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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

ich Ihnen für den Fall einer Annahme dieses Geschäfts sogleich, daß niemals von einer Aenderung des angedeuteten Verhältnisses die Rede sein kann, daß ich zwar bereit bin, mich Ihrer Ehre und Ihrem Worte anzuvertrauen, daß aber, wenn diese nicht genug Schutz für mich bieten sollten, ich mich selbst zu schützen wissen würde!“ Sie erhob sich rasch wie in einer sie plötzlich überkommenden Erregung und trat, ihm den Rücken kehrend, zum Fenster.

Er war mit starren, weitgeöffneten Augen ihren Worten wie den Veränderungen in ihren Zügen gefolgt, und erst ihr plötzliches Erheben schien ihn aus einer völligen Consternation zu wecken. Er blickte ihr nach und sah dann mit einem halben Kopfschütteln zu Boden. Nach Kurzem aber stahl sich ein finsteres Lächeln über sein Gesicht, das sich wie in der Verfolgung eines aufgetauchten Gedankens mehr und mehr zu einem eigenthümlich spöttischen Ausdrucke aufklärte. Langsam, wie in einem gewonnenen Entschlusse, richtete er endlich den Kopf auf, ließ den Blick über die schlanke, biegsame Gestalt laufen und erhob sich. „Darf ich reden, Miß Jessy?“ fragte er.

Sie wandte sich rasch um und ließ das ernste Auge groß und erwartend auf ihm ruhen.

„Ich hätte nach der Eigenthümlichkeit Ihres Wesens und nach den bereits gemachten Erfahrungen kaum auf eine unbedingte Gewährung meines Lieblingswunsches rechnen sollen,“ sagte er, und nur ein unbestimmter Ausdruck in seinem matten Auge strafte die Ruhe und Ergebenheit in seinem Tone Lügen; „ich bin nach einigem Nachdenken nicht einmal mehr überrascht von der Sonderbarkeit Ihres Vorschlags und nehme ihn als ruhiger Geschäftsmann, der in manchen Dingen anders fühlen mag, als die gewöhnliche Jugend, mit Dank an. Nur zwei Bedingungen habe ich meinerseits zu stellen, die übrigens schon die einfache Rücksicht auf unsere Stellung zur Welt lehren muß. Sie halten die Bedingungen unseres Vertrags vor jedem Menschen, wäre es auch die vertrauteste Busenfreundin, geheim, und Sie gewähren mir sodann wenigstens das Verhältniß eines Freundes zu einer vertrauenden Freundin. Trotz alles geschäftlichen Charakters unserer Verbindung möchte ich eine Häuslichkeit haben, die ich nicht zu fliehen brauche!“

Er war langsam auf sie zugetreten und streckte ihr jetzt die lange magere Hand entgegen. Ein leichter Schauer schien sie zu durchrieseln, als sie, noch wie unwillkürlich zögernd, ihm ihre Finger reichte. „Ihr erster Punkt hätte nicht der Erwähnung bedurft,“ sagte sie, als werde ihr das Reden schwer, „und ich verspreche Ihnen, daß meine Haltung, Ihnen gegenüber, nur von Ihrer eigenen Verfahrungsweise abhängen soll!“

„So mag es vorläufig sein, Miß Jessy, und ich bin zufrieden,“ erwiderte er, kurz ihre Hand drückend, „was einmal noch die Zukunft bringen kann, wissen wir Beide nicht, jedenfalls wird aber Alles von Ihren eigenen Empfindungen abhängen. Und somit lassen Sie uns in präciser Geschäftsweise an dem Tage, der zur Abfassung meines Contracts mit Ihrem Vater anberaumt ist, auch den unserigen abschließen; bis dahin aber will ich Sie mit meiner Gegenwart nicht mehr plagen, als durchaus erforderlich ist!“

Er verbeugte sich ruhig und wandte sich nach dem Ausgange; als er aber nach dem Thürschlosse griff, lag ein bitterer, höhnischer Zug fest in seinen Mundwinkeln.

Das Mädchen war in ihrer Stellung verharrt, bis er verschwunden war, dann begann sie, wie in peinlicher Unruhe, einen raschen Gang durch das Zimmer, „So nicht!“ sagte sie endlich stehen bleibend; „entweder kein Opfer oder es mit freiem Muthe gebracht! Und es ist kaum ein Opfer! Ein lebenslängliches Engagement, wie ich es als Glück betrachtet haben würde, hätte ich mir selbst eine Existenz schaffen müssen!“ Sie bewegte die Schultern, als wolle sie eine letzte peinliche Empfindung von sich schütteln, und trat langsam nach dem Tische in der Mitte des Zimmers, wo in einem flachen silbernen Körbchen eine Anzahl Visitenkarten lagen. Sie begann, wie einem neuen Gedanken sich hingebend, eine nach der andern aufzunehmen – sie trugen sämmtlich europäische Adressen, und zwischen den Firmen bekannter Geldgrößen blickten ruhig die Wappen hochadliger Familien hervor – bis ein sichtlich oft berührtes Blatt mit einem einfachen Namen, der sogar der Standesbezeichnung bedurft hatte, ihren sinnenden Blick zu fesseln schien. „Träume!“ sagte sie endlich, die Karten rasch zurücklegend und die letzte Adresse tief unter den übrigen bergend, „Träume, mit denen ich eine glückliche Zukunft für Carry und John bezahle, und darum fort damit!“

Sie war, als wolle sie ihren Gedanken entgehen, hastig zum Fenster getreten, als die Thür geräuschvoll aufsprang und ein junges Mädchen wie ein wilder Vogel hereinflatterte. „Jessy, sag, daß es nicht wahr ist, ich glaube nicht daran,“ rief sie, auf die Dastehende zueilend; „Vater sagt, daß Du heirathest – den langbeinigen Graham heirathest, der heute wie eine ganze Barbierstube duftete!“ Sie schlug ein klingendes Lachen auf und warf ihre beiden Arme um den Hals der Anderen. „Nicht wahr, das ist ein schlechter Spaß?“

Ein flüchtiges Roth kam und ging in den reinen Zügen der Angeredeten, aber sie hielt den Blick ruhig auf das rosige lachende Gesicht vor sich geheftet und strich dem Mädchen das leicht aufgebundene, reich herabfallende Haar aus der Stirn. Es war das Bild sprudelnder, noch ahnungsloser Jugend, das vor ihr stand, wenn auch die knospende Fülle der feinen Formen den bereits vollendeten Uebergang zur Jungfrau bezeichnete.

„Und warum soll es ein schlechter Spaß sein, Carry?“ fragte die Aeltere, „ist Mr. Graham nicht ein voller Gentleman und gehört zu den ersten Geschäftsleuten der Stadt?“

Carry wurde plötzlich ernst und blickte forschend in das Auge der Sprechenden. „Und das sagst Du, Jessy?“ fragte sie langsam, als könne sie das Unbegreifliche nicht fassen. „Was ist denn hier vorgegangen? Ist er denn nicht einer von den ersten Dollarmenschen, der einen Krampf in die Kinnbacken bekommt, wenn er die steife Geschäftsmiene lassen soll?“ Sie lachte wie unwillkürlich auf; als sie aber ein leichtes Zucken zwischen den Brauen der Schwester bemerkte, umschlang sie diese und küßte sie heftig. „Ich sage nichts, gar nichts, Jessy,“ rief sie, „ich will auch nichts wissen – aber, gieb Acht, ich peinige ihn, wenn er Dir Kummer macht, daß er keinen Fuß wieder nach Oakhill setzen soll. Und was sagt Mutter dazu?“ unterbrach sie sich, ihre ernste Miene wieder annehmend.

„Mutter!“ wiederholte die Aeltere mit einer eigenthümlichen Betonung, „wenn wir eine wirkliche Mutter hätten, Carry, so wäre Manches anders. Ich wäre nicht der fashionablen Ausbildung halber bei der Tante erzogen worden, hätte nicht ihr Vermögen geerbt – doch nichts weiter davon! Mutter wird wohl jetzt Nachricht erhalten und wie immer zufrieden mit dem sein, was Vater für gut befindet! – Und nun laß uns über die ganze Angelegenheit schweigen,“ fuhr sie, sich zu ihrer frühern Haltung aufraffend, fort; „was ich gethan habe, ist freiwillig und wohlbedacht geschehen, und später einmal wirst Du vielleicht meine Gründe würdigen lernen!“

Sie faßte, wie in einer plötzlichen Gefühlsregung, den Kopf der Jüngern in ihre beiden Hände und neigte sich, um sie zu küssen; diese indessen wand sich mit einem trotzigen Ausdruck des kleinen Mundes los. „Ich bin doch nicht zufrieden, Jessy,“ rief sie, „warum bist Du mit einem Male so bedacht geworden? mir soll einmal Niemand einen Mann aufdrängen, den ich nicht mag, und duftete er noch einmal so süß als der künftige Herr Schwager. Schwager!“ wiederholte sie auflachend, „o so lache doch selbst einmal, Jessy, damit ich wenigstens sehe, daß Du nicht unglücklich bist!“


(Fortsetzung folgt.)




Wild-, Wald- und Waidmannsbilder.

Von Guido Hammer.
Nr. 17. Königs Weinberg und das letzte Wild im dortigen Thiergarten.
(Schluß.)


In einem kleinen traulichen Häuschen, das früher als Vogelheerd dem Prinzen Max, der leidenschaftlicher Vogelsteller war, gedient hatte, wurde so lange um den warmen Ofen herum bei Erzählung lustiger Jägerschnaken – denn wo Genossen der grünen Farbe zusammenkommen, geht es immer heiter zu – gewartet, bis die bestellten Treibeleute eintrafen. Da das Terrain des Thiergartens

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 388. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_388.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)