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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

wohnenden Mann, Namens Möbes, gefunden, der sich zur Aufnahme der Waffen bereit erklärt hatte; die geforderten 900 Thaler waren von Oppermann theils aus eigenen Mitteln beschafft, theils von Meier vorgeschossen; einen der nöthigen Ackerwagen stellte der Erstere, und sein ältester Sohn, der aus dem westphälischen Militärdienste desertirt war, sollte denselben fahren; den zweiten lieferte der Ackermann Sonnenberg, zu dessen Leitung ein Freund des jüngeren Oppermann, Bode, bestimmt war.

Am 29. December versammelten sich die Eingeweihten Abends 11 Uhr zum letzten Male in Oppermann’s Hause, wo sich auch der Bevollmächtigte einfand. Dieser verabredete nun, daß die Wagen am folgenden Morgen in Immendorf, einer Poststation an der nach Münden führenden Heerstraße, eintreffen sollten, neben den obengenannten Fuhrleuten sollten Hagen und ein gewisser Altag die Expedition begleiten, er selbst, ausgerüstet mit einem dahin lautenden Passe, werde unterwegs als Weinhändler und Besitzer der zu ladenden Waaren auftreten. Allen empfahl er dann, ihre Hoffnung auf Gott zu setzen und frischen Muth zu behalten, Oppermann dankte er beim Abschiede noch besonders für alle bis dahin bewiesene Treue und Hingebung. „In den ersten Tagen des neuen Jahres,“ sagte er bedeutungsvoll, „sollt Ihr von mir hören; die Tage der Tyrannenherrschaft sind gezählt; was Schill und Dörnberg nicht gelang, das ist Braunschweigs Friedrich Wilhelm vorbehalten, Deutschland wird ihm seine Befreiung verdanken und dann auch derer nicht vergessen, die wie Ihr treulich geholfen haben.“ –

Am 30. December früh 5 Uhr verließen die beiden Ackerwagen Oppermann’s Gehöft. Es war ein kalter stiller Wintermorgen, Oppermann hatte den Sohn bis an das Hofthor begleitet und ihn dort mit einem warmen Druck der Hand entlassen; in Nachdenken versinkend blickte er dem durch die öde Dorfgasse rasselnd davon fahrenden Fuhrwerk nach, immer entfernter vernahm er den Hufschlag der Pferde und das Rollen der Räder; als es endlich ganz still wurde, falteten sich fast unbewußt seine Hände, mit einer Thräne im Auge blickte er empor zum Himmel, an dem noch die Sterne schimmerten, als wolle er das eben begonnene Werk dem empfehlen, der über dem Sternenzelte wohnt, dann schritt er langsam seinem Hause zu, um an das gewohnte Tagewerk zu gehen. Zur bestimmten Stunde langten die beiden jungen Männer mit ihren Gespannen in Immendorf an; als sie eben beim Frühstücke saßen, traf auch der Bevollmächtigte mit Hagen und Altag ein, und man trat nun gemeinschaftlich die Weiterreise an. Alle waren heiter und voll Zuversicht, in den Gasthäusern, in denen man einkehrte, spielte der Weinhändler seine Rolle prächtig, mehrere Male stießen sie auf Patrouillen westphälischer Gensd’armen, ein Blick aber in den von ihrem Führer vorgezeigten Paß schnitt alle weitere Nachfragen seitens dieser Plagegeister ab. In der Abenddämmerung des 1. Januar 1812, des für Napoleon so verhängnißvollen neuen Jahres, langte die Expedition in Münden an, wo im Gasthause „zum braunen Hirsch“ ausgespannt wurde. Nachdem der junge Oppermann und Bode die Pferde besorgt hatten, kam der als Bedienter fungirende alte Hagen zu ihnen und machte die Anzeige, daß der Herr gemeinschaftlich mit ihnen zu Abend zu speisen wünsche. Alle begaben sich nun auf das Zimmer des Bevollmächtigten im ersten Stock, wo bereits ein Tisch servirt war. Man setzte sich; das behaglich erwärmte Zimmer, das nach einer an dem Tage zurückgelegten zwölfstündigen Fahrt vortrefflich mundende Abendessen, der reichlich ausgesetzte Wein rief bald eine sich Allen mittheilende Fröhlichkeit hervor, in welcher der Herr den Uebrigen voranging; er sprach seine Freude darüber aus, daß bis dahin Alles so gut gegangen, erschöpfte sich in Spottreden über die gefürchtete westphälische Polizei, deren gerühmte Wachsamkeit so einfache Leute wie sie ein Schnippchen schlügen, und rieth, sich nach den Strapazen der letzten Tage nun gütlich zu thun. – Gegen das Ende der Mahlzeit forderte er auf, nochmals die Gläser zu füllen, da er einen Toast ausbringen wolle. In der fröhlichsten Stimmung erhob sich die Gesellschaft von ihren Sitzen und stimmte mit jubelndem „Hoch“ in den von dem Führer gesprochenen Trinkspruch: „Es lebe der Alte!“ – Die Gläser erklangen, im Einverständniß drückten sich die Gefährten die Hände – da plötzlich hörte man schwere Tritte und Säbelgeklirr auf dem Vorsaale, die Thür flog auf, ein Detachement Gensd’armen trat mit gezogenen Säbeln ein, und der demselben voranschreitende Wachtmeister rief: „Im Namen des Königs, Ihr seid meine Gefangenen!“

Starr vor Schrecken, auf den eben noch Freude strahlenden Gesichtern die Blässe des Todes, standen die Vier da; ihre Blicke suchten den, der sie auf dem Wege hierher durch das bloße Vorzeigen seines Passes von allen Belästigungen der Polizei befreit hatte, aber wie hatte sich in den wenigen Augenblicken seine Miene verwandelt! um seine Lippen zuckte ein teuflisches Lächeln, mit dem triumphirenden Blicke eines Künstlers, der sich eines gelungenen Werkes freuet, überflog er noch einmal die Gruppe, dann wandte er sich rasch der Thür zu und schritt mitten durch die ihm Platz machenden Gensd’armen aus dem Zimmer. Da fiel es den Zurückbleibenden wie Schuppen von den Augen; – „Verrathen!“ klang es durch ihre Seele, abermals hatte raffinirte Schurkerei einen Sieg über vertrauende Ehrlichkeit davon getragen; der angebliche Bevollmächtigte des Herzogs Friedrich Wilhelm – sein Name ist unbekannt geblieben, nur daß es ein Deutscher gewesen, steht fest – war ein Spion der berüchtigten westphälischen geheimen Polizei, der, als er seine Opfer sicheren Händen übergeben hatte, mit dem Bewußtsein einer Heldenthat im Herzen und dem erschwindelten Gelde in der Tasche vom Schauplatze abtreten konnte. Widerstand war unmöglich; an Händen und Füßen geschlossen, führte man die Gefangenen in ein sicheres Gemach des unteren Geschosses, wo sie unter strenger Bewachung eine furchtbare Nacht durchwachten; – als der Morgen des zweiten Januar grauete, waren sie, von den Gensd’armen umringt, auf dem Wege nach Cassel.

Die von dem Bevollmächtigten dem alten Oppermann beim Abschiede gegebene Versicherung, daß er in den ersten Tagen des neuen Jahres von ihm hören solle, erfüllte sich mit Schrecken. Ueber Nacht erschienen die gefürchteten Gensd’armen auch in Oelper und verhafteten dort Oppermann, den Kothsassen Julius Sonnenberg, welcher den zweiten Wagen gestellt, Meier, der das Geld vorgeliehen hatte, sowie noch mehrere durch Mitwissen an dem Unternehmen betheiligt Gewesene; Gleiches widerfuhr auch dem Gärtner Möbes vor Wolfenbüttel, der sich zur Aufnahme der Waffen bereit erklärt hatte. Oppermann zeigte sich vom ersten Augenblicke an gefaßt; einmal in der Gewalt der Tyrannei, täuschte er sich über sein bevorstehendes Schicksal keinen Augenblick; auch dachte er zu edel, um die bei ihm aus dem reinsten, opferfreudigsten Patriotismus hervorgegangene That gegen die in Abrede zu stellen, deren Servilismus gegenüber er sich ohngeachtet seiner Fesseln ein freier Mann fühlte; nur die durch seine Vermittlung mit in das Verderben Gezogenen beklagte er und suchte die Anklage möglichst von ihnen abzulenken.

Streng von einander geschieden waren die Gefangenen im Castell zu Cassel untergebracht. – Der nach einem mißglückten Fluchtversuche in verschärfte Haft zurückgebrachte jüngere Oppermann sah zufällig von dem eisenvergitterten Fenster seines Kerkers ab die Ankunft seines Vaters und dessen Genossen, doch ward dem Sohne nicht erlaubt, sich ihm auch nur einen Augenblick zu nähern. Die mit den Gefangenen angestellten einzelnen Verhöre schleppten sich durch volle zwei Monate, der Bevollmächtigte kam dabei nicht wieder zum Vorschein. Am 7. März führte man die Angeklagten zusammen vor eine aus zwei französischen und fünf deutschen Officieren zusammengesetzte Militärcommission, um ihnen ihr Urtheil zu verkündigen, es lautete für Alle: „Tod durch Pulver und Blei,“ – „wobei indeß die Commission einstimmig beschlossen habe, theils wegen Alter, theils wegen Jugend und geschehener Verführung, den Andreas Meier, Julius Sonnenberg, Oppermann Sohn, Möbes, Altag und Bode der Gnade Sr. Majestät des Königs zu empfehlen, bei Oppermann dem Vater aber, sowie bei dem ehemaligen Soldaten Hagen sei das ausgesprochene Todesurtheil fest zu halten.“ Kurz vor Mitternacht schon kam die Entscheidung; – den zur Verkündigung derselben unter starker militärischer Bewachung im Hofe des Castells Versammelten wurde bei Fackelschein eröffnet, daß „Se. Majestät das bezüglich der genannten sechs Gefangenen eingereichte Gnadengesuch bestätigt und die Todesstrafe in lebenslange Eisenstrafe verwandelt habe, an dem älteren Oppermann dagegen und Hagen sei das ausgesprochene Todesurtheil mit Tagesanbruch zu vollstrecken.“

Als man nach diesem Acte die Verurtheilten in ihre Gefängnisse zurückführen wollte, wandte sich der jüngere Oppermann mit der Bitte an den wachthabenden Officier, noch die letzten Stunden mit seinem Vater verleben zu dürfen; aber mit dürren Worten verwies ihn der Angeredete auf die vorgeschriebene Ordnung, nach der solches nicht gestattet sei. – Auf einen Wink des Officiers

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