Seite:Die Gartenlaube (1862) 311.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

machte ihm jedoch der Ortspfarrer über sein Beginnen so eindringliche Vorwürfe, daß er umkehrte und die Thüre dem Juden wieder an Ort und Stelle brachte. Solchem Unfug trat Haspinger überall streng entgegen. Als ein Schwarm Oberländer die Salzcasse zu Hall erbrechen wollte, lief er mit einigen Passeirern herbei; einer der Räuber schlug das Gewehr auf ihn an, welches sich in dem Augenblicke entlud, als er den Lauf bei Seite drückte. Die Passeirer faßten den Frevler und erschossen ihn vor der Thüre, die andern wurden mit Schub nach Hause geliefert. Bei Brixlegg entspann sich noch ein Gefecht mit der Nachhut des Feindes, welches diesen veranlaßte, das Land so schnell als möglich ganz zu räumen.

Hatte die Noth die Tyroler stark gemacht, so schwächte sie nach dem ruhmvollen Siege Zwietracht und Mangel an verständiger Leitung. Viele Compagnien verliefen, indem sie es den von den Franzosen schrecklich mißhandelten Unterinnthalern überließen, sich selbst zu vertheidigen; was noch von Schützen beisammen blieb, hatte kein Geld, kein Pulver und Blei. Da übernahm Speckbacher das Commando der Vorhut, während Haspinger nach Innsbruck eilte, um dem Obercommandanten die Noth zu klagen. Es ist folgendes ergötzliche Gespräch aufgezeichnet. Hofer antwortete, anstatt zu helfen, auf die Beschwerden des Mönchs: „Gott wird’s bald anders machen!“ Dieser erwiderte darüber aufgebracht: „Du mußt den Leuten nicht immer sagen: Gott wird schon schaffen, Gott wird schon helfen! Du bist Commandant und mußt Mittel schaffen.“ Nun trug Haspinger sein Anliegen vor, Hofer entgegnete: „Ich habe jetzt allzu viele Staatsgeschäfte und kann unmöglich für Alles sorgen.“ Diesen Bescheid wies der Kapuziner zurück: „Bruder, laß die Staatsumwälzungen bei Seit, laß Alles bei der alten vorigen Verfassung und folge mir! Zuerst müssen wir den Feind von unsern Grenzen entfernen, dann unserem in die äußerste Bedrängniß versetzten Monarchen zu Hülfe eilen.“ Der verwegene Mönch hatte nämlich nichts Anderes im Sinn, als schließlich gegen Napoleon selbst zu marschiren. Hofer sah die Gerechtigkeit seiner Vorwürfe ein und beorderte, um ihn zufrieden zu stellen, einige Compagnien in das Unterinnthal. Sie wurden auf Flößen zu Hall eingeschifft und fuhren den ganzen Tag stromabwärts bis Wörgl, wo die Vortruppen Speckbacher’s standen. Es war dunkle Nacht; wie staunte Haspinger, als er nirgends Posten ausgestellt fand, kein Wachtfeuer sah und endlich in den Häusern einige Schützen traf, welche gemüthlich schnarchten, als gälte es ein Scheibenschießen und nicht den Krieg. Das war Speckbacher’s Verwegenheit, die gestraft werden sollte. Der Mönch steckte Schützen in die Montur bairischer Soldaten, ließ sie in das Zimmer schleichen, wo Speckbacher schlief, und seinen Stutzen verstecken. Dann wurde vor dem Hause Alarm getrommelt. Speckbacher fuhr auf, sah betroffen die bairischen Soldaten, schielte in die Ecke, wo sein Stutzen lehnen sollte, und blieb, als er ihn nicht mehr dort erblickte, ruhig liegen, indem er murmelte: „Wie Gott will!“ Nun trat Haspinger ein und las ihm für diese Nachlässigkeit gehörig den Text.

Im September rückte der Mönch, verstärkt durch den Landsturm der Salzburger, in das Pinzgau und erstürmte, trotz der tapfersten Vertheidigung der Baiern, den Paß Lueg am 25. Der Sieg wäre noch vollständiger gewesen, wenn ein Schwarm Schützen, die er zur Umgehung der feindlichen Truppen unter Metz ausgesendet, rechtzeitig eingegriffen hätte. Haspinger war über diese Verzögerung so empört, daß er Metz, als er endlich ankam, vom Pferde riß und mit den Worten in eine Pfütze warf: „Das ist Dein verdienter Platz!“ Am 29. September erreichte er Hallein und damit den Wendepunkt seines Glückes. Während er nach Schladming eilte, um von dort aus Kärnthen und Steiermark aufzubieten, während er schon davon träumte, den Sieger von Wagram selbst gefangen zu nehmen, ließ Lefèbvre am 3. October Hallein überfallen und warf die Schützen mit namhaften Verluste in den Paß Lueg zurück. Dort suchte man sich zu vertheidigen, da jedoch Speckbacher am 17. October bei Loser überrascht und geschlagen wurde, blieb nichts Anderes mehr übrig, als der Rückzug. Haspinger eilte in einem Wagen nach Tyrol zurück und traf am 27. October zu Steinach ein. Unterdeß war General Drouet wieder bis an den Berg Isel vorgedrungen, wo Tyrol seine herrlichsten Siege erfochten; wohl standen noch die alten Felsen, aber in den Tyrolern war der Muth gelähmt, mit dem sie bisher geschlagen. Allmählich hatten sie sich überzeugt, daß für sie, nachdem Oesterreich Frieden geschlossen, keine Aussicht auf den Sieg mehr vorhanden sei; freilich konnten Viele noch immer nicht glauben, man habe sie so schmählich preisgegeben. Daher fochten sie nur mit halbem Herzen, und die dritte Schlacht auf dem Berg Isel endete am 1. November mit rascher Flucht. Droben im Mittelgebirge bei Hötting steht eine Capelle mit dem hölzernen Bild unseres Herrn auf dem Oelberg. Hier fielen die letzten Schüsse. Die Führer der Tyroler beriethen sich trübselig und niedergeschlagen zu Steinach, denn es waren fast unwiderlegbare Berichte über den Abschluß des Friedens eingetroffen. Am 29. October überreichte der Baron Lichtenthurn Andreas Hofer einen Brief des Erzherzogs Johann, welcher den Tyrolern bisher auch gar viele schöne Worte gegeben, denen die That nicht entsprach. Der Prinz bestätigte den Abschluß des Friedens mit dem kühlen Beisatze, der Wunsch des Kaisers gehe dahin, daß die Tyroler sich ruhig verhalten und nicht zwecklos aufopfern möchten. Lichtenthurn war von Jugend auf mit der Fallsucht behaftet; als er seine Trauerpost mittheilen wollte, stürzte er zu Boden und erlag einem sehr heftigen Paroxysmus. Haspinger, dessen religiöse Begeisterung unter dem einbrechenden Unglück in wilden Fanatismus umgeschlagen war, erkannte darin die Strafe Gottes, welche, wie einst den Ananias, so jetzt den Baron als Ueberbringer einer lügenhaften Botschaft treffe. Wüthend zerriß er die baierischen Friedensproclamationen und hetzte die Leute zum Widerstande. Hofer wollte auf Zureden Roschmann’s mit den Pferden, die er einem feindlichen Oberst abgenommen, nach Innsbruck fahren, um sich Drouet zu stellen. Da stürzte der Mönch in das Zimmer, überschüttete die Anwesenden mit Schimpf und Drohungen, indem er alle Nachrichten für Prellerei erklärte und für diese Behauptung mit seiner priesterlichen Ehre einstand. Hofer stets gewohnt, die Geistlichen als Wesen höherer Art zu betrachten, war ganz verblüfft und gehorchte, trotz aller Gegenvorstellungen von Seiten der Anwesenden, dem Kapuziner, der allsogleich den Wagen umwenden und nach Matrei fahren ließ. Das war der Knotenpunkt im Trauerspiel von Tyrol, hier trat das Volk und einige seiner Helden in die Schuld ein. Dies ist der schwarze Fleck in Haspinger’s Leben, an dem jedoch jene, welche das Vertrauen eines schlichten Volkes für ihre Zwecke ausbeuteten, weit mehr Schuld haben, als er, der ihnen blindlings vertraute.

Lichtenthurn’s Nachricht sollte nicht vereinzelt bleiben. Zwei Bauernburschen fingen einen französischen Courier ab, seine Depeschen verkündeten den Frieden. Das war doch zu bedenklich, auf diese Entdeckung hin trat man in Steinach, wie wir oben angedeutet, zur Berathung zusammen. Als man von Unterwerfung sprach, versuchte Haspinger einige Gegenbemerkungen, wurde aber bald zum Schweigen gebracht. Hofer verhielt sich leidend, er hatte nur den Wunsch, man möge die neue Regierung bitten, den alten Glauben und die Bettelmönche zu schonen, desgleichen auf Erleichterung der Steuern und Abgaben antragen. Schließlich unterfertigte er der Erste das Schreiben an den Vicekönig von Italien mit den Worten: „Nu, in Gott’s Namen, ’s wird unser lieber Herr Gott wohl Alles recht machen!“ Nur Haspinger unterzeichnete nicht. Wäre es bei diesem friedlichen Abkommen geblieben! So ließ sich Hofer noch einmal in den Kampf hinreißen, schwankend und unsicher, wem er glauben solle; auch Haspinger, der auf seiner Flucht in die Schweiz aufgehalten worden war, trat leider noch einmal an seine Seite und nahm an den hoffnungslosen Angriffen theil. Wir wissen, wie die Tragödie endigte – auf den Wällen Mantua’s, wo Hofer’s Leiche ohne Ehren eingescharrt wurde und – soweit es den Kaiser Franz, für den er sein Blut vergossen, betrifft – auch ohne Ehre eingescharrt geblieben wäre, wenn nicht später einige Officiere aus Tyrol auf eigene Verantwortung die Gebeine des Märtyrers ausgegraben und in die Heimath zurückgetragen hätten.

Kehren wir zu Haspinger zurück. Er flüchtete zuerst in die Schweiz, wo er zwar Aufnahme in einem Kloster fand, ihm jedoch bedeutet wurde, er sei hier in großer Gefahr, von den Franzosen aufgehoben zu werden. Wo sich hinwenden? Der kühnste Entschluß ist in solchen Fällen auch der beste. Er erinnerte sich an Schloß Tschengls im Vinschgau, wo er auf einer Wallfahrt den Verwalter kennen gelernt hatte. An diesen wandte er sich hülfeflehend, er möge ihm Unterkunft irgendwo im weitläufigen Gebäude gewähren. Obwohl Leib- und Lebensstrafe darauf gesetzt war, wenn Jemand den Mönch herbergte, ohne ihn auszuliefern, so erbarmte sich doch der wackere Perlinger und sein braves Weib des

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 311. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_311.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)