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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Menschenhand berührte, zu Muthe sein muß, wenn er, durch die umstrickenden Fesseln fest gebannt und seine Glieder von Fäusten juchzender Bauern gepackt fühlend, seines Hauptschmuckes durch die unheimlich schnarchende Säge beraubt wird! Das gehetzte, seinen Feinden erliegende herrliche Geschöpf erwartet mit weitaufstehenden Nasenlöchern und heraushängender Lecke, die Lichter in schmerzvoller Pein verdrehend, sein Schicksal – in solchen und ähnlichen Zuständen mag wohl das feuchte Weiß im angsterfüllten Auge zu der Sage Veranlassung gegeben haben, daß der edle Hirsch in der Stunde des Todes helle Thränen weine.

Rasch waren diese ersten Gefangenen in die bereit stehenden Behälter gebracht, worin sie sich, wie alles Wild, vom Augenblick der engen Gefangenschaft an, vollkommen ruhig benahmen. Nun war die nächste Aufgabe, das Wild von der andern Seite des Grundes, wo der ganze Trupp jetzt stand, auf das Plateau zurück zu bringen, um dann die Netze hinter ihnen wieder zu heben und das Treiben von Neuem zu beginnen. In zitternder Hast floh der geängstigte Haufe bei Annäherung der Treiber seinem alten Stand zu, und schnell erhob sich hinter ihnen die verhängnißvolle Netzwand, gegen die die Verfolgten nun abermals getrieben wurden. Während ein Theil derselben den Netzen zuprallte, durchbrach ein anderer die Treiberlinie, wobei ein altes Thier versuchte, den Zaun, der das Ackerland vom Wildpark trennte, zu überfallen. Er war jedoch zu hoch, so daß es zu kurz sprang und dadurch mit der vollen Wucht seines Körpers die oberste, etwa vierzöllige Stange zerbrach. Die Splitter flogen weit umher, aber das Thier entkam wirklich auf den Acker. Da es dort nicht entfliehen konnte, so ließ man es vor der Hand ruhig gehen. Mich interessirte der Fall zu sehr, als daß ich nicht die Wirkung des kühnen Sprunges hätte näher betrachten sollen, besonders da der Haupttrupp diesmal, bis auf ein Schmalthier, das sich fing, über die das letztere deckenden Netze hinwegfloh. Ich fand, daß jenes Thier sich nicht unbedeutend verletzt, nämlich beim Durchbruch sich ein Stück Haut aus der Seite gerissen, das, von der Größe eines Handtellers, auf dem Schnee lag; auch bezeichnete die fortgehende Schweißfährte die erhebliche Verwundung. Beim abermaligen Herumholen des wieder über den Grund geflohenen Truppes entdeckte ich auch noch, daß ein weißer Damhirsch sich, schlau wie ein Fuchs, unter ein das Thalbächlein überspannendes steinernes Brückchen gedrückt hatte und hier ruhig allen Lärm an sich vorüber gehen ließ. Man gestattete ihm vor der Hand diesen Zufluchtsort, bis er zuletzt herausgestöbert und ebenfalls gefangen genommen wurde. In fiebernder Aufgeregtheit folgte der gehetzte Trupp nun abermals, da ihm kein anderer Ausweg blieb, dem Dränge der Nothwendigkeit und stürzte dem Fangplatz zu. Wieder stiegen die Netze empor, und wieder flogen die Massen darüber hin. Es ist mir heute noch unbegreiflich, wie es möglich war, daß nicht sämmtliches Wild Hals und Läufte brach, wenn es, da die Netze unmittelbar am Hange, statt ein Stück herein nach der Ebene zu, gestellt waren, mit ungeheuern Sätzen über dieselben hinflog und den jähen Hang hinunter stürmte, wo der steinröllige Boden vom frischgefallenen Schnee noch außerdem schlüpfrig geworden war. Schweiß von geschundenen Gliedern fand man allerdings überall. Mir galt es, möglichst viel und Interessantes zu beobachten, und so postirte ich mich jetzt dicht an die Netze hinter eine starke Kiefer, um den wie anbrandende Wogen herandonnernden Trupp in seiner höchsten Action vor mir zu haben. Hier sah ich denn auch, wie einem Stück Wild, das über seine gefangenen Geschwister mit weitschießendem Sprunge hinwegsetzte, der gefährliche Abhang verderbenbringend wurde; beim Aufsetzen auf die schroff abfallende Fläche kam es zum Stürzen, und indem es radschlagend hinabschoß, hörte ich des in die Tiefe rollenden Thieres klatschenden Schlag in’s Wasser. Beim abermaligen Herumholen des noch freien Wildes ging ich mit hinunter zur Stelle und sah nun hier den jammervollsten Anblick. Das schwerverwundete Geschöpf stand im Bache und zwar vorn auffallend niedrig; das bedauernswürdige Thier hatte beide Vorderläufte oberhalb des Knies (anatomisch richtiger: über dem Handgelenk) gebrochen. Mit diesen Stumpfen stand es, während die abgeknickten Vordertheile nach außen lagen, auf dem spitzsteinigen Geröll des Flußbettes und äugte nach mir zu. Das Herz ging mir über, und ich beschloß sofort, da sämmtliche Jäger ziemlich fern von mir mit dem Trupp beschäftigt waren, und ich ohne Zeitverlust die Qualen des Thieres zu enden wünschte, dasselbe abzunicken. Doch so wie ich mich ihm näherte, floh es, nachdem es mir zuvor einen wahrhaft herzzerreißenden vorwurfsvollen Blick zugeworfen, auf seinen entsetzlich verstümmelten Läuften den Bach entlang, so daß ich, um ihm die größere Pein zu ersparen, von meiner wohlgemeinten Verfolgung absah und den Vorfall einem der Jagdbeamten meldete, damit er das Stück Wild todtschießen möchte. Im Dränge seiner augenblicklichen Geschäfte leistete er jedoch erst später Folge und versagte mir meine Bitte, mir auf einen Augenblick sein Doppelzeug zu überlassen. Wahrscheinlich hielt er mein Anliegen nur für den Ausdruck einer unangebrachten Schießlust. Freilich, als er nach längerer Zeit sich von dem hülflosen Zustand der gequälten Creatur durch den Augenschein überzeugte, bedauerte der Mann aufrichtig, nicht eher haben einschreiten zu können, und mitleidig schoß er dem Stück Wild eine Kugel auf den Kopf. Als sollte aber dieses Thier die höchste Pein ausstehen, kam der Schuß etwas zu hoch, und die Kugel faßte die Hirnschale nur so, daß quer über derselben ein Riß entstand. Ein zweiter Schuß erst endete die jammervolle Lage. Ein anderes Stück Wild saß noch in einer Ecke und schien unfähig, an der Hetze Theil zu nehmen, obgleich man ihm äußerlich nichts ansah; daß es aber krank war, bewies seine Trennung vom Trupp. Da es sich im Thale befand, konnte man sich augenblicklich auf seinen Fang, obgleich es mit Händen zu greifen war, nicht einlassen; man hätte es sonst empor tragen müssen, um es in einem der Kasten zu bergen, die natürlich bei den Netzen standen. So ließ man es ruhig sitzen, und erst Nachmittags, als sämmtliches andere Wild eingegangen war, wurde es in sein ihm bestimmtes Behältniß gebracht. Wie ich später erfahren, ist es auf dem Transport seinen Leiden erlegen; es hatte sich das Netz gesprengt gehabt. Das zuletzt noch übrige Wild war durch die häufigen Hetzen endlich im höchsten Grade aufgeregt und erhitzt worden. Gewann es nach dem immer wieder stattfindenden Ueberfallen über die Netze am jenseitigen Hange einmal einen Moment Ruhe, so stand es, Hirsche, Mutter- und Schmalwild, mit offenen Geäßen und mit fliegenden Nasenlöchern keuchend und mühsam Athem schöpfend. Dabei stieg über dem so haltenden Trupp der heißen Thiere, denen die Flanken vor Anstrengung und Erschöpfung zitterten, eine Dampfsäule auf, die den blauduftigen Waldhintergrund wie mit einem Nebelschleier umhüllte. Doch keine Rast ward ihnen gegönnt, und immer mehr schmolz die Zahl der Freien zusammen.

Unter ihnen war noch der Altvater des Trupps, der starke Hirsch, der nach Moritzburg bestimmt war. Er, der am Morgen noch eine Stange seines mächtigen Geweihes trug, hatte nun auch noch diese verloren und führte den Rest seiner Getreuen barhäuptig an. Endlich schlug auch seine Stunde; kraftlos, wie er mehr und mehr geworden, vermochte er das Hinderniß nicht ferner zu überwinden und fiel in die ihm gestellten Fallstricke. Alles stürzte sich auf ihn, und mein Gesellschafter vom Morgen, der ihn zum Weitertransport zu übernehmen hatte, bohrte dem Ueberwundenen in Eile einen mächtig großen eisernen Ring durch das Gehör, um ihn, wie er sich aussprach, „für spätere Zeiten zu markiren“. Es war dies nicht nöthig, denn der Aermste verendete binnen vierzehn Tagen in seinem neuen Asyl, wo ihn weder Hafergarben noch sonstige Leckerbissen am Leben zu erhalten vermochten – er ging ein in Folge der ausgestandenen Strapazen und wohl auch aus Heimweh; denn, getrennt von seinem ihm gewohnten Trupp, war er in dem leeren sogenannten „weißen Hirschgarten“ in Moritzburg vereinsamt. Jetzt steht er ausgestopft im königlichen Naturaliencabinet zu Dresden, seinen einstigen Schmuck wiederum auf dem Kopfe tragend. Er war zur Zeit des Fanges ein Vierzehnender, früher aber schon Achtzehn- oder gar Zwanzigender gewesen, ein Beweis, daß er schon sehr alt war, da er bei vollkommen gleich bleibender Aeßung und sonstiger Lage dennoch zurückgesetzt hatte. Daß es schließlich mit dem Einfangen des Wildes verhältnißmäßig schneller ging, lag in der Natur der Sache ; denn es wurde zuletzt so entkräftet und resignirt, daß es leicht ward, sämmtliches Hoch- und Damwild in die bergenden Transportkästen zu bringen. Nur das durchgebrochene Stück Hochwild, der Damhirsch unter dem Brückchen und das kranke Thier im Grunde waren noch zu berücken. Nachdem auch sie ohne bemerkenswerthe Umstände der Gefangenschaft verfallen waren, war der Tag beinahe zur Neige gegangen.

Nach dieser harten Arbeit für Menschen und Thiere kamen diese zur Ruhe und jene zum Lohn, beides wohlverdient. Und somit schloß denn diesen Tag besonders für „Treiber“ und „Lärmmacher“ ein freudiger Jubel, den das sämmtliche Jagd- und

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 390. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_390.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)