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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

bei meiner ersten Matrosen-Uebung nicht brauchen und gehe auch jetzt bequemer ohne ihn!“

Je weiter der von den Niedersteigenden verfolgte Pfad sich in das Gewirr der Felsen hinabwand, je rauher zeigte er sich, und oft ward seine Richtung nur durch eine weiterhin deutlicher hervortretende Stelle erkennbar. Der Himmel aber begann sich mit jeder Minute mehr zu umziehen; wo sich eine Fernsicht zwischen den Felsenhäuptern aufthat, schienen die heraufgestiegenen Wolken sich von der Höhe hernieder zu wälzen, und bald waren die entfernteren Partien der wilden Landschaft völlig von Dunst verhüllt. Der junge Mann indessen hatte kaum zu Zeiten einen flüchtigen Blick für Himmel und Weg; seine Augen hingen unverwandt an den eleganten Formen und leichten Bewegungen der Vorangehenden, die in starker Willenskraft allen Rauhheiten des Gebirgspfades Trotz zu bieten schien und in stets gleichmäßig schnellen Schritten vorwärts eilte. Aber als habe sie seinen Blick gefühlt, blieb sie am Eingange einer Schlucht plötzlich stehen und wandte sich mit einem flüchtigen Erröthen zurück. „Wollen Sie nicht einmal versuchen, das Führeramt zu übernehmen?“ sagte sie, „ich habe nicht die Spur einer Erinnerung von diesen Formationen um uns, und hier scheint von einem Wege gar keine Rede mehr zu sein!“

Er hatte eine kurze Befangenheit zu überwinden, ehe er mit vollem Bewußtsein die Umgebungen zu mustern vermochte, die nirgends in dem rauhen Gestein ein leitendes Merkmal zeigten. „Bleiben Sie einen Augenblick hier, Miß,“ sagte er nach kurzer Beobachtung, „wenn der Felsenboden so gleichmäßig fortläuft, sind wir jedenfalls auf rechtem Wege, sonst müssen wir uns irgendwie einen andern Ausweg suchen!“ Er wandte sich rasch einer nahen Ecke des Gebirgszuges, welche die Aussicht nach vorwärts verdeckte, zu; aber auch hier ward ihm kein freier Blick; auf stets rauher werdendem Boden mußte er sich zwischen rechts und links aufstrebenden Felsen den Durchgang suchen. Immer mehr an der Richtigkeit des Wegs zweifelnd, aber doch auch noch nicht vom Gegentheile überzeugt, wanderte er vorwärts, bis er nach fast zehn Minuten seinen fernern Weg völlig verlegt fand, zugleich aber auch die Luft wie dicken, feuchtwarmen Nebel auf sich eindringen fühlte.

Eilig wanderte er zurück; noch hatte er aber seine Begleiterin nicht völlig erreicht, als auch schon ein leichter Sprühregen sein Gesicht näßte, und zum ersten Male trat ihm die Vorstellung, ein Unwetter mit dem gänzlich ungeschützten Mädchen in dieser Felsenöde verbringen zu müssen, drückend vor die Seele.

Sie stand, wo er sie verlassen, und blickte ihn mit gehobenem Kopfe lächelnd entgegen. „Kann ich nicht gut prophezeien?“ rief sie, mit der Hand die niederrieselnden Tropfen auffangend; er aber hatte bei ihrem Erblicken seinen Plaid auseinander geschlagen und trat damit rasch auf sie zu. „Sie müssen sich schützen, Miß,“ sagte er, ihr die dichte Hülle um die Schultern legend, ohne zuvor ihre Erlaubniß zu erwarten, „Sie sind nicht an kalte Bäder im Freien gewöhnt, wie ein Fußreisender, und ich wünsche nur, daß wir vor dem stärkern Beginn des Wetters einen Ort zum Unterschlüpfen gefunden haben. Lassen Sie uns sehen, was die Schlucht bietet, es ist ohnedies die einzige Richtung, die wir einschlagen können.“

Sie wandte mit einem großen eigenthümlichen Blicke den Kopf nach ihm, ohne das umgeworfene Tuch zu fassen. „Daß uns Frauen doch jeder Regentropfen gleich Gefahr bringen soll!“ sagte sie mit einem leichten Zucken der Oberlippe; „nach dem Geschehenen mögen Sie allerdings das Recht haben, sich auf den Sockel des stärkeren Geschlechts zu stellen –„

„Ich verstehe Sie nicht, Miß,“ erwiderte er befremdet.

„Nun, ich habe die ängstliche Sorge um die Schwäche der Frauen immer nur als eine systematische Demüthigung derselben angesehen, als ein gefälliges Mittel, ihnen die Nothwendigkeit ihrer abhängigen Stellung fortlaufend vor die Augen zu halten!“ erwiderte sie. „Aber mag es denn sein!“ fuhr sie fort, während sich plötzlich ihr früheres Lächeln durch den leichten Zug von Stolz um ihren Mund Bahn brach, „– ich darf wohl Angesichts der Lage, aus der Sie mich befreit, jetzt kaum protestiren, und so mögen Sie Ihre Genugthuung haben!“

Sie zog mit einem kurzen Griffe den Plaid dicht um sich und wandte sich rasch der Schlucht zu; kaum war er ihr aber, mit dem Reize kämpfend, welchen das ganze Wesen des Mädchens auf ihn ausübte, gefolgt, als auch schon ein erster mächtiger Donner durch das Gebirge rollte und der feine Regen plötzlich in einen gewaltigen Guß umschlug, zugleich aber auch die Vorangehende ihren Schritt anhielt.

„Kommen Sie rasch, hier ist Schutz!“ rief sie ihm zu und war im nächsten Augenblicke seitwärts in den Felsenmassen verschwunden. Der Angerufene säumte nicht zu folgen und stand nach zwei Secunden nur leicht benäßt vor einer der eigenthümlichen Grotten, wie sie, vom Gebirgswasser ausgewaschen, sich in diesen Regionen der Alpen so oft finden. Es war nur ein enger Raum, der in seiner Tiefe kaum das Aufrechtstehen erlaubte; aber der Felsen ragte wie ein Dach über dem Eingange vor, und mußte schon hier Schutz vor dem Regen geben.

Das Mädchen schien mit raschem Blicke die Eigenthümlichkeit des zeitweiligen Zufluchtsortes ermittelt zu haben, denn als ihr Begleiter sich in den Eingang flüchtete, sah er sie einen niedrigen glatt gewaschenen Vorsprung des Gesteins, welcher die Tiefe des Raumes schloß, bereits als Sitz mit dem Plaid belegen, aber beim ersten Blicke erkennend, daß neben ihr kaum genügender Platz für ihn sei, nahm er seine Stellung an der innern Oeffnung der Grotte.

Eine Zeitlang stand er hier, dem Tosen des zu voller Macht sich steigernden Unwetters folgend; Schlag auf Schlag dröhnte der Donner, in dem Wiederhall der Berge oft zu einem riesigen Gebrüll anwachsend; in vollen Strömen goß der Regen nieder, und bald war der rinnenförmige Boden der Schlucht zum Bette eines in reißender Schnelle abwärts schießenden Gebirgsbaches geworden; als sich aber das Ohr an den wilden Lärm gewöhnt hatte und er der Sicherheit des Ortes inne geworden war, wandte er seine Aufmerksamkeit fast unbewußt dem dicht hinter ihm sitzenden Mädchen zu. Er hörte das Rauschen ihrer Kleider, als versuche sie, sich eine andere Stellung zu geben, sein inneres Auge meinte die Bewegungen ihrer biegsamen Gestalt zu sehen, und die Einsamkeit des Ortes, die Abgeschlossenheit und das Geborgensein ihrer beiderseitigen Lage durchrieselte ihn mit einem noch kaum gekannten Gefühle. Er sah es nicht, daß das zu seinen Füßen vorüberschießende Wasser immer wilder schäumte und ganze Springfluthen nach ihm sandte, und erst die Stimme seiner Gefährtin rief ihn zur Wirklichkeit zurück.

„Sie werden naß, wo Sie stehen, Sir!“ sagte sie, „es ist Raum hier für uns Beide, wenn wir uns danach einrichten. Legen Sie Ihr Gepäck ab und nehmen Sie Ihren Platz hier!“

(Fortsetzung folgt.)


Indianer auf dem Kriegspfad.
Von Balduin Möllhausen.

„Nehmt dem nordamerikanischen Continent die eingeborenen Jäger und die wandernden Bisonheerden, und er verliert die letzte Poesie, mit welcher ihn die freigebige Natur so reich bedachte und die weder durch Eisenbahnen, noch durch weithin sichtbare Schornsteine von Brennereien und Fabriken, weder durch eine nach manchen Richtungen hin gewissenlose innere Politik, noch durch salbungvolle Lehren fanatischer Priester ersetzt werden kann.“ Diese Ansicht sprach ich in einem frühern Werke aus, als ich des rücksichtslosen Vordringens der Civilisation und des in Folge dessen fast unvermeidlichen Unterganges einer ganzen Menschenrace erwähnte.

Ganz dieselben Worte wiederhole ich hier, indem ich meine Blicke auf die bildliche Darstellung einer Gruppe von Assineboin-Indianern hefte; aus inniger, fester Ueberzeugung wiederhole ich sie, unbekümmert darum, ob der in denselben liegende harte, aber gerechte Vorwurf nur einzelne Individuen oder ganze Nationen trifft. – Oder sind die rothhäutigen Krieger und die zottigen Bisons vielleicht nicht würdig, als die Poesie bezeichnet zu werden, welche die endlosen Wildnisse, die oceanähnliche Prairie wie den undurchdringlichen Urwald, die anmuthigen, reich bewässerten Thäler wie die majestätischen, eisgekrönten Gebirgszüge so entsprechend, so romantisch belebt?

Schon die Erinnerung daran ist gewissermaßen Poesie, denn

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 324. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_324.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)