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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Aroma, das Wald-und Feld entströmte. Nun lauschte man nicht mehr dem Vogelgesang, denn dieser war längst verstummt, sondern dem hellen Lockruf der Rebhübner, die in Feldern und Weinbergen ihre Familien sammelten; manches Mitglied mochte fehlen, wenn den Tag über das mörderische Blei des Jägers unter ihnen gewüthet hatte. Später kamen die rauhen, stürmischen Tage, die die Natur fahl machten und entlaubten. Der Sturm heulte hohl durch die Kiefernwipfel und jagte die Wolken vom Norden her über die Elbe hin, bis die bewegte Luft Ruhe fand und der Himmel sich mit monotonem Grau überzog, das sich wohl, zur Freude aller Jäger, als flockiger Schnee zur Erde ließ und so die erste „Neue“ bildete.

Auch dann, nachdem der Winter gekommen, unterließ ich nicht, meinen Lieblingsort zu besuchen, um mich an dem Reiz des Spürens auf schneeiger Fläche zu ergötzen. Doch zu jeder Jahreszeit blieb mir die Beobachtung des Wildes selbst die Hauptsache. Im zeitigen Frühjahr z. B. verfolgte ich den Verlauf des Abwerfens der Geweihe der Hirsche, später das Verfärben derselben und des Wildes, das Setzen der Kälbchen und das Gebahren dieser lieblichen Geschöpfe. Kam die Brunstzeit, so erfreute ich mich an dem stolzen, mannhaften Auftreten der Hirsche, an ihren gegenseitigen Kämpfen und machtvollem Schrei. Der Winter bot zugleich manches malerische Interesse, da zu dieser Zeit das Wild in seiner nüancirten Färbung im schneebelasteten Walde eine wahre Augenweide war. Wie schon erwähnt, mußten sich meine Anschauungen zumeist mit dem Blick durch den Zaun oder von ihm herab begnügen. Ausnahmsweise war ich jedoch mitunter in der Lage, ein Zweigroschenstück daran wenden und Einlaß fordern zu können. Dann rief ich, im Gefühle meiner Zahlungsfähigkeit, mit lauter Stimme des Wildwärters Namen: „Menzel!“ Dieser Lockton ließ denn auch sehr bald die Thüre des Wildschuppens, wo der Mann gewöhnlich beschäftigt war, erknarren und die lange, markige Gestalt des Gerufenen sichtbar werden. Mit Ruhe erschloß er nun auch eine innere Thür des Wildparks und kam schlürfenden Schrittes einen Fichtengang herauf, um das äußere Thor zu öffnen und dem Bezahlenden den Eintritt zu gewähren.

Im Innern kam man dem Hochwilde näher, das, scheuer als das Damwild, selten bis an den Zaun herantrat und, wenn es geschah, bei Annäherung eines Menschen sich zurückzog, hier aber, an den Besuch von Menschen gewöhnt, ihnen weniger auswich. Zur Brunstzeit jedoch mußte man in besonders angebrachte Verzäunungen treten, da dann die Hirsche gewöhnlich so bös wurden, daß sie auf jeden Menschen losgingen. War es doch hier vorgekommen, daß ein starker Hirsch den damaligen Leibschützen Petzold angenommen und denselben bereits mit den Augensprossen unter dem Hirschfängergurt gefaßt und empor gehoben hatte, um ihn gegen eine steinerne Säule der Wildfütterung zu drücken, was jedenfalls seinen Tod zur Folge gehabt haben würde, wenn nicht sein elfjähriges Söhnchen, das außen am Zaune gestanden, wohin auch der Vater seine Büchse gestellt gehabt, das Gewehr mit wahrhaft männlicher Entschlossenheit ergriffen und damit den Hirsch unter seines Vaters Leibe todtgeschossen hätte.

So hatte ich manches Jahr die mir lieb und heimisch gewordene Oertlichkeit besucht, als durch den traurigen Tod des Königs Friedrich August eine Aenderung eintreten sollte. Ein halbes Jahr darauf wurde der Beschluß gefaßt, den Thiergarten eingehen zu lassen. Zu diesem Behufe war sämmtliches Wild – Roth- und Damwild – mit Ausnahme des stärksten Edelhirsches, der nach Moritzburg in den dortigen königlichen Thiergarten versetzt werden sollte, lebend verkauft und einzufangen befohlen worden. Rechtzeitig hatte ich Nachricht davon erhalten und versäumte nicht, dabei gegenwärtig zu sein. Mit Wehmuth gedenke ich dieses Tages, einmal weil mein Lieblingsaufenthalt seines Zaubers beraubt wurde, dann aber auch, weil das Einfangen mir noch immer betrübende Vorstellungen erweckt.

Es war am 1. März 1855, einem Tage, der eher dem Januar, als einem frühlingverheißenden Monat anzugehören schien. Die volle weiße Winterdecke hüllte die Natur ein, und eisiger Nordwind strich über dieselbe hin, als wir, ich und der königliche Fasanenjäger K., uns am frühen Morgen auf den Weg machten. Mit Lust schritt ich neben meinem Begleiter her, der, ein leidenschaftlicher Jäger, keine Fährte außer Acht ließ, da der Schnee frisch war, also eine Neue bildete. Mit Verwunderung nahm ich jedoch auf diesem Wege wahr, daß mein Gesellschafter, der sonst von nichts Anderem als vom Waidwerke sprach, heute mit Exaltation nur für seine „Kleine“ Worte fand. Er redete von ihr mit einer Zärtlichkeit, die ich seinem rauhen Jägerherzen nie zugetraut hätte; nun sah ich, daß dasselbe auch Raum für das schöne Geschlecht habe, und bekam doppelten Respect vor ihm, da ich ihn von so menschlicher Seite kennen lernte; ich blieb aber deshalb auch discret und fragte nicht nach der Angebeteten Namen, deren Tugend und Liebenswürdigkeit ich still im Geiste verehrte. Im Verlauf der weiteren Mittheilungen reimte ich mir zusammen, daß sie wohl eine reizende junge Wittwe sein möge, da der wackere Waidmann von ihrem „göttlichen Mädel, der Liddi,“ sprach, und zollte ihm meine lebhafte Bewunderung, daß er an einer vaterlosen Waise so innigen Antheil nehme. Indem ich meine Freude über sein Glück äußerte, gab er mir die Versicherung, daß er dieses auch lebhaft fühle, und ehe er sie, Mutter und Kind, anderen Händen überließe, würde er lieber Beide todtschießen. Ich hielt diesen Ausspruch für einen Kernausdruck seiner Jägernatur und erwiderte einfach: das glaubte ich denn doch nicht. Hitzig entgegnete er mir, er habe für seine „Kleine“ von einem reichen Rittergutsbesitzer bereits 80 Thaler in Gold geboten bekommen, aber er habe sie nicht hingegeben, denn Niemand sollte „seine Race“ haben. Jetzt ging mir ein Licht auf – er hatte von keiner Braut, sondern von seinen Hunden gesprochen. Seitdem ist er längst verheirathet, und hoffentlich haben es Frau und Kinder bei dem vortrefflichen Menschen so gut, wie seine vierbeinigen Jagdgefährten. Mit nicht minderem Enthusiasmus sprach er von seinen Gewehren, so daß man fast hätte vermuthen sollen, er finde es eigentlich beklagenswerth, daß man eine Flinte nicht heirathen könne. In reger Unterhaltung kamen wir spielend an unser Ziel, wo bereits der Zeugwagenmeister, die Zeugdiener und die Stallleute, sowie das betheiligte Jagdpersonal versammelt waren.

(Schluß folgt.)


Naturdenksäulen deutscher Vergangenheit.

Wer auf der Heerstraße von Paderborn nach dem Lippe-Detmoldischen Lande trachtet, den begrüßen aus weiter Ferne die Höhenzüge und Hügelwellen des Teutoburger Waldes, dessen alte Ehren in jedem deutschen Knaben den ersten Stolz auf die Geschichte seines Vaterlandes erwecken. Von der Geschichte bis zurück zur Sage und zur alten Götterlehre der Germanen reichen die Erinnerungen und Wahrzeichen dieses großen Waldes. Heißt er doch selbst im Munde des Volkes der Osning oder der Osnegge, von den nordischen Asen, den Göttern, als deren liebster Aufenthalt er gefeiert wurde. Wer aber auf ihn niederschauen könnte, wie auf eine Landkarte, vor dessen Auge würde ein stattliches Bild sich aufrollen. Denn der Teutoburger Wald, oder der Osning, erhebt sich zuerst bei Stadtbergen an der Diemel über das Flachland, streicht dann bis Veldrom von Süden nach Norden und wendet sich darauf von Südost nach Nordwest, bis das Gebirge sich bei Osnabrück und Reine im Sande verliert. Diese Richtungen verfolgt es in drei ziemlich parallel laufenden Höhenzügen, die für uns besonders bemerkenswerth durch ihre Formation sind. Die äußere östliche Kette besteht nämlich aus Muschelkalk, die mittlere aus Quadersandstein, die äußere westliche aus Kalk. Wer nun auf der Heerstraße von Paderborn nach Detmold den zweiten dieser Höhenzüge, und zwar am östlichen Ende desselben, am Knickenhagen, erreicht hat, der bleibt plötzlich vor einem Naturbau stehen, welchen der Quadersandstein zu seinen eigenen Ehren hier errichtet zu haben scheint. Wir stehen vor den berühmten Extern- oder Eggesterensteinen bei Horn am Lippischen Walde.

Eine Viertelstunde von der kleinen lippischen Stadt Horn ragt nämlich eine Reihe von einzelnen, freistehenden Sandsteinfelsen auf, die, ungleich an Höhe und Gestalt, aber alle kahl und zerrissen, sich fast eine Viertelstunde lang von Nordwest nach Südost hinziehen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 379. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_379.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)