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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

jetzt der Angeredete den Kopf, und in seinen Augen blitzte ein frisches Feuer auf, „kann ich von Dir sofort einige Hundert Thaler haben, wenn ich Dir Vollmacht zum Flüssigmachen meines mütterlichen Vermögens gebe?“

„Ohne Anstand! aber was ist es denn, wenn ich es wissen darf?“ erwiderte der junge Kaufmann in sichtlicher Spannung.

„Eine todte Vergangenheit und eine neugeborene Zukunft, Fritz – ich gehe nach Amerika!“ rief der Referendar, als werfe er einen ganzen Berg von seiner Brust. „Du sollst Alles erfahren, mehr als Du vermuthest, aber laß mich erst Klarheit in mir selbst schaffen. Geh’ jetzt und in einer halben Stunde komm’ wieder!“ Er schob den Freund nach der Thür und warf sich, den Brief von Neuem entfaltend, auf das Sopha.




4. In einer amerikanischen Familie.

Oben auf dem Hügel lag das Landhaus, das in dem halbitalienischen Geschmacke seiner Bauart, mit seinen ringsum laufenden Parkanlagen zu dem Namen einer „Villa“ völlig berechtigt gewesen wäre, hier aber nur unter der bescheidenen Bezeichnung „Cottage“ passirte.

Vom Fuße des Hügels herauf stieg ein dichter Kranz von breitästigen Eichen bis zur Hälfte der Höhe und schien die Besitzung von der weiten Ebene angebauten Landes völlig abzuschließen. Ein sorgfältig chauffirter Fahrweg wand sich durch die Anlagen bis zur Spitze der Anhöhe seitwärts des Hauses hin, und der Aufsteigende, welcher den Weg zum ersten Male verfolgt hätte, mußte hier in stiller Ueberraschung seinen Schritt anhalten. In scharfer Abdachung fiel am Ende des abgeplatteten Gipfels der Boden hinab, und unten strömte die breite, silberne Fluth des Flusses, der eine Zeit lang die Sclavenstaaten von der freien amerikanischen Erde trennt, von raschen Booten und rauchenden Dampfern durchschnitten. Am jenseitigen Ufer aber zeigte sich, soweit das Auge reichte, ein wunderbar erquickendes Panorama von zahllosen Villen und Städtchen, weiß und schmuck zwischen grünen Weingeländen und herbstlich buntgefärbten Obstgärten hervorlugend. Die hier hinüber blickende Seite des Landhauses war auch als eigentliche Frontseite behandelt; in einem kurzen Bogen schlang sich der Weg um das Gebäude und endete auf einem breiten Plateau, von welchem eine Freitreppe nach dem Portico des Hauses aufstieg. Das terrassenförmig ausgegrabene, mit Zierbüschen besetzte Ufer hinab leiteten bequeme Stufen nach dem Flusse, und unten in einer schmalen, künstlich geschaffenen Bucht schaukelte ein bequemes Boot.

In einem der hohen Parterre-Zimmer, das in seinen dicken Teppichen und reichen Damastvorhängen, seinen weichen Fauteuils und Causeusen, in dem reichgeschnitzten Piano und dem marmornen Kamin die ganze Fülle amerikanischen Comforts zeigte, wiegte sich eine junge Dame nachlässig im Schaukelstuhl und schien kaum auf den ältlichen, sorgfältig gekleideten Mann zu achten, welcher vor ihr den Boden mit ungeduldigen Schritten maß. „Es muß zu einem Ende kommen, Jessy,“ begann dieser jetzt, vor dem Mädchen stehen bleibend, „und ich bitte Dich recht dringend, Deinen seltsamen Launen einmal zu entsagen. Mr. Graham drängt auf eine bestimmte Antwort, zu der er jetzt ein volles Recht hat, und ich darf wohl von meiner Tochter die nöthige Rücksicht gegen mich, der ich die Angelegenheit unterstützt, verlangen, wie noch mehr die Erhaltung ihres eigenen guten Rufs. Man spielt als achtbare junge Lady nicht fast ein Jahr lang mit der Neigung eines ernsten Mannes, ohne ihr endlich voll gerecht zu werden!“

Das Mädchen richtete rasch den schönen Kopf auf. „Spielen? mit einer Neigung spielen, Sir?“ fragte sie, während sich ihr dunkles Auge ernst und fest auf den vor ihr Stehenden heftete. „Habe ich schon jemals in meinem Leben irgend einem Manne Anlaß zu Hoffnungen in Bezug auf mich gegeben? Ich habe den Gentleman, von dem die Rede ist, in meiner Gesellschaft gelitten, da Du es selbst warst, Vater, der ihn als fast täglichen Gast in unser Haus brachte; aus Achtung gegen Dich bin ich vielleicht weniger schroff gegen ihn als manchen Andern gewesen, der mich zum Gegenstände seiner Speculation machte; aber trotzdem hätte ihm sein eigenes Gefühl sagen müssen, daß von einer weitern Annäherung nie eine Rede sein könne –“

„Und deshalb ertrugst Du auch recht gern eine Reise nach Europa in seiner Gesellschaft, eine Reise, die hier in den Augen aller vernünftigen Menschen für den Beweis euerer näheren Beziehung gilt!“ entgegnete der Alte mit einem leichten Achselzucken seinen Gang wieder aufnehmend.

Sie saß blitzschnell gerade auf, und eine leichte Blässe trat in ihr Gesicht. „Der Vorwurf kam nicht aus Ihrer Ueberzeugung, Sir!“ sagte sie, während ein eigenthümliches Licht in der schwarzen Tiefe ihres Auges blitzte, „oder Sie zwingen sich zu einer Annahme, die sich leicht zu einer Kette für mich machen ließe. Ich mag Ihnen nicht in’s Gedächtniß zurückrufen, wie ich Ihre Begleiterin ward, Ihre und keines andern Menschen, Sir! aber ich versichere Ihnen einfach, daß ein solches Spiel die schlechteste Waffe gegen meine Entschlüsse ist!“

„Und darf man diese Entschlüsse wissen, Miß?“ fragte er stehen bleibend. „Ich erwarte den Mann, der bisher durch Ihre eigene Haltung als mein künftiger Schwiegersohn angesehen ward, in der nächsten Stunde. Sie werden hoffentlich nicht sagen wollen, daß Ihnen der Zweck von Graham’s Besuchen und die Hoffnungen, welche er auf unsere gemeinschaftliche Reise setzte, unbekannt waren, wenn sie auch unausgesprochen blieben; – Sie werden mich wahrscheinlich nicht als Betrüger hinstellen wollen, Miß Tochter, wenn ich, der diese Verbindung in vielfacher Beziehung nur wünschen konnte, mir aus Ihrer Duldung von Graham’s Werbung selbst die schönsten Hoffnungen schöpfte! Und so werden Sie vielleicht auch einsehen, auf wessen Seite der Vorwurf des falschen Spiels in dieser nur schon zu öffentlich gewordenen Angelegenheit liegen bleiben könnte!“

„Habe ich,“ erwiderte sie, sich groß und langsam erhebend, „allen diesen unausgesprochenen Dingen, die mir zur Last fallen sollen, gegenüber, Ihnen nicht zu verschiedenen Zeiten die wiederholte Erklärung gegeben, daß ich zu keinem von diesen Männern, wie sie in unserm Gesellschaftskreise leben, jemals in eine nähere Beziehung treten würde? Ist Ihnen das noch nicht klar und bestimmt genug gewesen, um mich jetzt vor Mißdeutung zu schützen?“

„Pshaw! Schulmädchen-Ideen!“ rief er, in einen leichteren Ton überspringend. „Du aber bist zwanzig Jahr geworden, Jessy, die Phantasie-Liebhaber, aus einem besondern Teig für jeden Geschmack gebacken, fallen nicht vom Himmel, und so durfte wohl jeder vernünftige Mensch rechnen, daß diese Schrullen zu Ende seien! Darf man wenigstens wissen, was die Ursache dieser ausgedehnten Ungnade ist?“

„Ich mag keinen Mann haben, Sir,“ erwiderte sie ruhig, aber in eigenthümlich tiefem Tone ihrer klangvollen Stimme, „dessen Denk- und Begriffsweise sich nur um den Dollar dreht, der eine Frau aus Speculation in sein Haus nimmt und sein Interesse für sie nur durch die Summe bezeichnet, welche er jährlich für ihren äußeren Schmuck bezahlt. Ich mag keinen Mann, Sir, der von innerm Zusammenleben mit der, die seine Gefährtin sein soll, nicht mehr kennt, als ihm hier und da ein zufälliges Bedürfniß gebietet, dessen ganzer Lebenszweck in dem, was er sein Geschäft nennt, aufgeht, zu welchen, seine Frau erst in zweiter oder dritter Linie steht, und der Alles, was die Menschheit bewegt, nur nach dem Maßstabe dieses Geschäfts mißt. Ich mag keinen Mann, Sir, bei dem eine Frau von weicher Seele verkümmern, den eine Frau von starkem Herzen bemitleiden und eine Frau von ausgebildetem Verstande verachten müßte.“

Sie ließ sich ruhig wieder in den Schaukelstuhl nieder, während sich ein Zug aus Bitterkeit und halbem Hohn gemischt in dem glatten, sorgfältig rasirten Gesichte des Vaters zeigte. „Und diese Wucht der Verachtung,“ sagte er, „fällt jedenfalls auch auf den alten John Winter, der nur durch die ausschließlichste Aufmerksamkeit in seinem Geschäfte, durch eine volle Würdigung des Dollars sich sein Vermögen erworben.“

„Sie sind mein Vater, Sir, dem ich Achtung und Ehrerbietung schulde,“ erwiderte sie, leicht den Kopf senkend, „und nicht der Mann, dem ich meine ganze Zukunft hingeben soll.“

Ein Ausdruck von Sorge stand zwischen seinen Brauen, als er jetzt einen neuen Gang durch das Zimmer machte und dann vor der Dasitzenden stehen blieb. „Und doch, Kind,“ sagte er, fast mit einem Anklange von Weichheit, „ist es dieser Dollar allein, welcher die Stellung eines Menschen in unserem Lande bestimmt. Wie, wenn ich heute mein Vermögen verlöre, vielleicht das Deinige, das in meinem Geschäfte mit arbeitet, dazu?“

„Ich würde Kraft haben, mir eine Existenz zu schaffen, Vater, und dann vielleicht Menschen finden, die mir nicht aus Speculation nahe träten.“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 386. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_386.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)