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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

es oft gar nicht möglich, den richtigen Sinn aus diesem Kauderwälsch von Deutsch herauszufinden. Als Pendant zu ihm kann in gewisser Weise der Adjunct Lohse dienen; denn er spricht gar kein Deutsch, sondern principiell nur dänisch. Er ist ein deutscher Renegat, war Dirigent der deutschen Gelehrtenschule in Husum, hieß damals „der Vater Lohse“ und wurde in Folge seiner deutschen Gesinnung seiner Stelle entsetzt. Da ging er ganz offen in das eiderdänische Lager über. – Soll ich auch des Lehrers H. O. Hansen erwähnen? Auf ihn muß der Ausspruch von Moritz Busch ganz besonders anwendbar sein: „Dänen, von welchen mehrere ein Deutsch reden, wie das Englisch des Doctor Cajus in den „lustigen Weibern von Windsor“, lehren deutschen Kindern, wie man Deutsch spricht und schreibt. Ist das nicht, als ob das Hackebret die Harfe lehren wollte, wie sie zu klingen habe[1] Mein geistiger Kampfgenosse für Schleswig-Holstein sah die danisirte Domschule fünf Jahre früher als ich.

In exaltirtem Eiderdänenthum wetteifern hier ferner mit einander der Collaborator Helms, der Conrector Dr. Manicus, Sohn des Dr. Manicus, der mit seiner Tochter in so würdiger Weise die Flensburger Zeitung redigirte, und der Collaborator Peter Knudsen Blichert. Helms ist der geniale Verfasser des Liedes „vom tappern Landsoldaten“, des dänischen Nationalliedes, eines solchen Gemisches von Trivialität und Unsinn, daß es wirklich nicht zu begreifen ist, wie dies einfältige Gedicht im neunzehnten Jahrhundert hat zum Nationalliede eines gebildeten Volkes werden können. Helms zeichnete sich aber nicht allein als Sänger, sondern auch als Held im Schleswig-Holsteinischen Kriege aus – ein zweiter Tyrtäos. Das Schulprogramm theilt ausführliche Nachrichten über die Lorbeeren mit, welche er sich in der Schlacht bei Idstedt errang. Er avancirte – zum Sergeanten und erhielt das Danebrogskreuz und bald nachher, trotz seiner überaus mangelhaften Bildung, einen Ruf nach Schleswig. Sein eifrigstes Studium besteht darin, die Verwandtschaft des Dänischen mit der plattdeutschen Sprache zu entdecken, und er verwendet die Schulstunden, um seinen Schülern die Resultate seiner Forschungen mitzutheilen. Er, Blichert und Munsmann würzen jede Schulstunde mit politischen Vorträgen. Im Unterricht in der griechischen Sprache – denn auch damit ist Blichert betraut – vermeidet er stets die Formen der Verba abzuhören, weil er sie nicht kennt. Wie darnach die Erklärung der Classiker ausfallen muß, bedarf wohl keines Wortes.

Damit man mir nun dänischerseits nicht vorwerfen kann, daß ich von meinem Parteistandpunkte aus die Zustände und Personen an der danisirten Domschule in Schleswig geschildert habe, welche zugleich die erste deutsche Gelehrtenschule des Landes sein soll, so will ich zum Schluß meiner Schilderung auch von den Lehrern Grünfeld und Christian Johannsen sprechen. Schleswiger von Geburt sind Beide königlich dänisch gesinnt. Wie ihnen das bei den unerhörten Zuständen, welche in Schleswig herrschen, bei der maßlosen Tyrannei, mit der alle nationalen Rechte dort Seitens der dänischen Regierung mit Füßen getreten werden, möglich ist, ist mir freilich unbegreiflich; aber der Wahrheit gemäß muß ich von beiden Männern sagen: Sie waren das, was sie heute sind, immer; sie haben nie aus Egoismus oder aus persönlichem Interesse ihre politische Ueberzeugung gewechselt und sie sind als Lehrer Männer von wissenschaftlichem Streben, von pädagogischer Tüchtigkeit und von einem ernsten Pflichtgefühl. Daß sie, geborene Schleswiger, ein dänisches Herz haben, mögen sie vor ihrem Gewissen und vor dem mißhandelten Lande verantworten. Mögen diese wenigen Worte der Anerkennung, welche ich mitten in diesem Sumpfe von Bornirtheit und eiderdänischem Fanatismus beiden Männern schuldig zu sein glaube, ihnen nicht zum Nachtheil gereichen!

Wenn er diese Zeilen liest, er, der die deutsche Gelehrtenschule in diesen Sumpf von Bornirtheit und eiderdänischem Fanatismus verwandelt hat, der Grundpfeiler der Danisirungsbestrebungen an der deutschen Jugend in Schleswig, so glaubt er vielleicht, ich habe seiner vergessen. Wie wäre das möglich, wie könnte ich Ludwig Sören Porelsen’s vergessen, des Rectors und ersten Dirigenten der danisirten Domschule, des gefügigsten Werkzeuges der dänischen Regierung, deutsche Herzen zu danisiren, des Busenfreundes des Polizeimeisters Jörgensen, der verhaßtesten Persönlichkeit in Schleswig-Holstein! „Es ist meine Mission, die Trotzköpfe zu bändigen!“ schrie er, als er einen zwanzigjährigen Schüler, der gerade die Universität in Kiel beziehen wollte, für eine geringe Vergeßlichkeit mit Ohrfeigen regalirt hatte. Diese Mission übernahm er im Jahre 1855, als er zum alleinigen Dirigenten der Domschule ernannt und der bisherige Rector seiner flauen Gesinnung wegen entlassen wurde. Ein exaltirter Eiderdäne, vom Magister schnell zum Doctor creirt, um doch seiner Persönlichkeit ein gewisses Ansehen zu verleihen, besitzt er sämmtliche Eigenschaften, um ein starker Grundpfeiler des Dänenthums zu werden. In seiner Antrittsrede sprach er seine Absichten mit ganz deutlichen Worten aus, und der Bischof Breaen, der den neuen Rector einführte, machte Schüler und Lehrer darauf besonders aufmerksam, daß dies wichtige Amt nur mit des Himmels Segen zu verwalten sei! – Deutsch spricht der neue Rector der deutschen Gelehrtenschule in höchst mangelhafter Weise. Er giebt sich auch nicht die geringste Mühe, die deutsche Sprache zu erlernen. Und weshalb auch? Grenzenlose Verachtung deutscher Bildung und deutscher Literatur sind ja Grundzüge seines innersten Wesens, und seine Mission besteht ja gerade darin, alle deutschen Elemente aus der Bildung der schleswigschen Jugend zu verdrängen. Der Rector interpretirt seinen Schülern Homer’s Odyssee. Mögen folgende, wörtlich von einem Primaner niedergeschriebene Sätze Proben dieser geistvollen Interpretation des großen Griechendichters liefern: „Odysseus schneiderte sich einen Stab.“ – „Der Wein stiegt Polyphem zum Kopfe; er wurde des Auges geraubt.“ – „Die Phäaken wetteiferten sich.“ – „Den ganzen Tag saß Penelope fleißig.“ – „Odysseus erhob sich in der Höhe, daß er das Land ersehen konnte.“ – „Als sie aus dem Thore gingen, traten ihnen drei Männer in’s Gesicht.“ – „Ein mütterlicher Großvater.“ – „Xenophon vernahm den Geruch.“ – „Wir sind bereit, Dich Alles zu ersetzen.“ – „Er hatte beworben um die Gattin.“ – „Wie geht es Dich?“ – „Hast Du Dich einen Loch in’s Kopf gefallen?“ – „Es wird in Erfüllung gesetzt.“ – „Ich habe mich Mühe gegeben.“ – Was würde der alte Grieche sagen, wenn er in dieser Weise sein Epos erklären hörte? –

Aber Eines hat der dänische Rector gründlich verstanden. Er hatte in Jahresfrist alle Einrichtungen in der Schule nach dem Muster der Schulen in Dänemark umgewandelt, und das Grundprincip dänischer Wissenschaft und dänischen Unterrichts, die Methode des Auswendiglernens, eingeführt. Das Einpauken und das Auswendiglernen nimmt in Dänemark, sowohl auf der Universität zu Kopenhagen, wie in allen Gelehrtenschulen, die Stelle der Erforschung des Geistes in der Wissenschaft ein. Entwickelung und Fortbildung des Geistes war ja auch nicht des neuen Rectors Mission, wohl aber, ein infames Princip zur Geltung zu bringen, nämlich den Gemüthern der heranwachsenden deutschen Jugend dänische politische Sympathien einzuimpfen und wenn diese Beimpfungen fruchtlos ausfallen sollten, die Herzen der Kinder so lange durch kleinliche Quälereien zu martern, bis sie den Glauben an sich selbst verlieren würden. Dies infame Princip wird freilich nicht erreicht. Bei dem Bruderstamme in Schleswig stählt der Widerstand die Kraft, und wenn einst die unermeßliche Schuld an Dänemark vergolten wird, dann wird er beweisen, daß, wie Egmont sagt, er sich wohl drücken, doch nimmermehr unterdrücken läßt!

Gustav Rasch.





Fichte und der Berliner Landsturm.

Es war am 19. Februar des Jahres 1813, als der berühmte

Philosoph Fichte, dessen hundertjähriger Geburtstag erst vor wenig Wochen von dem deutschen Volke in erhebender Weise gefeiert wurde, mitten unter seine Zuhörer trat und das Katheder bestieg. Tiefes, ehrfurchtsvolles Schweigen herrschte in dem großen Auditorium, und die Blicke der Schüler hingen voll Erwartung an den Zügen des geliebten Lehrers, dessen ganzes Wesen in diesem Moment eine ungewohnte Erregtheit verrieth. Seine Wangen waren geröthet, seine Augen strahlten in eigenthümlichem Glanze, und seine sonst so feste und markige Stimme, mit der er einst jene gewaltigen Reden an

  1. Schleswig-Holsteinsche Briefe von M. Busch. Bd. I, S. 125 und 126. Verlag von Gustav Mayer in Leipzig. 1856.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 395. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_395.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)