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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

sollten. Man übertrug daher die Leiche Speckbacher’s von Hall, die des Kapuziners von Salzburg nach Innsbruck. Aber auch bei diesem schönen Feste der Erinnerung mußte die österreichische Polizei beweisen, daß sie trotz alledem und alledem auch noch vorhanden sei: Haspinger’s Leiche durfte, um Aufsehen zu vermeiden, erst in dunkler Nacht in die Stadt übertragen werden, und auch hier suchte man den Zutritt möglichst zu hemmen. Ein Veteran, der gekommen war, ihm die letzte Ehre zu erweisen, ging unwillig von dannen, kopfschüttelnd und brummend: „Ja, ja, sie sind halt noch die Alten!“

Ja, es sind noch die Alten, und wenn einst die wahre Geschichte des Jahres 1809 geschrieben werden darf, wird es sich herausstellen, daß die Tyroler stets die Betrogenen waren. Hierbei wäre vor Allem der Schriftwechsel des Erzherzogs Johann mit den Häuptern des Aufstandes von Belang. Im Hause Hofer’s wurden viele dahin bezügliche Actenstücke aufbewahrt, als jedoch die Wittwe des Helden starb, wußte sich der Prinz diese Schriften durch die Hand eines ergebenen Beamten zu verschaffen, und sie liegen nun im Archive zu Brandhof, wo die Einsicht in dieselben schwerlich Jedermann gestattet ist. Der gefeierte Reichsverweser dürfte dann in etwas anderer Gestalt erscheinen, als er sich selbst gern zeigte und als man ihn lange genug der Welt vorgemalt hat.





Silhouetten vom preußischen Landtage.

Nr. 3. Das Herrenhaus.

In der Absicht des Federzeichners lag es, den Silhouetten der nun glücklich von Amtswegen gebrandmarkten und doch wieder gewählten Fortschrittsmänner im preußischen Abgeordnetenhause als Pendant die der hervorragendsten Grabowianer, der Schaukelpolitiker, der stolzen Thatenscheuen, folgen zu lassen. Es gefiel dem Himmel, durch Auflösung des schönsten aller preußischen Abgeordnetenhäuser ihm durch diese Rechnung einen Strich zu machen. Versuchen wir unseren Pinsel also lieber in würdiger Weise an dem preußischen Herrenhause, diesem Musterinstitut des modernen Scheinconstitutionalismus. Es lebt ewig; man löst es nicht auf, wie den Ausdruck des Volks – man vertagt es inzwischen nur. Thut es sich also wieder auf, so ist es noch genau so, wie es gewesen war; höchstens, daß sich ein Paar aus dieser erlauchten Gesellschaft inzwischen als Minister amüsirt haben. Das soll uns jedoch nicht stören, sie nach wie vor als zum Herrenhaus gehörig zu portraitiren, insoweit es sich überhaupt der Mühe lohnt.

Als die Hohenzollern die Mark durch Pfandbesitz oder von Gottes Gnaden erworben hatten, begannen sie sofort einen Kampf gegen den eingesessenen Adel, um ihre Macht allein auszuüben, die übrigen Ritter niederzuducken. Alle preußischen Könige handelten desgleichen, denn die Beispiele der Geschichte lehrten, daß ein mächtiger Adel das Königthum als seinen Rivalen befehdet, wenn er es nicht beherrschen kann. Die preußischen Könige erzogen sich, in ganz richtiger Erkenntniß der Bedingungen ihrer Macht, eine Bourgeoisie, ein den Staat tragendes Bürgerthum, und sie hatten es nicht zu bereuen, denn Preußen wurde dadurch groß. Die Stein-Hardenberg’sche Gesetzgebung baute auf diesem Grunde das neue Preußen, denn der Staat beruhte auf der wachsenden Bedeutung des Bürgerthums. Auch die Krone erkannte diese Bedeutung an, freiwillig, und nach dem Heldendienst des Bürgerthums von 1813 bis 1815, der die Krone gerettet und verschönt hatte, versprach sie demselben als Belohnung eine rechtschaffene Mitbetheiligung an der Gesetzgebung des Landes. Der Lohn war wohlverdient, aber man erhielt ihn nicht. Erst 1848 verlangte man, nach öfteren Mahnungen, die Auszahlung desselben, theils als unbestreitbares Recht, theils weil Staat und Krone dadurch die Bedingungen neuen, zukunftsreichen Lebens erhielten. In letzter Zeit hatte überdies der Adel an der Befestigung seiner Macht wieder mit Erfolg gearbeitet, ohne daß es das Königthum – wie doch sonst – gehindert. Schon aus diesem Grunde mußte das Bürgerthum die Inbesitznahme des ihm zugesicherten Platzes im Staate beanspruchen, denn es bildete das innerste, intensivste, das wahre Leben Preußens, dessen Macht auch die seines Königs ist.

Aus dem unglücklichen Kampfe, der sich nun entspann, ging das Herrenhaus als Triumph des Adels hervor. Er hatte die Krone glauben gemacht, das Volk wolle all ihre Rechte usurpiren, herrschen, anstatt nur mitzuregieren; er bot seine Hülfe heuchlerisch dem irritirten Königthum an gegen das Volk, und so wurde dasselbe wirklich wie ein Feind zu Boden geschlagen. Der Adel aber profitirte allein von diesem unrühmlichen Siege: er schuf sich im Herrenhaus ein neues Bollwerk der Zukunft sowohl gegen das mächtig andrängende Bürgerthum, als auch gegen die Krone, wenn diese wieder erkennen würde, in welcher Täuschung sie befangen war. Und in diesem Herrenhause setzte sich der alte feudale Geist fest, den Preußens Könige immer bekämpft und welcher dem Bürgerthum keine Ebenbürtigkeit zugesteht. Er war damit wieder sanctionirt und saß dem Staate nun wie ein Pfahl im Fleische.

Im Herrenhause sitzt nicht der besonnene, leidenschaftslose Geist, welcher vor Ueberstürzungen in der Gesetzgebung bewahren und im Namen der Krone unliebsame Forderungen abweisen soll, um vor einer Aeußerung des allen Kämpfen fernstehenden Fürsten das Mißfällige solcher Zurückweisung auf sich zu nehmen – nein, im Herrenhause sitzt ein engherziger Parteigeist, welcher den Staat des großen Kurfürsten und Friedrichs, den Staat der Hoffnung Deutschlands, auf die Pfeiler des Mittelalters zurückschrauben will und, da er dies nicht kann, so jedes Fortschreiten doch zu verhindern sucht. Zu allen Sachen, die den Staat des freien Bürgerthums weiter entwickeln könnten, sagt dieser Herrenhausgeist höhnisch Nein, und das Land muß diesen Terrorismus einer Partei ertragen.

Das Herrenhaus in der Leipzigerstraße No. 3, neben dem Kriegsministerium, erfreut sich trotz der „angenehmen Temperatur“, die Herr von Roon dort fand – nebenbei gesagt, der einzige parlamentarische Witz der letzten Sechs-Wochen-Session – so selten des Besuchs gewöhnlicher Menschen, daß seine innere Einrichtung ziemlich unbekannt ist. Zwar kann selbst ein schlichter Verstand voraussetzen, daß es bei den Pairs anders aussehe, als bei den Abgeordneten des Volks; aber das geschieht nur aus Instinct. Ein Blick in den viereckigen, hohen, würdig und elegant decorirten Saal genügt, den Unterschied zwischen der Einrichtung hier und der im Abgeordnetenhause bemerkbar zu machen. Nicht allein, daß bei den „Herren“ Alles reicher, gediegener und von prächtigerer Ausstattung ist, daß anstatt des rothen, halbverschossenen Baumwollstoffs um die Tribünen hier schwerer, mit Gold bordirter und belasteter Sammet an eleganten Logen niederhängt – auch die parlamentarische Schlachtordnung der Bänke ist hier eine wesentlich andere. Rechte, Linke und Centrum sind hier äußerlich nicht markirt; sämmtliche Bänke sind wie in einer Schulstube postirt, mit der Front nach dem Katheder. Die Minister sitzen hier auch nicht dem Präsidenten, der hinter Barren wie in einer Zelle abgeschlossen thront, gegenüber, sondern ihm zur linken Seite an einer sichelförmigen Tafel.

Während der Sechswochen-Session war, trotz der dringenden Aufforderung der „Kreuzzeitung“, immer nur der kleinere Theil dieser Plätze besetzt. Wenn, wie es hieß (ohne daß man es glaubte), die nun auf ihren Lorbeeren ruhende Regierung der neuen Aera nur deshalb einen neuen Pairsschub unterließ, weil keine Plätze mehr im Saale angebracht werden konnten, so ist diese Erwägung eine sehr scrupulöse gewesen. Wie die Banken sich für gut fundirt halten, wenn sie nur den dritten Theil des Werthes ihrer Noten in Barem besitzen, so könnte man ganz gut riskiren, oder hätte es vielmehr riskiren können, die Anzahl der Pairs noch um die Hälfte zu erhöhen. Die Menge der Abwesenden würde den Anwesenden genügenden Platz gelassen und der trostlosen Leere eines „vollen Hauses“ wohlthuenderen Inhalt gegeben haben.

Auffallend bei einem Blick von oben sind die kahlen Schädel, die Masse grauer Köpfe zwischen den Bänken. Den volleren, kräftigeren Haarwuchs, den man im Abgeordnetenhause erblickt, vermißt man hier, und dies deutet an, daß größere Weisheit hier vorhanden ist. Auch ein halb Dutzend Generalsuniformen geben dieser Versammlung eine gegen die am Dönhofsplatz wesentlich abweichende Illustration, und manche andere Eigenthümlichkeiten lassen annehmen, daß in Bezug auf Disciplin ein guter militairischer Charakter hier eingeführt ist.

Auch präsidirte zuletzt ein General, der Prinz von Hohenlohe-Ingelfingen,

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