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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

ihre Hauptwerke, sowie die besten Arbeiten anderer mailändischer Künstler, deren Ateliers wir besuchten, gegenwärtig nach Florenz zur Ausstellung gesendet. Doch war noch Manches vorhanden, was unser Interesse lebhaft in Anspruch nahm. Vor allen ein Bild Domenico’s, das schon mehrfach von dem Künstler wiederholt werden mußte. Es heißt „der Friedensschluß von Villafranca.“ Aber es ist keine Staatsaction, sondern ein ergreifendes historisches Genrebild, das den Eindruck darstellt, welchen die soeben eingetroffene Nachricht von dem unerwarteten und für die Italiener so tief schmerzlichen Friedensvertrage auf die in dem Garten einer Osterie versammelten Gäste, Italiener und Franzosen, Bürger und Soldaten, Männer und Frauen allen Alters und aller Stände hervorbringt. Die Ueberraschung und Niedergeschlagenheit, der Schmerz und Zorn, die Wuth und Verzweiflung der Italiener, und die staunende Verwunderung der französischen Soldaten bei dem Lesen der so eben angekommenen Zeitung, der verschiedene Ausdruck in den Physiognomien derer, die bereits Zeit gefunden haben, über die vernommene Kunde zu debattiren, sind in den verschiedenen Gruppen meisterhaft ausgedrückt. Besonders hervortretend aber ist der Gesichtsausdruck eines alten französischen „Troupiers“, der mit zwinkernden Augen einem Italiener tröstend zu sagen scheint, daß darum noch nicht aller Tage Abend, daß „aufgeschoben nicht aufgehoben“, und daß sein empereur ein schlauer Fuchs sei, der die Sachen dennoch schon zu machen wissen werde. Das Bild ist trotz seines genrehaften Charakters von echt historischem Gehalte, denn es ist der treue Ausdruck eines Moments von historischer Bedeutung. Es ist Napoleon übel zu Muthe gewesen, als er ohne seine stolze Verheißung „frei bis zur Adria“ von Villafranca über Mailand zurückkehrte und sein Leben von mehr als einem Orsini bedroht glauben durfte. Aber zum Glück für Italien – der Orsini fand sich nicht, und es ist besser so; besser für die Italiener und vielleicht, ja gewiß auch für unser Vaterland. Denn seit diesem Tage von Villafranca ist der Stern des dritten Napoleon im Niedergange, und wenn man die Italiener im Vertrauen über ihn reden hört, so ist die Summa immer: „Wir sind ihm dankbar, denn er hat viel für uns gethan – aber wir fürchten ihn noch mehr, als wir ihm dankbar sind, und viele von uns hassen ihn im tiefsten Herzen!“

Die heutige Nummer der neubegründeten Mailänder Zeitung „Il Regno d'Italia“ giebt dieser Empfindung im Hinblick auf die Haltung Napoleon’s in der Sache des Papstregiments zu Rom einen Ausdruck von solcher Kühnheit, daß man darüber nicht in Zweifel sein kann. Es heißt darin wörtlich: „Die französischen Waffen in Rom, als Schutz des bourbonischen Räuberthums, entehren Frankreich. Sie beflecken das Banner der ersten Nation der Welt. Sie nehmen Napoleon dem Dritten jede Popularität in Italien, sie. setzen ihn in Widerspruch mit sich selbst, sie machen ihn zum „Diener zweier Herren“, sie zwingen ihn zwei entgegengesetzte Wege zu wandeln, sie machen ihn zur Beute einer Partei, vor der Throne, Könige und Kaiser verschwinden müssen. Die Welt weiß, daß und wie dankbar wir Frankreich sind, aber die Dankbarkeit hat ihre Grenzen, und sie hört auf Tugend zu sein, wenn man darüber sein Recht und seine Würde vergessen soll. Möge Napoleon sich erinnern, daß er in Italien glänzende Triumphe erlebte und eine durch ganz Europa gehende Popularität erwarb. Will er, daß Italien das Grab solchen Ruhmes und solcher Popularität werde? Rom gehört uns! Fort mit den Franzosen! Fort mit dem Bourbon! und fort endlich auch mit dem Papste!“ – Man sieht, das ist eine entschlossene Sprache; und sie findet ihren Wiederhall in tausend und aber tausend italienischen Herzen.

Turin, zwei Tage später.

Warum ich nach Turin gegangen bin? Ich wollte die Hauptstadt, die provisorische, versteht sich, des neuen Königreiches Italien kennen lernen; die Stadt sehen, in welcher ein Cavour und ein Victor Emanuel, der kühnste Staatsmann und der tapferste König unserer Zeit, den größten politischen Gedanken des Jahrhunderts geplant haben, und in welcher sich vorläufig das Leben des neuen Reiches zusammendrängt; die Hauptstadt endlich desjenigen Theils von Italien, der den gediegenen Kern des italienischen Lebens, den Grundstein seiner Gegenwart und seiner Zukunft bildet. Es waren nicht Turins Kunstschätze, die mich lockten, denn sie sind minder bedeutend als selbst die von Mailand; nicht die „ägyptischen Alterthümer“, die sein Museum bewahrt, denn wie wenig interessirt mich hier die Geschichte des alten Reichs der einbalsamirten Pharaonen gegenüber dem vollen Leben der lebendigsten Gegenwart! auch nicht seine Architektur und seine Umgebungen, obgleich die erstere durchaus nicht das übliche Prädicat der „Langweiligkeit“ verdient, und die letzteren in der That zu den landschaftlich schönsten gehören, welche eine europäische Stadt besitzt. Ich wollte sehen, wie sich eine italienische Hauptstadt ausnimmt und benimmt, welche die Aussicht vor sich hat, in allernächster Zeit, wenn das Glück gut ist, von einer Königshauptstadt, die sie seit über anderthalb Jahrhunderten gewesen, eine simple „Stadt“ Italiens zu werden; und ich kann schon jetzt meinen Landsleuten sagen, daß das Verhalten Turins und der Turiner bei dieser Aussicht durchaus nichts von jener jämmerlichen Verzagtheit hat, mit welcher die Hauptstädte der Reiche von Flachsensingen und Disteldingen bei uns daheim an die entsetzliche Eventualität denken, daß es ihnen beschieden sein könnte, einmal nicht mehr (wie sich der alte Büsching in seiner deutschen Geographie ausdrückt) „von den Ausflüssen des Hofes zu leben“. Im Gegentheil hantieren und schaffen, bauen und planen diese Turiner mit einer Rüstigkeit und einem freudigen Muthe weiter an ihrer Stadt und ihren Plätzen, an ihren öffentlichen Gebäuden und Gärten, ihren Denkmälern und industriellen Anlagen, als wäre der Satz wirklich eine Wahrheit, daß eine Stadt und ein Gemeinwesen weit mehr auf die eigene Kraft und Rührigkeit, auf ihren eigenen Fleiß und Gemeingeist ihr Gedeihen und ihre Hoffnung zu gründen habe, als darauf, daß sie „der Sitz eines Hofes“ ist.

Der Eisenbahnzug, der uns hierher führte, hielt, ich weiß nicht aus welchem Grunde, fast eine halbe Stunde bei Magenta, und ich hatte also Gelegenheit und Muße, mich auf dieser blutgetränkten Schlachtstätte umzusehen. Nur an dem Thurm der Kirche und an den Mauern eines klosterähnlichen Gebäudes sah ich noch die Spuren, welche der eiserne Hagel des Schlachtgewitters hinterlassen, das sich vor dritthalb Jahren auf dieser fruchtbaren Ebene entladen hatte. Aber sonst auch kein Anzeichen mehr davon, daß hier die Heere der mächtigsten Reiche Europa’s in eiserner Umarmung gerungen hatten, daß diese jetzt im Schmuck der Herbstfrüchte von Oel und Wein prangenden gartengleichen Gefilde das Blut so vieler Tausende getrunken. Wie allgewaltig ist doch der „Balsam der allheilenden Natur“! Das kleine Städtchen lag so friedlich da in dem milden Herbstsonnenscheine! Die Menschen waren so heiter und unbekümmert, schauten so lustig und behaglich in ihrem Sonntagsstaate. Knaben brachten und boten uns „Andenken“ an die gran battaglia zum Kauf: Stücke von Säbelklingen, messingene österreichische Doppeladler von Czako’s und Patrontaschen, die die Inschrift F. L. J. (Feldmarschall-Lieutenant Jellachich) trugen, Kugeln größeren und kleineren Kalibers. Das war Alles! Ja, diese Menschenwelt kann mehr aushalten, viel mehr als die Generation der Aengsterlinge in Deutschland glaubt, welche die Zeiten von Anno 1806 bis 1815 nur von Hörensagen kennt und nicht weiß, wie schnell sich die furchtbarsten materiellen Verluste in dem Leben der Nationen herstellen, während freilich die Schäden des Geistes, die Wunden, welche eine jesuitische Reaction einem Lande und Volke durch ein auf Verdummung und Corruption gerichtetes tyrannisches Regiment schlägt, zu schwer-heilenden fressenden Krebsschäden werden. Was aber bei dem alleinigen Mammonsdienste, bei dem ausschließlichen Trachten nach den Gütern dieser Welt, welche dem „Motten- und Rostfraße“ unterliegen, herauskommt für ein Volk, das kann man in der allerneuesten Geschichte Nordamerika’s mit rabenschwarzer Schrift geschrieben lesen.

Ich bin noch kaum mehr als vierundzwanzig Stunden in Turin, aber das habe ich bereits heraus, daß dies Turin eine der bestverleumdeten Städte Europa’s ist. Die Regelmäßigkeit ihrer Bauart hat man langweilig gescholten und mit Berlin verglichen. Ich finde weder jenen Vorwurf begründet, noch diesen Vergleich zutreffend. Es ist wahr, Turin entbehrt den Schmuck gewaltiger italienischer Kirchen und Dome; es hat keine Monumente älterer Baukunst, außer etwa der Kathedrale und dem durch moderne Anflickung einer zopfigen Prachtfaçade entstellten Palazzo Madama, der alten Herrscherburg, die, einst mit Wall und Graben, starken Ringmauern und gewaltigen Thürmen stark befestigt, noch im 15. Jahrhundert außerhalb der Stadt lag. Es hat auch keine antiken Reste römischer Zeit, denn was von solchen noch bis zum 16. Jahrhundert vorhanden war, wie z. B. das Amphitheater, ist im Jahre 1536 bei der Einäscherung eines großen Theils der

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