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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

blieb ohne Erfolg. Der Richter Waldeck hatte nichts mit dem politischen Charakter desselben, mit seiner Eigenschaft als demokratisches Haupt gemein. Nach wie vor sitzt Waldeck im Geheimen Obertribunal, dem er seit dem Jahre 1846 definitiv angehört, und kein Jurist als solcher wird leugnen, daß er eine Zierde desselben und seiner Wissenschaft ist. Das verhindert freilich nicht, daß ihn noch heut die preußischen Justizminister und viele Andere zum Teufel wünschten; aber Wünsche dieser Art giebt es frommer Weise in jeder Partei, und sie richten sich recht oft sogar selbst gegen die Minister.

Zwölf Jahre lang, von 1849 bis 1860, lebte Waldeck still und einsam lediglich seiner Rechtswissenschaft. Wie seine Partei, hielt er sich von allem politischen Leben Jahre lang fern; wie diese sammelte er neue Kräfte und blieb der Alte in seinem Glauben. Die Schule des Unglücks läuterte die Demokratie, befreite sie von ihren Irrthümern, verknüpfte sie inniger als zuvor mit dem wirklichen Leben.

Erst 1860 trat Waldeck wieder aus seiner Zurückgezogenheit heraus, indem er sich an dem deutschen Juristentag betheiligte. Ein Mandat lehnte er damals, wie die anderen Führer der Demokratie, noch ab – denn, wie gesagt, die Vincke’schen Liberalen hatten damals die Aufgabe der Zeit zu erfüllen. Erst als diese sich unfähig dazu zeigten, gab die Demokratie ihre passive Haltung auf, um vor Allem dem Ganzen, gewiß nicht um lediglich ihren Interessen zu dienen. Und dieser Waldeck, den die Reaction zu einem rothen Gespenst gestempelt hatte, vor dem alle Philister eine Zeitlang ein Grauen überkam und mit dem die Schulkinder wie mit dem schlimmen Nicolaus geschreckt wurden, dieser Waldeck trat nun auf wie ein ganz vernünftiger, ganz ungefährlicher Mann; die Philister schämten sich nun ihrer Angst und fanden, daß Waldeck gar kein so fürchterlicher Mensch sei; die Demokraten getrauten sich wieder, sich Demokraten zu nennen, nachdem der durch den Janhagel von 1848 entstandene und von der Reaction colportirte, anrüchige Nebenbegriff von Umstürzlern, Revolutionären und mordlustigen Communisten angesichts der wirklichen demokratischen Eigenschaften sich verloren hatte. Es dämmerte überall jetzt die Ueberzeugung auf, daß man einer politischen Gesinnung jeder Art dienen könne, ohne an seinem persönlichen Charakter dadurch beschädigt zu werden, und daß überall die Redlichkeit und Festigkeit der Parteimeinung von dem bloßen Maulheldenthum derselben zu unterscheiden sei.

So ist es gekommen, daß Waldeck heut bei allen seinen Gegnern in Achtung steht, denn man weiß es, er ist sich treu geblieben, in seinen Tugenden wie in seinen Schwächen – ein starrer Charakter, der lediglich das Ziel im Auge hat, dem er seit dreißig Jahren energisch nachgestrebt, und der niemals rechts und niemals links davon abweichen will, selbst wenn er dadurch an Popularität, vielleicht auch an praktischem Erfolg gewönne. Er ist eben ein alter Demokrat, der aus den Zeiten hervorgegangen ist, in denen die demokratischen Ideen erst zu geringer Klarheit im Volke gekommen waren und sich unreif meist nur in Studentendemonstrationen und literarischen Productionen äußerten. Mit echt westphälischer Zähigkeit bleibt Waldeck auf diesem Standpunkte; denn außer seinem Streben, die allgemeinen Principien der Demokratie in das Staatsleben einzuführen, richtet sich seit dreißig Jahren seine Hauptkraft darauf, die Freiheit der Gemeinde, des Bauers, als erste Bedingung staatlicher Freiheit, zur Geltung zu bringen.

Benedikt Waldeck ist am 31. Juli 1802 im alten Münster geboren, so daß er also seine Kindheit unter der Franzosenherrschaft verlebte, die mit der cäsarisch zugestutzten Einführung der Ideen der Revolution nicht eben Anstand nahm. Hier sind die Wurzeln der deutschen Demokratie überhaupt und auch die der Waldeck’schen Gesinnung zu suchen. Auf der Universität Göttingen, wo er mit Heinrich Heine zusammen Poesie und dramatische Scherze trieb, bildete er sich zum Juristen aus, und 1828 kam er schon als Oberlandesgerichts-Assessor nach Halberstadt, 1832 als Gerichtsdirector nach Vlotho in Westphalen, später nach Hamm als Oberlandesgerichtsrath und 1844 in das geheime Ober-Tribunal zu Berlin, dem er seit 1846 als Rath angehört.

Zu den Ideen aus der Franzosenherrschaft kamen selbstverständlich später die Einflüsse des verbotenen deutschen Liberalismus, der in Folge der Carlsbader Beschlüsse ein ziemlich die ganze gebildete Welt umfassender wurde und durch die Julirevolution wesentlich mit neufranzösischen Ideen gekräftigt, aber auch irritirt wurde. Wir deuten dies nur an, um damit zu sagen, daß Waldeck ebensowenig wie Anderen die politischen Grundsätze angeflogen sind, wie solche denn stets aus den Einflüssen der Zeit hervorgehen.

Mit instinctiver Zähigkeit hatte sich Waldeck – geleitet dabei unstreitig durch den angeborenen westphälischen Freisassensinn – schon in Vlotho mit den bäuerlichen Verhältnissen eingehend beschäftigt. Er faßte dieselben ganz den Ideen von 1789 gemäß auf, und in seiner ersten Schrift, „über das bäuerliche Erbfolgegesetz in Westphalen“, plaidirte er nicht nur für die freie Dispositionsbefugniß des Bauers über sein Eigenthum, sondern auch für die Stein’sche Agrargesetzgebung von 1807 – nebenbei gesagt, auch ein Resultat der französischen Revolutionsideen, wie alle Stein’schen Reformen und sonach wie das ganze damals neu errichtete Preußen. Insofern ist Preußen wirklich ein demokratischer Staat, unbeschadet, daß es ein königlicher ist.

Die angeführte Schrift machte viel Aufsehen und bestimmte die preußische Regierung, Waldeck’s Vorschläge zu prüfen. Er wurde sogar Mitglied der deshalb in Münster eingesetzten Commission, doch kam die Angelegenheit nicht zum Austrag. Im Jahre 1848 aber bewirkte Waldeck die Aufnahme eines darauf gerichteten Gesetzes in die Verfassung. Das war freilich nicht im Sinne der feudalen Aristokraten, sondern es war ein demokratische That; aber zufällig wurde sie außerdem auch sehr wohlthätig für die westphälischen Bauern und ist es bis heutigen Tages noch. Wie populär Waldeck sich durch alle diese Bestrebungen bei der ländlichen Bevölkerung gemacht hatte, deutet der Umstand an, daß man ihn damals, also in den 30er Jahren, in Westphalen allgemein nur den „Bauernkönig“ nannte.

In allgemeiner Beziehung äußerte sich die demokratische Gesinnung Waldeck’s auch in der Auffassung des Gerichtswesens. Er war es, der 1843 die Jubelfeier zu Soest anregte, wo von dem Richterstande das Princip gefeiert wurde, welches in der zehn Jahre zuvor erlassenen königlichen Verordnung des mündlichen und öffentlichen Gerichtsverfahrens in Bagatellsachen ausgedrückt war. Seine Rede bei diesem Feste machte durch seine begründeten Forderungen nach Justizreorganisation und Proceßgesetzgebung ungewöhnlichen Eindruck in den betreffenden Kreisen, und es war wohl ein schöner Triumph, als bald darauf diesen Forderungen entsprochen wurde und auch aus dem Gerichtswesen die alten feudalen Einrichtungen verschwanden. Das war auch wieder demokratisch, aber alle Welt, außer der Kreuzzeitung, findet es heut für sehr gut.

Die Bewegung von 1848 mußte natürlich von Waldeck, in welchem deren Geist schon längst gearbeitet hatte, mit großer Leidenschaftlichkeit erfaßt werden. Jetzt war ja die Zeit gekommen, da der Staat auf den Grundlagen der Demokratie reorganisirt werden sollte, da der noch bestehende mittelalterliche Feudalismus den Einrichtungen des bürgerlichen Rechtsstaates Platz zu machen hatte. Waldeck wurde in Berlin und anderwärts gewählt, und trat in die preußische Nationalversammlung, deren Vicepräsident er dreimal, zuletzt bei deren Auflösung, war.

Es gelang ihm, die verschiedenen Fractionen der Linken unter seiner Leitung zu einigen und damit das Haupt der Opposition in der Versammlung zu werden. Er nahm dadurch eine bedeutende Machtstellung ein, die ihm namentlich den Haß der Reaction zuzog. Und doch übte Waldeck immer nur einen mäßigenden Einfluß auf seine Partei aus, in der viel republikanische Tendenzen und wilde Leidenschaften herrschten. Durch geschickte Transactionen mit den Centren unter Unruh und Kirchmann schwächte er die meisten leidenschaftlichen Anträge der äußersten Linken ab und gewann für diese alsdann die Majorität. Unter den damaligen Umständen war es wohl ein Verdienst, so zu handeln, und doch an Ansehen und Popularität nicht einzubüßen.

Was nun Waldeck’s Thätigkeit in der Nationalversammlung von 1848 speciell betrifft, so dürfte heute von Seiten der Vernunft gar keine Anklage gerechtfertigt sein. Diese Thätigkeit war allerdings eine echt demokratische, aber sie war keineswegs revolutionär, noch unheilvoll, wie sich am besten durch die später folgenden Ereignisse herausgestellt hat.

Waldeck bewirkte die Einsetzung einer Verfassungscommission, deren Vorsitzender er wurde und welche die neue Constitution für Preußen entwerfen sollte. Ehe dieser Entwurf beendet war, erfolgte im November 1848 die Auflösung der Versammlung –

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