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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

die Pachtleistungen bestimmte, stand es dem Herrn frei, die Pachtbedingungen nach seinem Belieben zu stellen, während man ihm zugleich die früheren Herrenrechte auch über die nun freien Pächter gelassen hatte. Die Wackenbücher hatten ihre Gültigkeit verloren, es hinderte den Adel nichts mehr, durch gründlichste Aussaugung der Arbeitskraft des „freien Volks“ sich nach esthländischen Adelsbegriffen den Ruf eines „guten Wirthes“ zu erwerben.

Keines seiner neuen Rechte ist für den Bauer ein größeres Unglück geworden, als das der Freizügigkeit von einem Gutsherrn zum andern. Denn da diesem Bauernrechte das Recht der Gutsherren gegenüberstand, dem Bauer den Pacht jederzeit zu kündigen, so mußte selbst der gedrückteste Pächter sich noch weiteren Leistungssteigerungen fügen, wollte er nicht von Haus und Hof verjagt sein, und welche Folgen dies für den Bauer hatte, erkennt Jeder, welcher weiß, „wie eng alle esthländischen Adelsfamilien durch die Verwandtschaft und noch mehr durch das gemeinsame Interesse verbunden sind.“ Dazu kommt noch die unmenschliche Beschränkung, daß der Esthe, als geborner und ewiger Bauer, nur solche Verträge eingehen darf, „die ihn nicht von der Landwirthschaft ablenken, und nur Verträge in Esthland und mit den esthländischen Gutsbesitzern.“ Wagt es ein Bauer, sich aus Esthland zu entfernen, so wird er sofort zum Besten der Gemeinde unter die Rekruten gesteckt.

Und unter solchen Verhältnissen genießt der Esthe auch das Recht, Ländereien und anderes unbewegliches Vermögen zu erwerben! Es klingt wie Hohn. Man hört das adelige Gelächter hinter diesem Paragraphen der Verordnung hervor. Es ist ihm erlaubt, Land zu kaufen, nur ist Niemand da, der es ihm verkaufen will. Und so ist denn „in der That seit 1816 kein einziger esthländischer Bauer zu dem eigenthümlichen Besitz eines Bauerngutes gekommen!

Desto mehr nahm die Zahl der sog. „guten Wirthe“ zu. Seit der Einführung der Freiheit (sagt mein obiger Gewährsmann, S. 33 der Schrift) sind die ohnehin schon armen Bauern zum großen Theil noch ärmer geworden. – Die Speculation des Adels, die Bauern ohne alle Mittel zur Existenz freizulassen und dennoch über sie die Gerichtsbarkeit zu behalten, gelang so gut, daß die Landgüter in Esthland von Jahr zu Jahr theurer wurden, von Jahr zu Jahr oft fast bis ein Dritttheil mehr Einkünfte brachten, – und dies Alles, ohne daß in der Art der Bewirthschaftung die Ursache solcher Werthsteigerung gesucht werden dürfte, sondern durch Vergrößerung der Kornfelder und eben deshalb durch gleichzeitige Erhöhung der Frohne, folglich nur auf der Bauern Kosten.

Zu den erfolgreichsten der bewahrten Herrenrechte gehört die Ausübung der Gutspolizei oder Hauszucht. Kraft dieser kann der Adelige als „Wirth“ seinem Pachter 15 Stockschläge, Weibern und Kindern 30 Ruthenhiebe dictiren; genügt ihm dies nicht, so kann er durch die ihm stets gehorsame Gemeindepolizei die Strafe für den Bauer auf 40 Stockschläge erhöhen lassen. Und will der Bauer Klage erheben, so darf er dies nur mit Erlaubniß des Gutsherrn! – Wird aber auch einmal ein Adeliger wegen Uebertreibung der Hauszuchtstrafen um 10 – 25 R. S. gebüßt, so fällt diese Summe – in die Rittercasse, – „zum Besten der Ritterschaft!“ – der Bauer behält die Prügel allein.

So vollendet schutzlos wußte der Adel den „freien“ Bauer zu machen, daß er ihm sogar verwehren konnte, selbst als Pächter seine Erzeugnisse zu seinem Vortheil zu verkaufen. Er hängt mit Allem, was er hat, vom Gutsherrn ab, steht deshalb bei ihm in beständiger Schuld und hat nicht die geringste Aussicht, trotz der unsäglichsten Anstrengungen, je aus diesem Elend herauszukommen. Und wagt es Einer in der Verzweiflung, heimlich etwas zu verkaufen, so drohen ihm die schwersten Strafen. – Während nach den russischen Gesetzen 80 bis 100 Ruthenstreiche (nicht Stockschläge) einer Gefängnißstrafe von 2 – 3 Jahren, also für ein schon bedeutenderes Verbrechen, gleich gerechnet werden, bestrafte ein esthnischer Hakenrichter einen Bauer mit 80 Stockschlägen, weil er ein Fuder von seinem eigenen Heu in der Stadt verkauft hatte!

(Schluß folgt.)     


Wilhelm Bauer’s Taucherkammer.

Nach schriftlichen und mündlichen Mittheilungen und dem englischen Patent des Erfinders.

Alles Neue, das im Dienste der Menschheit einen Fortschritt erstrebt, hat eine Zeit des Kampfes zu bestehen. Es mag dies in der Natur des Menschengeistes begründet, mag eine weise Einrichtung desselben sein, weil wir gerade im Kampf vieles Tüchtige sich läutern und durch den Kampf groß werden sahen. Zu beklagen war aber von je das Eine, daß namentlich bei Erfindungen, welche eine Umwälzung in vieles Altgewohnte bringen mußten, jener Kampf nicht selten die Lebenszeit der Erfinder überdauerte; sie hatten rastlos und mühevoll gesäet, mußten ihr Saatfeld von Vorurtheil, Eigensinn und Kurzsichtigkeit zerstampft sehen, und erst für spätere Generationen brachen die Halme der Ernte aus dem Boden. Ein Denkmal auf’s Grab war im glücklichsten Falle ihr einziger Lohn.

Die Zeit so langandauernder Kämpfe sollte endlich vorüber sein, die Geschichte unsrer Kultur sollte wenigstens so viel bewirken, daß ihre Lehren den Männern von erprobten Erfindungen selbst zu Gute kommen.

Eine solche erprobte Erfindung ist Wilhelm Bauer’s unterseeische Schifffahrt. Man werfe nicht ein, daß der Gedanke an sie schon lange vor ihm da war und vielfache Versuche dem Bauer’schen vorausgingen: nicht der Gedanke, sondern die technische Ausführung desselben ist die Erfindung, und in ihr steht Wilhelm Bauer einzig da, denn er ist der Erste, welcher das unterseeische Schiff unabhängig machte von der Hülfe von oben, welcher im luftdicht verschlossenen Raume sein Fahrzeug in der Tiefe beherrscht, welcher der Submarine eine eigene Seele giebt und das Meer für bedeutende Tiefen frei macht für des Menschen Streben und Forschen, soweit eben Menschenkraft die eigene Macht des Meeres zu bewältigen vermag. Gegen Zweifler und Spötter braucht eine große und kühne Erfindung, nachdem Locomotiven über und unter der Erde dahinbrausen und der Telegraphendraht über Land und Meer geht, keine besondere Rüstung mehr: hat doch selbst ein Thiers noch 1830 die Eisenbahnen, deren erste er in England sah, nur zu kurzen Lustfahrten für ausführbar erklären können. Das Beispiel genügt.

Die jetzt noch unberechenbare Wichtigkeit der Bauer’schen Erfindungen ist aus dem Nachfolgenden wenigstens soweit zu erkennen, daß unser beharrliches Bemühen für die Verbreitung der Kenntniß und für die Ausführung derselben Jedermann als gerechtfertigt erscheinen muß.

Bauer’s erste Erfindung war, wie unseren Lesern aus Nr. 41 des vorigen und aus Nr. 4 dieses Jahrgangs der Gartenl. bekannt ist, der Brandtaucher.[1] Einen solchen erbaute er zuerst in Kiel, wo er, nach zehn kleinen gelungenen Probefahrten, bei der elften den bekannten Untergang erlebte; mit einem zweiten, auf Kosten der russischen Regierung erbauten, machte Bauer 134 Fahrten. Dieser Brandtaucher ist noch im Besitz der russischen Regierung.

Die Erfahrungen, welche Bauer mit seinen Brandtauchern gemacht hatte, leiteten ihn bei der Ausführung der Taucherkammer. Blieben nämlich auch alle Mittel zur Beherrschung des Fahrzeugs dieselben, so mußte doch die ganze Gestalt eine andere werden. Die Aufgabe des Brandtauchers war es, unterm Wasser seinen Feind auf dem Wasser aufzusuchen und sich ihm, oft weit in die See hinaus, unbemerkt zu nähern; dazu war möglichst rasche Vorwärtsbewegung ein Haupterforderniß, und deshalb mußte dieses submarine Fahrzeug die langgestreckte Gestalt eines Seehunds annehmen. Die Taucherkammer stellt sich andere Aufgaben, die als ihr Haupterforderniß möglichst bestimmte Lenksamkeit bedingen; sie muß auf ganz kurze Entfernungen von wenigen Fußen, ja Zollen, seitlich sicher bewegt werden können und darf, weil ihr nächster Beruf, zum Schiffheben, sie oft zu Schiffskörpern mit lose herumhängendem Tauwerk führt, möglichst wenig Anlaß zur Verstrickung in dasselbe bieten. Endlich soll die Taucherkammer bis zu Tiefen von 500 Fuß vordringen, muß also einem ungeheueren Wasserdruck Widerstand leisten können. Dies Alles bewog unsern W. Bauer,

  1. Fachmänner und Techniker, welche eine eingehendere Beschreibung desselben suchen, finden diese in einer Broschüre von L. Hauff, „Die unterseeische Schifffahrt etc.“ (Bamberg, Büchner 1859) und in Payne’s Panorama des Wissens und der Gewerbe, wo ich ihr (Bd. I. S. 207 u. S. 369) zwei durch einen Stahlstich illustrirte Artikel widmete. Bei der geringen Verbreitung beider Werke mußte mein damaliger Aufruf für Bauer und seine Erfindung nutzlos verhallen.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 331. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_331.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)