsucht, dem einsamen Jäger, der planlos die unabsehbaren Grasfluren durchstreift, und Expeditionen, die, mit ernsten Aufgaben beschäftigt, einem fernen Ziele entgegen streben, flößen die Mustangs oft Schrecken ein. Nicht als ob das verwilderte Pferd, welches den Anblick des Menschen scheut, diesem unmittelbar verderblich werde, nein, gewiß nicht; aber wenn nach mühevollem Marsch die weißen Zelte einladend in der grünen Ebene schimmern, der erschöpfte Wanderer seine Glieder auf dem weichen Rasen ruhesuchend behaglich streckt und dehnt, dann schweifen seine Blicke oft mit Besorgniß in die Ferne, und Furcht ergreift ihn, wenn er am Horizont die wogende, unbestimmte Bewegung einer Heerde dieser wilden Renner entdeckt. Aufmerksam beobachtet er die von derselben eingeschlagene Richtung, prüft sorgfältig die Leinen der gepflöckten Thiere und treibt die frei umherlaufenden in die Nähe des Lagers, um sie im Fall der Noth sogleich in der durch die zusammen gefahrenen Wagen gebildeten Einfriedigung bergen zu können.

Wehe ihm aber, wenn er diese Vorsichtsmaßregeln verabsäumte, und eine Heerde der unbändigen Rosse, gestachelt von unbesiegbarer Neugierde oder angelockt durch das Wiehern furchtsamer Stuten, mit donnerndem Getöse an seinem Lager vorbeistürmt! Was sind dann Leinen und Pflöcke, was die Peitschen der Hüter, welche die eigene Heerde wachsam umkreisen! Die Leinen zerspringen wie schwache Fäden, die Hüter verlieren ihre Gewalt, die losgebrochenen, von panischem Schrecken ergriffenen Flüchtlinge schließen sich der wilden Jagd an, und eh’ eine halbe Stunde vergeht, sind Mustangs und zahme Pferde, Maulthiere und zuweilen auch die Rinder am fernen Horizont verschwunden. – Entsetzt schaut der Wanderer seiner entflohenen Habe nach; die Rinder findet er wohl am folgenden Tage, in weiten Zwischenräumen zerstreut in der Ebene, der Pferde und Maulthiere aber wieder habhaft zu werden, gelingt ihm nur in den seltensten Fällen.

Unsere Karawane, bestehend aus vierzehn achtspännigen Maulthierwagen und siebenzig Soldaten, Arbeitern, Packknechten und wissenschaftlichen Mitgliedern, hatte die Lagerstelle am Canadian-Fluß verlassen und zog so fröhlich und guter Dinge über die bethaute Prairie, als wenn es für sie weder Julihitze noch Steppenbrände, weder Comanche-Räuber noch Mustangheerden gegeben hätte. Wir Reiter befanden uns an der Spitze des Zuges und unterhielten uns angelegentlich mit dem Führer der Expedition, dem bekannten Delawaren Si-ki-to-ma-ker oder schwarzen Biber, der gar mancherlei Erlebnisse aus seinem abenteuerlichen Jagdleben mitzutheilen wußte und mir mehrfach mit der ernstesten Miene versicherte, daß ich trotz meiner breiten Schultern die Flathead- und Blackfeet-Scalpe, selbst in getrocknetem Zustande, nicht auf einmal zu tragen vermöchte, die er in den letzten zwanzig Jahren von den blutigen Schädeln der erschlagenen Feinde gestreift habe. Mochten diese Angaben auch etwas übertrieben sein, so konnte der schwarze Biber doch immer auf den Namen eines der sichersten und erfahrensten Führer auf dem ganzen nordamerikanischen Continente Anspruch machen, der wegen seiner Verschlagenheit von seinen Feinden ebenso sehr gefürchtet wurde, als seine weißen Freunde ihn wegen seiner Gewandtheit und Unermüdlichkeit als Jäger und seiner umfangreichen Sprachkenntniß liebten. Es war also hinlänglich Grund für uns vorhanden, die nähere Bekanntschaft des großen und berühmten Delawaren zu suchen, und so viel wie möglich aus seinen Mittheilungen zu lernen.

Wir hatten ihm eben nach besten Kräften eine Erklärung des elektromagnetischen Telegraphen gegeben und ihn von der geistigen Ueberlegenheit der weißen Race zu überzeugen gesucht, indem wir versicherten, daß mittelst eines langen Drahtes Menschen, wenn auch hundert Meilen von einander entfernt, zu einander sprechen könnten, als Einer der Gesellschaft ihm rieth, den Comanches einen derartigen Telegraphen zu beschreiben. Ein eigenthümliches Lächeln glitt bei dieser Aufforderung über des halbcivilisirten Indianers Züge, und nachdem er etwa eine Minute lang sinnend auf seinen Sattelknopf geschaut, erwiderte er: „Vor einiger Zeit ich erzählen viele fremde Dinge in den Dörfern der Kiowahs und Comanches, ich erzählen viele fremde Dinge, die ich selbst mit meinen Augen gesehen. Ich erzählen von eisernes Pferd mit Feuer und Rauch im Leibe und das laufen auf eisernen Stangen schneller wie die Antilope. Die Krieger, die Weiber und Kinder, Alle lachten mich aus und nannten mich einen großen Lügner. Ich will nie wieder erzählen dergleichen Dinge, am allerwenigsten von Eueren Telegraphen.“

„Warum aber gerade davon nicht?“ lautete die nächste Frage.

„Warum?“ fragte Si-ki-to-ma-ker zurück, indem er uns der Reihe nach mit schlauem Ausdruck ansah; „warum? Wohlan, weil ich es selbst nicht glaube, und ich denken, daß Ihr die größten Lügner, die jemals auf dem Erdboden wanderten.“

Das Lachen über diese freimüthige Aeußerung war noch nicht verstummt, da richtete sich der Indianer, der stets im Sattel hing, als ob ihm seine schmächtige Gestalt zu schwer wäre, hoch auf und heftete seine Blicke auf eine ferne langgereckte Schwellung der Prairie, die in der Nähe des Flusses hügelähnlich auslief. Seine Nasenflügel spreizten sich weit, und ein ungewöhnliches Feuer leuchtete aus seinen Augen, während wir Uebrigen ihn voller Spannung beobachteten und aus seinem Mienenspiel die Ursache solch auffallenden Benehmens zu errathen strebten.

„Ich will Euch etwas erzählen, das Ihr nicht glauben, das aber keine Lügen sind,“ hob er an, den Schritt seines Pferdes mäßigend. „Seht Ihr dort drüben die Staubwolke, die sich dem Canadian zu bewegt?“

„Natürlich,“ hieß es zurück, „wir sehen den Wirbelwind, der die Bodensenkung zu seinem Wege gewählt hat.“

„Wahrhaftig, es sieht wirklich aus wie ein Wirbelwind,“ versetzte Biber, „genau wie ein Wirbelwind; daran hätte ich nicht gedacht, Goddam, müßt dergleichen schon vielfach gesehen haben. Will Euch aber sagen, daß es kein Wirbelwind, wären sonst Grashalmen mit dem Staub vermischt.“

Wir schauten schärfer hinüber, vermochten aber in der Entfernung, die beinahe eine englische Meile betrug, weiter nichts zu unterscheiden, als oben die leichte fliehende Staubwolke.

„Was ist es denn?“ fragte endlich Einer, der ein gewisses Mißvergnügen darüber empfand, die wahre Ursache nicht sogleich errathen zu können.

„Mustangs sind es,“ versetzte Biber gelassen, „Büffel laufen nicht so schnell.“

Kaum hatte er ausgesprochen, so erschien auf der Bodenschwellung, als ob seine Worte hätten bewahrheitet werden sollen, ein weißes Pferd, dem etwa ein Dutzend schwarzer und brauner Gefährten in langer Reihe folgte.

„Ihr thut besser, für Eure Maulthiere zu sorgen,“ fuhr der Delaware zu unserm Wagenmeister gewendet fort, der in einiger Entfernung hinter uns ritt. „Es mich gar nicht überraschen, wenn der weiße Führer dort drüben seine Richtung hierher nehmen und einige von Euren Gespannen sich ihm anschließen.“

Der Wagenmeister sprengte zurück, und fast gleichzeitig setzte sich auch der Schimmelhengst in Bewegung. In langem Trabe eilte er seiner Heerde voraus, die sich in dichten Massen hinter ihm nach der Anhöhe hinaufgedrängt hatte und gleich ihm schnaubend, wiehernd und mit emporgereckten Schweifen ihre ungetheilte Aufmerksamkeit unserer Karawane zuwendete. Die hintersten Thiere drängten die vordersten, der Führer wollte keins bei sich vorbeilassen, der stolze Trab verwandelte sich in einen wilden Galopp, und donnernd kamen sie einhergestürmt, um in weitem Bogen die Wagen zu umkreisen.

Unsere Reitthiere bebten und bissen auf die Kandaren, während der Athem sich geräuschvoll ihren Nüstern entwand, und nur mit Mühe vermochten wir sie zurückzuhalten, sich den Mustangs zuzugesellen, die sich mit Windeseile näherten. Die Zugthiere vor den Wagen waren in aller Eile gefesselt worden, doch hinderte das nicht, daß ein Gespann mit seinem Wagen losbrach und im tollsten Lauf auf den Schimmelhengst losstürzte, der nunmehr schon in gleicher Höhe mit uns angekommen war. Wohl sprengten einige Reiter den Flüchtlingen nach, wohl behielt der kaltblütige Fuhrmann seinen Sitz auf dem Sattelpferde, doch was waren hier menschliche Kräfte im Vergleich mit der unwiderstehlichen Gewalt der bis zur Tollwuth entsetzten Thiere! Der Wagen mit unsern werthvollsten astronomischen Instrumenten schien verloren zu sein, denn nur

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 427. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_427.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)