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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

und deren größte einen Anblick gewähren wie ungeheuere Trümmer und Säulen einer Riesenmauer.

Wenn man einzelne kleinere Felsbrocken unbeachtet läßt, so kann man 13 einzelne Felsen unterscheiden, welche die Reihe der Externsteine bilden. Von diesen sind die östlicheren oft durch weite Zwischenräume getrennt, während im Westen die größten und sehenswürdigsten Felssäulen, und zwar fünf an der Zahl, eine eng- geschlossene Gruppe darstellen, wie unsere Abbildung dies zeigt. Wir sehen zur Rechten den äußersten dieser Felsen, den merkwürdigsten von allen. Er erreicht an seiner westlichen Seite, da, wo sein Fuß sich in einem neuausgegrabenen Teiche spiegelt, eine Höhe von 125 Fuß, während seine östliche Seite 80–90 Fuß hoch emporragt. Uns selbst wendet er seine nördliche Wand zu, mit seinem denkwürdigsten Schmuck, einer der ältesten Bildhauerarbeiten Deutschlands, von welcher wir unsern Lesern hier eine besondere Abbildung mittheilen.

Die Kreuzabnahme am Externstein.

Diese „Kreuzabnahme“ ist an sich ein höchst beachtenswerthes Werk. Obwohl roh in der Reliefausführung, muß doch Gedanke und Composition dieses Bildwerks vortrefflich genannt werden und bestätigt die Annahme, daß es nur von den tüchtigen Meistern, welche zu Anfang des 12. Jahrh. in Paderborn am Dome arbeiteten, herrühren könne. Eine im Jahre 1838 von Bandel entdeckte und von Maßmann erklärte Inschrift sagt: „Im Jahre der Menschenwerdung des Herrn 1115 hat der Bischof Heinrich von Paderborn dieses Heiligthum eingeweihet.“ Es zerfällt in zwei Abtheilungen, eine untere, welche den Sündenfall (Adam und Eva von einer Schlange umwunden), und die obere, welche die Erlösung durch Christi Tod darstellt. Eine Beschreibung nach dem Original ist die folgende: Zur Rechten des Kreuzes steht Joseph von Arimathia, welcher mit Nicodemus den Leichnam des Gekreuzigten sich erbeten hatte, auf einem so zierlich und schön gezeichneten Stuhle, wie er noch heute nicht geschmackvoller erdacht werden könnte. Joseph hat den Leichnam oben vom Kreuze losgemacht und hält dasselbe noch mit dem rechten Arme umschlungen. In seinem Antlitz prägt sich tiefes und wehmüthiges Nachsinnen aus. Links hat Nicodemus die schwere Last des Heilandes auf sich genommen, und neben ihm steht, vorgebeugt, in langem schöngefaltetem Gewande die Madonna. Leider ist das sehr beschädigte Bildwerk gerade an dieser Stelle am härtesten mitgenommen; das Haupt der Maria fehlt ganz. (Ueber diesen Theil des Bildes sagt Goethe: „Vorzüglich loben wir den Gedanken, daß der Kopf des herabsinkenden Heilandes an das Antlitz der zur Rechten stehenden Mutter sich lehnt, ja durch ihre Hand sanft angedrückt wird; ein schönes, würdiges Zusammentreffen, das wir nirgends wieder gefunden haben, ob es gleich der Größe einer so erhabenen Mutter zukommt.“) Ihr gegenüber, auf der rechten Seite des Kreuzes steht, ebenfalls in langem Gewande mit gutem Faltenwurf, der treue Jünger Johannes. Ueber dem linken Arme des Kreuzes erscheint Gott der Vater mit einem edlen Antlitz voll Ernst und Theilnahme; er trägt die Seele des Heilandes als Jesuskindlein angedeutet an der Brust und hält zugleich mit der Linken eine Siegesfahne, während die Rechte wie segnend nach unten ausgestreckt ist. Unmittelbar neben Gott dem Vater zeigt sich die Sonne mit ihrem weinenden Engel hinter einem herabhängenden geschmackvoll drapirten Schleier halb verhüllt. Ihr entsprechend steht rechts der Mond, dessen Engel, ebenfalls umschleiert, mit der Hand sich die Thränen abwischt. Alle Figuren des Bildwerks sind richtig vertheilt, alle Räume zweckmäßig benutzt, die Gesichter voll Ausdruck und selbst die Gestalten nur in sehr wenigen Partien verzeichnet. Dieses Kunstwerk aus uralter deutscher Zeit verdient in vollem Maße die Liebe und Sorge, die seiner Erhaltung jetzt gewidmet wird.

Neben dieser Kreuzesabnahme sehen wir zwei große Oeffnungen im Felsen. Es sind dies Zugänge oder Fenster zweier lief in das Gestein eingearbeiteter Grotten. Die größere derselben, 36 Fuß lang, 11 Fuß breit und in der Wölbung 8–9 Fuß hoch, krümmt sich von der Nord- zur Ostseite hin und hat vier Eingänge. Neben dem östlichen Eingang steht die kolossale, aber schlecht erhaltene Figur des Apostels Petrus am Felsen. Neben der größern geht noch eine kleinere Grotte in den Felsen hinein, die sich jedoch an ihrem Ende in jene öffnet. Jene nennt man „Kirche“, diese „Seitenkapelle“. Auf diese frühere Bestimmung der Grotten deutet ein Weihwasserbecken hin, das in die Wand, und ein Taufbecken, das in den Boden eingemeißelt ist. Auf den Rücken dieses Felsen steigt man mit Hülfe einer außen eingehauenen Wendeltreppe von 88 Stufen. Bemerkenswerth ist noch die außerordentliche Wirkung des Wiederhalls auf dem Gipfel und am Fuß dieses ersten und mächtigsten Externsteins.

Sein Nachbar ist ein thurmartiger höherer Koloß, der nach Westen hin stark überneigt. Ersteigbar ist er nur mit Hülfe seines nächsten Nachbarn, des dritten Steins. Auf den Gipfel desselben führt eine in den Fels gehauene Treppe, und von diesem gelangt man mittelst einer Brücke hinüber zum zweiten Stein und zwar gerade auf einen Vorsprung, der abermals zu einer Kapelle führt, die sicher nicht ohne große Gefahr an dieser Stelle aus dem Felsen herausgemeißelt werden konnte. Sie ist 18 Fuß lang, 11 Fuß breit und mit einem 2 ½ Fuß langen, ebenfalls aus dem Stein gehauenen Altartisch versehen. – Ein 8 Fuß hoher, ausgehöhlter und mit Stufen versehener Felsblock am Fuß dieses zweiten Steines heißt die Kanzel.

Zwischen dem dritten und dem östlich davon emporragenden vierten Externsteine zieht die Heerstraße von Paderborn in’s Lipperland weiter hinein, und östlich neben beiden schließt ein fünfter Stein, beide an Höhe und Umfang bedeutend übertreffend, den sehenswerthesten Theil der ganzen Gruppe ab.

Der Ursprung der Steine und ihres Namens (oder ihrer Namen, denn sie kommen auch als Eggester-, Agister-, Egister-, Exster- und Egerstersteine in den Schriften vor) liegt noch in ungeklärtem Dunkel. Die Gelehrten halten diese freien Säulen für die Trümmer eines Sandsteinlagers, das hier von gewaltigen Fluthen ausgewaschen, zerrissen und durchbrochen worden sei, und den Namen erklären sie als Steren-, d. h. Sternsteine an der Egge, wie der Osning im Paderbornschen genannt wird.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 380. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_380.jpg&oldid=- (Version vom 27.1.2017)