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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

der ganzen Nation, zur Ausführung der einzelnen Maßregeln der opferwilligen, uneigennützigen und unermüdlichen Mitwirkung gleichbegeisterter Männer. Letztere wurden gesucht zunächst in der Mitte der Dresdner Schillerstiftung; sie wurden aber, nachdem der Comité dieser Stiftung seine Mitwirkung wiederholt versagt, gefunden durch Begründung eines „Hauptvereins der Allgemeinen Deutschen Nationallotterie“, welchen außer dem Major Serre, dem die Geschäftsführung speciell anvertraut blieb, folgende Männer bildeten: Dr. v. Wietersheim, Königlicher Staatsminister a. D., Pfotenhauer, Oberbürgermeister, Dr. Hertel, Bürgermeister, Dr. Arnest, Stadtverordneten-Vorsteher, Banquier Lötze, Hofrath Dr. Ziegler, sämmtlich in Dresden, ferner Oberst v. Bielfeld zu Altenburg und Graf Hohenthal-Döbernitz.

Die Betheiligung des deutschen Volkes suchte Major Serre, ermuthigt durch die allgemeine Begeisterung, welche sich beim Herannahen der hundertjährigen Geburtsfeier Schiller’s kundgab, durch mehrere im Juni und September 1859 erlassene Aufrufe zu gewinnen, in welchen er zu sachförderlicher Mitwirkung, Beisteuer von Gaben aller Art für die Lotterie, sowie zur Entnahme von Loosen zu derselben aufforderte. Da über den weiteren Plan des Unternehmens, z. B. über die Anschaffung der Gewinne, über die Herstellung des riesigen Gewinn-Gegenstands-Verzeichnisses (4 Exemplare à 22 Foliobände, zusammen 88 Foliobände), über den sinnreichen Ziehungs-Modus, über die Anfertigung einer durchaus vollständigen Gewinn-Liste, welche nur 17 Quartbogen à 8 Seiten enthielt, über die Veranstaltung einer Ausstellung der Gewinne, sowie über Weiteres, die bekannte bereits in sechster Auflage erschienene Schrift „Die Schillerlotterie, von Alexander Ziegler“ (Dresden, K. Höckner, 1862. Preis ⅓ Thlr.) vollständigen Aufschluß giebt, so wird es genügen, hier auf dieselbe zu verweisen.

Als die Ausstellung am 1. October 1860 geschlossen war, hatten bereits 660,000 Loose Abnahme gefunden, und es mußte, sollte das Unternehmen dem Hauptvereine nicht über den Kopf wachsen und die Ziehung selbst nicht weit über die festgesetzte Zeit hinaus verschoben werden, der Betheiligung eine Grenze gezogen werden. Man mußte deshalb nicht weniger als 135,000 bereits eingesandte Thaler zurückschicken. Wie richtig hatte doch Major Serre die Verhältnisse beurtheilt, wie praktisch dasjenige reale Mittel herausgefunden, welches der Verwirklichung des Ideals am schnellsten und sichersten entgegenführen konnte! Die Ziegler’sche Schrift hat schon in sehr interessanter Vergleichung gezeigt, welch’ riesenhafte Dimensionen diese Sachen-Lotterie angenommen hatte, und es sei hier noch beispielsweise erwähnt, daß die abgesetzten 660,000 Loose aufeinandergelegt nahezu die Höhe der Pyramiden oder sicher die Höhe des Kreuzthurmes in Dresden erreichen und neben einander gefügt einen Weg wie etwa von Dresden nach Leipzig bedecken würden. Das Gewicht der 660,000 Loose beträgt 4 Centner 83 Pfund. Die Anzahl der an das Bureau eingegangenen und beantworteten Briefe mag sich annähernd auf 60–70,000 belaufen. Außer nach Sachsen, Preußen (232,000), Baiern (20,500), Württemberg (26,100), den freien Städten (18,400), Hannover (16,400) u. s. w. sind auch Loose nach Ungarn, Galizien, Polen, Griechenland, Rußland, der Türkei, Aegypten, Amerika u. s. w. abgesetzt worden.

Der vom Publicum vielfach und dringlich unterstützte Wunsch, den festgesetzten Ziehungstermin einzuhalten, dann aber auch der Umstand, daß trotz des ausgesetzten Preises von 200 Ducaten, der sogar noch bedeutend erhöht werden sollte, ein der Tendenz entsprechendes „Volksbuch“ oder ein „Roman“ nicht erlangt werden konnte, waren mit Veranlassung, daß eine größere Anzahl von literarischen und Kunstgegenständen angefertigt werden mußte, welche als sogen. Nietengewinne, gegenüber den andern „Sachgewinnen“, nicht allseitigen Beifall fanden. Sie waren aber sämmtlich unter Beirath und Zuziehung Sachverständiger entstanden und hatten mindestens einen Thaler Kaufpreiswerth. Dahin gehören insbesondere die Holzschnitte „ein immerwährender Wandkalender“ und „zwei Apotheosen“. Darauf freilich hatte man wohl gerechnet, daß die Interessenten nicht fordern würden, jeder Gewinn solle einen Thaler Verkaufswerth haben. In Anbetracht, daß der edle Zweck des Unternehmens nicht auf Gewinnsucht, sondern auf die Begeisterung des Volkes begründet worden, daß von den uneigennützigen Leitern der Lotterie über 300,000 Gewinngegenstände beschafft worden waren, die doch wenigstens 1½–2 Thaler Kaufpreiswerth haben, daß nur die rechtzeitige Herstellung von Holzstichen eben noch möglich war, wenn die allseitig gewünschte Ziehung nicht um ein halbes Jahr hinausgeschoben werden sollte, und daß jedes Loos die Chance gehabt hat, einen ansehnlichen Gewinn zu erhalten, werden bei dem Abschluß des National-Unternehmens sich diejenigen beruhigen, denen das grausam schäkernde Schicksal nicht den gewünschten Gewinn in den Schooß geworfen haben sollte.

Mancher, selbst harter Anfechtungen ungeachtet, ließ sich Major Serre in dem, was er sich einmal zur Lebensaufgabe gemacht, nicht beirren. Die Abwickelung des Geschäfts nahm ihren Fortgang, in dem verhältnißmäßig kurzen Zeitraume von sechs Monaten war auch das Ausgeben, die Verpackung und Versendung der Gewinne beendigt. Und nachdem der wegen zurückgebliebener, nicht abgeholter Gewinne gestellte Termin verflossen und die deshalb getroffenen Anordnungen ausgeführt waren (diese Gewinne, natürlich meist nur Nietengewinne, sollen zum Besten einer Stiftung verwendet werden), sah der Dresdner Hauptverein, sah Serre das mit festem Vertrauen auf die Begeisterung und Opferwilligkeit des deutschen Volkes begonnene Werk, wenn auch demselben nur etwa 3000 Geschenke von über einen Thaler Werth, ausschließlich der Bücher, zu Theil geworden, in einer Weise mit Erfolg gekrönt, welche seine kühnsten Erwartungen weit überstieg. Denn es blieb nach Abzug aller Unkosten dieses außerordentlichen Unternehmens für den Hauptzweck die runde Summe von nahezu einer halben Million Thaler übrig.

Wie der Major Serre, der, seiner hohen Jahre nicht achtend, den Rest seiner Tage daran setzte, um zwei nationale Stiftungen lebenskräftig und groß zu machen, und mit einer bewunderungswürdigen enthusiastischen, organisationssähigen und dabei zähen, harthörig durch alles Geschrei und die sich widersprechenden Vor- und Rathschläge hindurchschreitenden Natur unverrückt auf das Ziel losgegangen ist, so werden auch seine Mitarbeiter im Hauptvereine, insbesondere Herr Bürgermeister Dr. Hertel und Herr Hofrath Dr. Alexander Ziegler aus Ruhla, durch das erhebende Bewußtsein, etwas wahrhaft Gutes und Nationales gethan zu haben, sich hinlänglich belohnt und geschützt finden gegen alle Anfeindungen und Verdächtigungen, welche bei einem so gewagten Werke leider nicht ausbleiben konnten. Da wir die Bildnisse dieser drei eigentlichen Leiter und Factoren der Lotterie geben,[1] so durften einige kurze biographische Notizen dazu hier am Orte sein.

Major Serre, geboren in Bromberg im Jahre 1789, besuchte die Schule in Danzig, studirte die Rechtswissenschaft in Frankfurt a. O. und war drei Jahre lang Referendarius beim Oberlandsgericht in Glogau. Beim Ausbruch des Freiheitskrieges trat Serre 1812 als freiwilliger Jäger in das zweite Garde-Regiment und kämpfte die Schlacht bei Groß-Görschen mit. Später wurde er als Hauptmann dem Militär-Gouverneur von Sachsen, General v. Gaudy in Dresden, beigegeben, wo er seine jetzige hochgebildete Gattin kennen lernte, seinen Abschied als Major nahm und seit jener Zeit in Dresden geblieben ist. Es ist hinlänglich bekannt, daß Major Serre stets ein Wohlthäter der Armen, sowie fortwährend ein Gönner und Förderer der Kunst und gemeinnütziger Bestrebungen gewesen, und daß er auf seinem Belriguardo, genannt Maxen, schon manchem aufstrebenden Talent als ein Alphons der Zweite in verjüngtem Maßstabe erschienen ist. Serre ist vor Allem auch als der Begründer der Waisencolonien in und um Maxen zu bezeichnen, welche bezwecken, die Waisenkinder der Familie und dem gesunden Landleben zuzuführen und durch Verminderung der Waisenhäuser der Stadt eine große Ersparniß zuzuwenden. Wie wir aus guter Quelle vernehmen, sind bereits an 1000 dieser Waisenkinder seit etwa 25 Jahren dort untergebracht worden.

Bürgermeister Dr. Hertel, geb. 1807 zu Nemt bei Würzen, früher Sachwalter, seit 1837 Mitglied des Stadtrathes in Dresden und seit 1851 Mitglied der zweiten Kammer, hat trotz seiner vielen Geschäfte Zeit zu finden gewußt, Serre mit Rath und That, mit Liebe und Opferfreudigkeit, mit Geschäfts- und rechtskundiger Umsicht unausgesetzt zu unterstützen. Hertel, der von den sächsischen Landtagen her als Referent in Finanzangelegenheiten bekannt und ein ausgezeichneter Finanzmann ist, hat sich insbesondere um das Rechnungs- und Cassenwesen, sowie um die Anlegung und Aufbewahrung der Gelder sehr verdient gemacht.

Der längst bekannte Reisende und Reiseschriftsteller, Hofrath Dr. Alexander Ziegler, geboren am 20. Januar 1822 in Ruhla bei Eisenach, erzogen in der berühmten Salzmann’schen Erziehungsanstalt zu Schnepfenthal und gebildet auf dem Gymnasium

  1. Ziegler’s Portrait wird später erscheinen.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 363. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_363.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)