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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

dieses Aufgeben der juristischen Carrière und die Verzettelung des kostbar angesammelten Schatzes von Pandektenstellen in literarische Erstlingsarbeiten; aber sie nahm gleichwohl selber ernsten Antheil an diesen Versuchen. Schücking ward auch sogleich von der Literaturbewegung erfaßt. Die Elemente des jungen Deutschlands wirkten mächtig auf ihn; Gutzkow gewann ihn zum fleißigen Mitarbeiter an seinem Journal „der Telegraph“; eine erste Berührung mit seinem Landsmann Freiligrath entzündete noch mehr den jugendlichen Drang nach literarischem Schaffen. Damals entstand nun das Buch Schücking’s: „Das malerische und romantische Westphalen“, welches der Liebe zur engeren Heimath, sowie dem eingesogenen romantischen Geist der Zeit ein erstes Denkmal setzte. Eine Broschüre folgte darauf: „Der Dom zu Köln und seine Vollendung“, zu welcher die Droste auch eine Ballade: „Meister Gerhard“ beisteuerte. Das hübsche Gedicht Schücking’s: „Der Bettler am Rhein“, in dem er für den Kölner Dombau Tribut verlangte, verdankt seine Entstehung derselben Anregung.

Im Herbst 1841 verließ der junge Schriftsteller Münster, um in Folge einer Vermittelung der Droste die Bibliothek ihres Schwagers, des Freiherrn von Laßberg, auf der Meersburg am Bodensee zu ordnen. Annette selbst wohnte den Winter über auf dieser alten, noch aus den Merovingischen Zeiten stammenden Burg. Hier soll König Dagobert den Thurm erbaut, Carl Martell gehaust haben. Hier thronten die Bischöfe von Constanz, dann die Hohenstaufen, bis Conradin, den Letzten des Heldengeschlechts. Die mächtige Ruine kaufte später der als Gelehrter, gastfreier Mäcen der Schwabendichter und Sonderling bekannte Freiherr v. Laßberg, um hier seine kostbare Bibliothek und seine Sammlung von deutschen Handschriften aufzustapeln. Der Reiz der Umgebung, die romantischen Traditionen der Burg begeisterten Schücking zu dem Gedicht „die Meersburg“. Der Freiherr von Laßberg selbst war damals schon ein alter Herr, eine ritterliche, sich strack aufrecht haltende Gestalt mit langem, weißem Bart, dessen Haupt weder die Jahre, noch die stupende Gelehrsamkeit niederdrückten. Seine kostbare Bibliothek war ein Wallfahrtsort für die Gelehrten und Dichter Süddeutschlands geworden. Was die großen Sammlungen nicht zur Ausbeute gaben, das fanden die Suchenden in dem reichen Wissen des Burgherrn selbst, der, wie Schücking erzählt, in der vaterländischen Vergangenheit in einer an’s Mirakelhafte streifenden Weise bewandert war.

Das äußere Leben Schücking’s wurde von jetzt an etwas wechselvoller. Im April 1842 begab er sich nach Ellingen in Franken, der Residenz des Fürsten Wrede, der ihm die Erziehung seiner Söhne anvertraut hatte; dann mit dem Fürsten selbst auf dessen Schlösser in Oberösterreich, im romantischen Salzkammergut, von wo aus Abstecher nach Wien und anderen Theilen Oesterreichs gemacht wurden. Während des Aufenthaltes im herrlich gelegenen Mondsee, der fürstlichen Sommerresidenz, entstand sein erster Roman: „Ein Schloß am Meere“. Auch zwei Verbindungen knüpften sich hier an, welche in Schücking’s Lebensgang eingreifende Veränderungen hervorbringen sollten. Er lernte Louise Freiin von Gall kennen, eine feine poetische Natur, welche die deutsche Literatur mit mehreren künstlerisch vollendeten Novellen und hoch empfundenen Dichtungen bereichert hat. Bereits im October 1843 vermählte er sich mit ihr und fand durch sie ein sehr glückliches, die Wirklichkeit verschönerndes Familienleben, bis vor einigen Jahren (1855) der Tod die Gattin abberief. Schücking setzte ihr 1856 ein würdiges Denkmal durch die Herausgabe des Buches: „Frauenleben. Von Louise von Gall“.

Die andere Verbindung, welche sich damals einleitete, war die mit der Augsburger „Allgemeinen Zeitung“, die ihn zur Theilnahme an der Redaction einlud. Schücking übersiedelte in Folge dessen mit seiner Gemahlin nach Augsburg und blieb dort anderthalb Jahr. Außer seiner Thätigkeit an der Allgemeinen Zeitung schrieb er hier den in vieler Hinsicht trefflichen Roman „Die Ritterbürtigen“, in dem die romantischen Einflüsse bereits der realistischen Auffassung gewichen sind. Schücking war durch diesen Roman vollends in die Republik der Schriftsteller getreten, und sein Name klang bereits weit über die Kreise hinaus, in denen die erste literarische Thätigkeit ihre Anerkennung gefunden. Eine Badereise nach Ostende im Sommer 1845, worauf ein Aufenthalt am Rhein folgte, gab die Gelegenheit zu einer Verbindung mit der „Kölnischen Zeitung“, deren Redaction damals neu organisirt wurde. Schücking übernahm die Leitung des Feuilleton und verlegte deshalb seinen Wohnsitz nach Köln.

Etwa um dieselbe Zeit – 1846 – erschienen die Gedichte von Levin Schücking (bei Cotta). Sie sind als die Aeußerungen einer durchaus poetischen Natur zu bezeichnen, welche einen liebevollen Scheideblick auf ihre von allerhand Einflüssen bewegte Jugend wirft und den Blick frei und fest bereits auf ein nach langen Umwegen gefundenes Ziel richtet. Hier schlägt die romantische Cither ihre Liebesklagen; die Träume, die Phantasieen der Jugend umgaukeln noch einmal den Dichtersinn; aber dazwischen klingen schon die sonoren Töne, abgelockt dem gediegenen Metall des Realen. Zeitbilder, wie „O’Connell“, werfen ihr prächtiges Colorit durch den feinen Schleier der romantischen Poesie; echt komische Gedichte, wie die allerliebsten „Landsknechts-Lieder“, mischen sich mit den Gesängen, in denen ein volles Herz seine lyrischen Empfindungen austönt.

Dieses Gewinnen eines festen Zieles, eines eigenen Bodens, den sich der ringende Schaffenstrieb mühsam nach vielem Irren erobert, kennzeichnet sich von nun an in den Romanen Schücking’s, die eine Specialität unter denen der deutschen Literatur bilden. Ein Uebergang zu dieser bestimmten poetischen Aeußerung, zu dieser mit dem ganzen Wesen der inneren Anlagen und Neigungen harmonirenden Thätigkeit wird durch einige Schriften gebildet, welche vornehmlich dem Wirklichen das Ideelle abzulocken suchen, aber es in der Form noch nicht zu einer Bestimmtheit und richtigen Klärung zu bringen wissen. Dahin sind die kleinen 1846 erschienenen Novellen zu rechnen, das anziehende Werk „Die Römerfahrt“ (1849), sowie auch die durch die Zeitereignisse entstandene treffliche Charakteristik Heinrich’s von Gagern (1849); ferner gehören dazu die dramatischen Arbeiten Schücking’s: der durch sprachliche Schönheit sich auszeichnende „Redekampf zu Florenz“ (1854), das Lustspiel „Maria Theresia“, die gut angelegten, oft aufgeführten „Prätorianer“ und das erst kürzlich mit vielem Glück dargestellte Lustspiel „Die Novizen“, nach einer Novelle des Dichters dramatisirt. Fügen wir hier noch der Abrundung wegen die geistvollen „geneanomischen Briefe“ Schücking’s bei, welche durch Humboldt’s Vermittlung auch Friedrich Wilhelm IV. sehr interessirt haben, so mag man daraus die Vielseitigkeit der Thätigkeit dieses Schriftstellers erkennen, der in ernsten, wissenschaftlichen Arbeiten seine Erholung sucht.

Aber die eigentliche Blüthe dieser Thätigkeit besteht doch in den Romanen, welche im letzten Jahrzehnt die Muse Schücking’s geschaffen. Bis zum Jahre 1852, unterbrochen nur durch eine größere Reise nach Italien, lebte Schücking in Köln; die Stellung an der „Kölnischen Zeitung“ rief eine immer wachsende Unruhe des Lebens hervor, welche einer so stillumfriedeten Natur zuletzt lästig werden mußte. So gab Schücking denn diese Stellung auf und floh, durch den Wirbel des Lebens von dem Werth des eigenen Selbst überzeugt, mit der Ursprünglichkeit seines Wesens vertraut geworden, in die stille Einsamkeit des Sassenberger Hofes, inmitten der nordwestphälischen Landschaftselegie. Hier war sein so unendlich geliebtes Heimathland, die Erde, die sein eigen war, das Haus, der Garten, der Wald, in dem seine Vorfahren gewaltet; hier blühte durch ein theures Weib, durch geliebte Kinder ein stilles Glück, welches das Herz dieser Dichternatur am entsprechendsten ausfüllte. Und hier endlich war es, wo er für seine dichterische Thätigkeit aus der Berührung mit dem mütterlichen Boden der Heimatherde wie Antäus neue Kräfte schöpfte.

Die Schücking’schen Romane sind durchgehends cultur- und sittengeschichtliche, die in der anmuthigen Form der Erzählung über vieles Thatsächliche, dem Leben, speciell auch dem Westphalenlande Entnommene belehren und zwischendurch kunstvoll die eigentliche Fabel, das Dichterische, enthalten. Fabel und positive Wirklichkeit sind wie Kunst und Natur in Harmonie gebracht worden, und darin liegt die Größe des Talents und die hohe Bedeutung echter Volksromane. Schon in den Romanen „der Bauernfürst“ und „die Königin der Nacht“ ist diese Aufgabe auf’s Glücklichste gelöst worden; aber noch präciser in der Reihe der folgenden Werke, von denen nur die bedeutendsten angeführt sein mögen. Der Roman „ein Staatsgeheimniß“ (1854) dreht sich um die Schicksale des bekannten Uhrmachers Naundorff, der als Sohn Ludwig’s XVI. auftrat. Wiewohl der Dichter auf sein Recht nicht verzichtete, bringt er doch in dem Werke eine Reihe von Actenstücken, welche fast jeden Zweifel beheben, als sei Naundorff ein falscher Dauphin

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