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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Ich erstaunte über die Fülle von Begebenheiten, deren Zeuge er gewesen war, auch konnte ich seine Sprachkenntnisse nicht genug bewundern. Er gab mir zu verstehen, daß er eine lange Zeit über mit den Vereinigten-Staaten-Marschällen nicht auf dem besten Fuße gestanden und es deshalb vorgezogen habe, eine Reihe von Jahren in den europäischen Gewässern sein Glück zu versuchen, wozu ihm die Kriege und Revolutionen reichlich Gelegenheit gegeben hätten. Erst bei dem Ausbruche des Bürgerkriegs drüben sei er nach den Neu-England-Staaten zurückgekehrt und habe dann, durch den Einfluß eines Senators, dessen Sohn er einst einen Dienst erwiesen habe, unterstützt, das Glück gehabt, das Commando des Black Hawk zu übernehmen. –

Endlich nach elftägiger Fahrt warfen wir Mitte October vor Kopenhagen dicht unter der Dreikronenbatterie Anker, und Morton, der mir mitgetheilt hatte, daß er dort von früher her sehr bekannt sei, ging sofort an’s Land, um alte Freunde aufzusuchen und Briefe von seinen Rhedern auf der Post abzuholen. Erst am nächsten Morgen kam er wieder an Bord, wie es schien, ziemlich verstimmt, und theilte mir mit, daß es schwer sein würde, Fracht für St. Thomas oder für Westindien zu bekommen, da die Verschiffer des Krieges halber der neutralen Flagge den Vorzug gäben; außerdem hätten ihm seine Rheder die Instruction hinterlassen, wo möglich wegen der südländischen Kaper keine Ladung für die Vereinigten Staaten anzunehmen; wenn es ihm nicht gelänge, in den baltischen Gewässern Fracht nach irgend einem andern europäischen Hafen zu bekommen, möge er nach Southampton segeln, dort würde er weitere Briefe und Vollmachten vorfinden. Er fügte hinzu, und dabei flog es wie ein schwarzer Schatten über seine wettergebräunte Stirne, er habe alte Bekannte am Lande getroffen, und vielleicht, wenn ich und die Mannschaft die rechte Sorte von Leuten am rechten Platze wären, könnten wir noch ein recht profitables Geschäft machen, wenn es auch nahe an der Hölle vorbeiginge.

„Denken Sie nicht, Charley,“ fuhr er vertraulich fort, „daß unser schwarzer Falke tüchtige Rippen hat, und daß sein Rückgrat (Kiel) stark ist, wie das einer Fregatte? Es mag sein, daß wir diesen Winter noch mit Eis zu thun haben, und so denke ich, es ist besser, wenn wir Leute von Nyholm kommen lassen, um unsern Vordersteven stärker zu machen.“

Diese und ähnliche Aeußerungen Morton’s fielen mir um so mehr auf, da ich die Verstärkung unseres Vorderstevens für eine vollkommen unnütze Ausgabe hielt, während doch sonst der Master bei seiner mir wohlbekannten Geldgier einer fast übermäßigen Sparsamkeit huldigte. Außerdem war unser Schiff so stark, wie es Holz und Eisen möglicher Weise machen können; werden ja doch die großen Neu-England-Klipper vom besten Material gebaut.

Gegen Abend kamen zwei Herren an Bord, die mich so ziemlich an unsere Broadway-Dandies erinnerten; sie begrüßten Morton sehr freundlich und nach einigen gewöhnlichen Redensarten folgten sie ihm in die Kajüte, wo er sich mit ihnen einschloß. Nach Verlauf von zwei Stunden verließen sie das Schiff, und Morton, den ich noch nie so höflich gesehen hatte, begleitete sie auf das Artigste nach der Fallreepstreppe, dann trat er freundlich zu mir hin und sagte, er hätte mit seinen Besuchern über eine sehr wichtige Angelegenheit gesprochen, die er mir vielleicht späterhin, wenn ich unverbrüchliches Stillschweigen geloben wolle, mittheilen werde.

Am nächsten Tage, da ich von Morton bereitwillig Urlaub erhalten hatte, schlenderte ich gemüthlich in den Straßen Kopenhagens herum, um die Sehenswürdigkeiten der Stadt zu beschauen.

An diesem wie an den folgenden Tagen kam ich öfter mit dänischen Seeleuten zusammen, die, wie ich, gern beim Kruge Bier und der holländischen Pfeife ihr Garn spannen. Da die meisten von ihnen englisch und viele auch deutsch sprachen, konnte ich mich ganz gemüthlich mit ihnen unterhalten. Das Thema des Gespräches war in der Regel der anscheinend bevorstehende Krieg mit Deutschland, das sie im Grunde ihres Herzens haßten. Preußen, das im letzten Kriege seine eigenen Landsleute und Bundesgenossen verrathen habe, unterfange sich jetzt, kriegerische Drohungen auszustoßen, und zeige übermüthig auf seine neu entstehende Marine. Ja, wenn noch die Handelsherren von Hamburg und Bremen eine solche Sprache führten, dann müsse man noch Respect haben, das seien praktische Leute, die gewiß tüchtige Kriegsschiffe ausrüsten und tüchtige Seeofficiere anstellen würden, aber das windbeutelige Schreibervolk in Danzig verstehe vom Marinedienst so viel, wie der Esel vom Lautenschlagen. Die deutschen Seeleute seien gut genug, sagte mir ein alter Hafenbeamter, auch viele von den Officieren, allein der stupide Junkergeist, der von Berlin aus sich geltend mache, wirke wie ein Mehlthau auf die junge Pflanze der preußischen Marine. Die ganze Administration sei in den Händen von unwissenden Landratten, die sich freilich gut auf den Parademarsch verständen, aber keinen Schooner von einer Fregatte unterscheiden könnten. Da sei es doch bei ihnen ganz anders, da gelte ein alter vergilbter Stammbaum nichts, nur das Verdienst würde belohnt; die Marine sei an und für sich demokratisch, deshalb schätze man sie in Dänemark über Alles, während in Preußen das Junkerthum dieselbe aus ebendemselben Grunde verabscheue. – Es thut mir leid, daß ich diese und ähnliche Aeußerungen nur oberflächlich in meinem Tagebuche notirt habe, da sich das gesunde, klare seemännische Urtheil darin aussprach. Da ich selbst einmal an Bord eines Kriegsschiffs gedient hatte, so mußten mir Einrichtungen, wie sie mir bei der preußischen Marine als bestehend geschildert wurden, im höchsten Grade unzweckmäßig, ja sogar lächerlich vorkommen; jedenfalls sind die Anschauungen des Paradeplatzes auf dem Quarterdeck eines Orlogschiffes nicht am Platze; wenn man ihnen huldigt, wird man bald nur zu seinem eigenen Schaden erkennen, welchen Mißgriff man gemacht hat.

Morton, der jetzt außerordentlich zutraulich gegen mich wurde und mich häufig mit in die Stadt nahm, schien alle Hoffnung aufgegeben zu haben, Fracht zu bekommen, und da der zweite Mate immer hinfälliger wurde – kaum zeigte er sich bei Sonnenschein auf dem Deck – so trug er mir auf, noch mehr Ballast einzunehmen, um das Schiff schwerer zu machen. Der Black Hawk ohne Ladung ging in der That zu hoch aus dem Wasser, was bei stürmischem Wetter, und einem solchen sahen wir in der That auf der Nordsee und im Canal entgegen, nicht zweckmäßig ist, zumal wenn das Schiff, wie das unsere, hohe Klippertakelage hat. Liegt zu wenig Gewicht auf dem Kiel und man setzt bei sehr hohen Masten viel Segel auf, so wird das Schiff, wenn es einigermaßen stark weht, überstürzig und kann leicht vollständig umschlagen. Auch am Bugsprit ließ Morton neue Stützbalken anbringen, deren Construction er selbst nach eigener Idee leitete; ebenso wurde das cutwater[1] durch starke eichene Bohlen verplankt, alles Vorrichtungen, als wenn wir direct in den arktischen Ocean hinein steuern müßten. Als ich Morton fragte, zu welchem Zwecke er diese Veränderungen träfe, lächelte er auf zweideutige Weise und sagte: „Charley, Sie müssen nicht so neugierig sein; wenn die Zeit kommt, werden Sie mir dankbar sein, daß ich unseres Falken Schnabel schärfe, er wird es bald nöthig haben.“ – Da er auf meine weitern Fragen nicht antwortete, sonst aber Alles that, um meine gute Meinung zu gewinnen, so achtete ich nicht weiter darauf. Sind wir Seeleute doch durchgängig sorglose Menschen, welche das Kopfzerbrechen nicht sehr lieben, und ist nicht der Capitain absoluter Herr auf seinem Schiffe, der Keinem Rede und Antwort zu stehen hat? Auffallend war es mir jedoch, daß jene oben bezeichneten Herren öfter an Bord kamen, und daß Morton ihnen zu seiner und ihrer Zufriedenheit die Veränderungen zeigte, welche er am Bugsprit vorgenommen hatte. Seeleute waren diese Herren nicht, auch keine Schiffsbauer, das konnte man an ihren Händen sehen; ich traute ihnen instinctmäßig nichts Gutes zu, fast konnte ich mit Shakespeare sagen:

„Juckend sagt mein Daumen mir,
Etwas Böses naht sich hier.“

Eines Nachmittags, als ich auf dem Königsneumarkte die Reiterstatue des Königs Christian V. bewunderte, fühlte ich, daß Jemand leise meine Schulter berührte. Als ich mich umschaute, gewahrte ich meinen alten Hafenbeamten, der mich, indem er mir von seinem echten cavendish[2] anbot, freundlich anredete.

„Nun, Meßmate, wenn Ihr so ein vertracktes preußisches Kriegsschiff sehen wollt, so kommt mit mir hinüber nach der Insel Amager; die Corvette Amazone ist im Ansegeln begriffen. Uebrigens braucht Ihr nicht sehr zu eilen, denn sie ist langsam, wie eine Schnecke.“

Da ich weiter nichts zu thun hatte, nahm ich das Anerbieten an, und bald waren wir in Christianshaven, von wo wir in kurzer Zeit einen Punkt erreichten, von dem wir das sich nahende Schiff ziemlich gut beobachten konnten. In der That, wenn mir der Alte nicht gesagt hätte, daß die Amazone ein Kriegsschiff sei,

  1. Cutwater, die vordere aufsteigende scharfe Kante des Kiels.
  2. Cavendish, amerikanischer Kautabak.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 418. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_418.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)