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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

zweiter Schrei folgte, und der Ortshäuptling stürzte athemlos in den Saal, wo unsere Palme noch im Lichterglanze prangte.

„Toewan, toewan, badak badak besar, badak besar scali“ (Herr, Herr, ein Rhinoceros, ein großes Rhinoceros, ein sehr großes Rhinoceros!) rief er, indem er sich zu uns in die Hintere Gallerie flüchtete.

Ein Donnerschlag aus heiterem Himmel hätte uns nicht mächtiger emporschnellen können, als gerade dieser Ausruf. Wir stürzten in den Saal, wo unsere geladenen Gewehre standen, aber kaum hatte Jeder seine Waffe in der Hand, kaum standen wir versammelt hinter der Palme, so trat auch schon langsam, majestätisch, den ganzen Raum der Flügelthüren einnehmend, ein kolossales Rhinoceros durch die Vorhalle in den Saal.

„Es ist der Weihnachtsmann,“ rief W. mit funkelndem Auge. Sonderbar – wir standen plötzlich der todbringenden Gefahr einige Schritte gegenüber, von ihr nur durch einige Tische und die Palme getrennt, eine Scheidewand übrigens, so nichtssagend, daß ein leiser Anstoß des Unthiers genügte, Alles vor uns zu zerschmettern, aber doch zitterte keines Einzigen Hand; im Gegentheil, kaum war das erste Erstaunen über die Kühnheit des Urwaldbewohners vorüber, als unsere gewöhnliche Heiterkeit sich unser wieder bemächtigte und mit ihr zugleich die Ruhe und die Kaltblütigkeit, die nothwendigen Begleiter des Menschen, wenn er der Gefahr mit Erfolg entgegentreten will. Wir waren Alle schon einige Zeit in Indien und zwar im Innern des Landes, daher vertraut mit der Todesgefahr, die uns ja beinahe jeden Tag bei jedem Unternehmen auf die verschiedenste Weise entgegentrat, aber in diesem Augenblicke war die Gefahr größer als je, denn wir standen einem Feinde gegenüber, dessen undurchdringlicher Panzer allen Kugeln trotzte, der nur hinter dem Ohre eine einzige kleine, tödtlich verwundbare Stelle hatte und der mit einem Anlaufe, mit einem einzigen freundschaftlichen Tritte uns zermalmen konnte. Das fühlten wir und wir waren uns zu gleicher Zeit bewußt, daß nur ein einheitliches, ruhig überlegtes Handeln uns den Sieg über das Unthier zuwenden konnte. Unwillkürlich richteten sich daher Aller Augen auf W., der sich auch seiner Verantwortung völlig bewußt, seiner Aufgabe völlig gewachsen fühlte.

„Meine Herren,“ rief er plötzlich, „sehen Sie, er avancirt, ziehen wir uns daher leise zurück, zurück in die Halle, aber kein Wort, kein unnützes Geräusch – ich habe meinen Plan!“

Wir folgten seinem Rathe und zogen uns zurück, und als W., der Letzte, aus dem Saale trat, schloß er vorsichtig die Flügelthüren.

„Jetzt aufgepaßt!“ wandte er sich in malaiischer Sprache an die Javanen, „wehe dem, der meinen Befehlen zuwiderhandelt! Boedjang, so schnell wie möglich alle Pferde gesattelt, und Ihr, Häuptling, laßt Lärm schlagen, alle, aber auch alle Einwohner Soebang’s sofort mit Fackeln hierher!“

Die Angeredeten stürzten fort, seine Befehle zu vollziehen.

„Und nun, meine Freunde, wollen wir es den alten Jungen, der sich unverwundbar glaubt, büßen lassen, daß er es wagt, unser Fest zu stören; wir wollen ihn mit Feuer vertreiben, und ich verspreche Ihnen eine interessante Jagd.“ Dies sagend, schlich er sich um das Haus und schloß auch die Eingangsthüren, während das Rhinoceros in aller Gemüthlichkeit sich unsern Weihnachtsbaum betrachtete und sich anschickte, denselben zu vertilgen. Das Alarmsignal ertönte, ein Einwohner nach dem andern erschien, wir bestiegen die vorgeführten Pferde und harrten schweigend der nächsten Anordnung W.’s, da wir seinen ganzen Plan noch nicht durchschauten.

Als über hundert Menschen sich mit brennenden Fackeln auf dem großen Rasenplatze versammelt hatten, befahl er dem Häuptling, sofort einige Mann nach Koeningan zu senden und den Fürsten nebst dem holländischen Residenten zur Rhinocerosjagd in seinem Namen einladen zu lassen, indem er sich verpflichte, das Unthier vom Urwalde abzuschneiden und bis zur Ankunft der Herrschers auf der Hochebene zu halten.

„Nun, Leute,“ rief W., sich an die Javanen wendend, „hört meine Befehle! Der Weg hier rechts von meinem Hause führt zum Urwalde, der links, wie Ihr wißt, jedoch auf die Hochebene, und wenn wir das Thier erlegen wollen, müssen wir es zwingen, diesen letzteren Weg einzuschlagen; daher muß die Hälfte von Euch die Straße rechts besetzen, die andere Hälfte aber dringt, während wir alle Thüren öffnen, von hinten lärmend in’s Haus. Der alte Kerl fürchtet sich vor Feuer, er wird also vor den eindringenden Fackeln erschrecken und vorn hinausflüchten; dann dringt Ihr hier mit Eurem Feuer vor, und so wird er sich links zur Hochebene wenden, und ist er erst dort, so ist er verloren; also an’s Werk, aber steckt mir mein Haus nicht in Brand!“

Die Javanen, mit allen Gefahren vertraut und nie denselben aus dem Wege gehend und ebenso, was Jagd und List anbetrifft, von ungemein klarem Verstande, hatten sofort den Plan unseres Freundes begriffen und hatten augenblicklich dessen Anordnungen, befolgt. W. schwang sich nun auch in den Sattel, das Signal wurde gegeben, die Thüren geöffnet, ein Feuerwald drang in den Saal und schreckte das Unthier auf, welches entsetzt zur Vorderthüre hinausflog. Hier wollte es sich dem Urwalde zuwenden, aber ein neues Geschrei, ein neues Feuermeer drang auf den Sohn des Waldes ein – er schreckte zurück und stürzte in rasendem Galopp der Hochebene entgegen, gefolgt von uns auf unseren Rennern und von Hunderten schreiender, fackeltragender Javanen, die es, was Laufen anbetraf, mit dem fliehenden Thiere, selbst beinahe mit unseren Jagdpferden, aufnehmen konnten.

Es war ein großartiges Schauspiel, welches in jener Nacht der Mond mit seinem blassen Lichte beleuchtete!

Eine meilenlange Hochebene, auf derselben ein kolossales Unthier, dessen riesige Kraft uns Alle zermalmen konnte und das dennoch entsetzt floh vor diesen nächtlichen Jägern, die ihm auf den Fersen saßen, vor diesem Feuerwalde, der tobend hinter ihm herbrauste.

Diese Treibjagd mochte ungefähr eine halbe Stunde gedauert haben, als wir vor uns ein kleines Gebüsch erblickten, welches dicht und beinahe undurchdringlich sich um einige Hügel hinzog, zwischen denen die Quelle eines der größten Flüsse Java’s, der Tji-djollang, lagen. Dorthin richtete das geängstigte Thier seine rasende Flucht.

„Jetzt haben wir den alten Jungen!“ rief W., als das Rhinoceros sich in’s Dickicht warf, „nur aufgepaßt, damit er uns nicht wieder entwischt!“

Wir hatten jetzt Alle seinen Plan begriffen, und es dauerte kaum fünf Minuten, so war auch das Gebüsch ganz umzingelt, ein Feuer neben dem andern wurde angesteckt, und als wir das Interesse gewahrten, womit die Javanen W.’s Anordnungen befolgten, gewannen wir die Ueberzeugung, daß das Thier uns nicht mehr entrinnen würde.

W. ritt noch einige Mal rund um das Gebüsch und traf überall mit der größten Umsicht die nöthigen Vorsichtsmaßregeln, dann sich an uns wendend, sagte er: „Kommen Sie jetzt, meine Freunde, hier sind wir überflüssig, denn der Fürst kann mit seinem Gefolge, wenn er sich auch noch so sehr beeilt, erst gegen Mittag ankommen, und wir haben daher Zeit, uns einige Stunden der Ruhe zu gönnen.“

Wir ritten schweigend und langsam zurück, denn ein Jeder von uns fühlte sich durch die Strapazen der vorhergehenden Tage und durch diese nächtliche Hetzjagd mehr oder weniger angegriffen und ermüdet.

Ich war erst kürzere Zeit im Innern des Landes und hatte noch keine Rhinocerosjagd mitgemacht, war daher ganz unbekannt mit den Eigenthümlichkeiten dieser Jagd und konnte mir natürlicher Weise auch nicht erklären, wie es möglich sein würde, ein so gewaltiges Thier bis zur Ankunft des Fürsten in dem kleinen Gebüsche aufzuhalten. Während des Rittes schwebte diese Frage wohl hundert Mal auf meinen Lippen, aber ich bezwang meine Neugierde und ich beschloß, ruhig den Erfolg der von W. getroffenen Anordnungen und den Ausgang unseres Abenteuers abzuwarten.

Welch ein Anblick aber bot sich uns dar, als wir die erst vor Kurzem verlassene Wohnung wieder betraten!

Im Saale herrschte eine chaotische Verwüstung. Die Palme lag gebrochen am Boden, der Krone beraubt, die wahrscheinlich mit ihrer ganzen Ausschmückung im Magen unseres leckermäuligen Eindringlings Platz gefunden hatte; der große, schwere Tisch, welcher vor derselben gedeckt gestanden hatte, lag zertrümmert da, und erst unsere Geschenke! Beinahe Alles hatte das unbarmherzige Thier zertreten oder vernichtet, und zumal kam ich bei dieser Verwüstung am allerschlechtesten weg, denn mein Geschenk bestand aus einem Dutzend Flaschen feinem Rheinwein, und was blieb mir davon?

Nur die Scherben, die zerstreut lagen, und für einige Zeit noch das duftende Bouquet, welches die Luft des Zimmers erfüllte.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 360. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_360.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)