Seite:Die Gartenlaube (1862) 426.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

wurde der Vater, der bis dahin zögernd in der Ferne gestanden hatte, abgeführt; der Sohn wurde, als er dieses gewahrte, dringender, unter Thränen beschwor er den Officier, ihn nur einige Minuten mit dem Vater einschließen zu lassen, ein kurzes Commandowort war die darauf folgende Erwiderung; als die Gensd’armen eben Hand anlegten, den laut Jammernden gewaltsam fortzuschaffen, kam der Commandant des Castells und fragte nach der Ursache dieses Auftritts; der junge Mann wandte sich rasch um und wiederholte die zweimal abgeschlagene Bitte; von Mitleid ergriffen, befahl ihm der Commandant zu folgen und schritt selber voran nach der Zelle, in welcher der Verurtheilte die letzten Stunden seines Lebens zubrachte. – Als sie in das weite und hohe Gemach eintraten, saß Oppermann vor einem Tischchen, auf dem eine die Gegenstände umher nur dürftig beleuchtende Lampe brannte; er schien gebetet zu haben, die gefalteten Hände waren auf die Kniee, das Haupt auf die Brust herabgesunken, er hatte die Augen geschlossen und schien das Oeffnen der schwer sich in den Angeln bewegenden Thür kaum zu bemerken, erst als ihn der Sohn laut weinend umschlang, richtete er sich empor. – „Mein Sohn, mein lieber Sohn!“ – war Alles, was er sagen konnte. – „Oppermann,“ redete ihn der Commandant nach einer Pause in weichem Tone an, „ich habe Eurem Sohne erlaubt, die Nacht über bei Euch zu bleiben. – Habt Ihr sonst noch irgend einen Wunsch, so sagt es mir. Für den Fall, daß Ihr das heilige Abendmahl zu genießen wünscht, ist ein Prediger bereit, es Euch zu reichen.“ – Der Angeredete dankte gerührt für die ihm durch die Vereinigung mit dem Sohne erwiesene Güte und bat, den Geistlichen zu schicken, da er sich zum Tode vorzubereiten wünsche. Der Commandant verließ das Gemach, in welchem bald darauf der Prediger erschien; der einfache schmucklose Tisch wurde zum Altar, nach einer kurzen Beichthandlung empfingen Vater und Sohn knieend das Abendmahl; der von seinem Mitleid für die schlichten frommen Landleute überwältigte Diener Gottes konnte seiner inneren Bewegung dabei so wenig Herr werden, daß er nach kaum beendeter heiliger Handlung eilends das Gemach verließ.

Vater und Sohn verbrachten den Rest der Nacht in ernstem Gespräch; kein Schlaf kam in ihre Augen. Als der Morgen zu dämmern begann, trat Oppermann an’s Fenster; sein Blick suchte über die die Aussicht versperrenden Dächer des Castells hinweg die Himmelsgegend, unter der das heimathliche Dorf lag, aus dessen Frieden er gerissen und in dem nach wenig Stunden eine Wittwe um ihn weinen sollte. – „Mein Sohn,“ sprach er mit feierlichem Tone, „es beginnt zu tagen, die Zeit, welche ich noch zu leben habe, ist nach Minuten zu zählen. Ich sterbe frohen Muthes, denn ich sterbe für eine gute Sache, für die noch viele wackere deutsche Männer ihr Leben einsetzen werden. Ich gehe aber dem Tode mit der Zuversicht entgegen, daß der Tag der Freiheit für unser armes Vaterland ebenso gewiß anbrechen wird, wie nach der eben weichenden Nacht jener helle Streif am Himmel den Tag verkündet, der mir den Tod bringt. Jener ersehnte Tag wird auch Deine Ketten lösen; geschieht das, dann nimm Dich vor Allem Deiner Mutter an; wie weit sich die Rache der Gewalthaber auch auf unser Eigenthum erstreckt, kann ich nicht ermessen; Gott wird darin sorgen. Führt Dich das Geschick einst auch mit dem Herzoge zusammen, so sage ihm, daß ich freudig und mit einem Segenswunsche für ihn auf den Lippen gestorben sei.“

Oppermann hatte kaum geendet, da verkündete schon ein aus dem Hofe des Gefängnisses dumpf herauftönender Trommelwirbel das Antreten des Commando’s, welches die Verurtheilten zum Tode führen sollte. Nach einer Pause, während der sich Beide still weinend umarmt gehalten hatten, erschien ein Officier, gefolgt von mehreren Gefangenwärtern, und meldete, daß es Zeit zum Aufbruch sei. Oppermann machte sich sanft von dem Sohne los, reichte ihm resignirt mit dem einfachen: „Lebe wohl, mein Sohn“ – nochmals die Hand und schritt dann mit emporgehobenem Haupte dem Officier aus seinem Kerker voran.

Nachdem sich die Thür hinter den Abgehenden geschlossen hatte, sank der zurückbleibende Sohn vom Schmerze überwältigt auf den Stuhl; – ohne Bewegung saß er lange da; im Hofe drunten, in den Gängen des weitläufigen Gebäudes war es ungewöhnlich still geworden, – plötzlich jagte ihn eine aus der Entfernung dumpf herüberschallende Gewehrsalve, davon leise die Scheiben des vergitterten Fensters klirrten, aus seinem dumpfen Hinbrüten auf, – dann wurde es wieder still um ihn her, – es war vollbracht, wieder waren „auf der Forst“ bei Cassel der Freiheit zwei Opfer gefallen.


Nachdem die am 7. März 1812 zur Eisenstrafe „begnadigten“ Genossen Oppermann’s und Hagen’s fast zwei Jahre lang, an Händen und Füßen geschlossen, die Straßen der königlichen Residenz Cassel durchwandert hatten, öffnete der von den Alliirten am 18. October 1813 auf Leipzigs Feldern errungene Sieg über Napoleon auch ihre Kerker und erlaubte ihnen die Rückkehr in die Heimath. – Als Herzog Friedrich Wilhelm, fast der einzige deutsche Fürst, der keinen Augenblick vor dem Usurpator das Haupt beugte, am 13. December in das Land seiner Väter zurückkehrte, da stand auch, mit ihrem Pfarrer an der Spitze, die Dorfschaft Oelper zu seinem Empfange vor dem Thore Braunschweigs. Umbraust von nicht enden wollendem Jubel erblickte der Herzog auch das Häuflein Bauern, und eine Thräne erglänzte in seinen Augen, warm drückte er den ihm zunächst Stehenden die Hände und empfing dann ein von dem Pastor verfaßtes Gedicht, eins der schönsten in dem reichen Liederkranze, der sein kurzes thatenreiches Leben verherrlicht hat, und in welchem auch derer, die in jenen Tagen der schweren Noth wegen ihrer Liebe zum Vaterlande in schweres Leid geriethen, mit den Worten gedacht ist:

„Wir waren Dein im grausen Sturm der Zeit,
Als fern von uns in engen Todesbanden
Die, die Dich liebten, kein Erbarmen fanden,
Als Greis und Weib und Kind in bangem Gram
Vergebens weinten, – ach, kein Retter kam!
Wir harrten Dein und trugen still das Leid,
Wir waren Dein im grausen Sturm der Zeit!“

Ein halbes Jahrhundert ist über all diesem Leid und all dieser Freude dahingerauscht. – Am 1. August 1859, dem Jubeltage des Gefechtes bei Oelper, standen in dem den Sohn Friedrich Wilhelm’s umgebenden Kreise der Feiernden abermals die Einwohner des Dorfes; – aber es war ein neues Geschlecht; von denen, die einst treu zu dem Vater gestanden hatten, lebte, so viel uns bekannt, nur noch Einer, der jüngere Oppermann, die Uebrigen schlummerten bereits unter dem grünen Rasen jenes stillen Kirchhofes, dessen schwarze Kreuze von der Anhöhe ernst auf das an jenem Tage zum Festplatze umgewandelte Schlachtfeld herabblickten. Dem braven Manne, der fern „auf der Forst“ bei Cassel im vergessenen Grab ruhet, mögen diese Zeilen der Erinnerung geweiht sein.

C. St.


Der Mustang.
Von Balduin Möllhausen.

Als Ferdinand Cortez die ersten Pferde in Mexico einführte, ahnte er gewiß nicht, daß er den Grund zu einer namhaften Bereicherung des amerikanischen Thierlebens legte, einer Bereicherung, groß genug, um später Zweifel aufsteigen zu lassen, ob das Pferd nicht mit zu den auf dem neuen Continent einheimischen Thieren gehöre. Und doch ist der Mustang oder das verwilderte Pferd, welches die Steppen zwischen dem Mississippi und den Rocky-Mountains, vorzugsweise in den südlicheren Breiten, ferner die Wüsten in den mexicanischen und neumexicanischen Provinzen in Heerden zu vielen Tausenden durchschwärmt, nur ein in jenen Regionen einheimisch gewordener Fremdling.

Auch die einst so mächtigen Stämme der Azteken, Tolteken und Chichimeken, als sie beim Anblick der nach ihrer Meinung unverwundbaren, mit den eisenbekleideten Reitern verwachsenen Ungeheuer entsetzt zurückbebten, dachten wohl wenig daran, daß gerade diese Ungeheuer den letzten Resten ihrer Nachkommen und andern ihre Stelle einnehmenden Völkerschaften zu einer Quelle des Unterhaltes und, bis zu einem gewissen Grade, auch des

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 426. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_426.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)