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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Hand auf die Stirn – „ich glaube, sie ist krank und seine Kunst scheitert an ihrer Herstellung. Die bösen Zungen erzählen viel Wunderbares – –“

„Und was? Rede.“

„Der Gebieter, so hörte ich, soll im Stande sein, das zarte Wesen in einen Zauberschlaf zu versenken, während dessen sie prophetische Worte spricht und in die Zukunft und in den geheimsten Winkel des Herzens späht. Damit tödtet er sie – kurz, er steht mit dem Satan im Bunde. Viele nennen ihn einen Vampyr, der alle drei Jahr ein Opfer auserkürt, das er so lange liebt, bis er ihm das Blut ausgesogen.“

Der Fremde lächelte über die erhitzte Einbildungskraft des Knaben; er wußte hinlänglich, daß die Europäer nicht sehr günstig im Orient beurtheilt werden und viel von der Intoleranz eines fanatischen Volkes zu leiden hatten. Scheinbar ging er jedoch auf Asad’s fabelhafte Aussagen ein.

„Deine Erzählung nimmt mich Wunder, brauner Knabe! Mich reizt es, das Opfer des räthselhaften Mannes, jene verschmachtende Hyacinthe, ein einzig Mal in der Nähe zu sehen!

Lausch’ auf, der Edelstein an meiner Hand ist Dein, verhilfst Du mir dazu!“

Asad heftete den glühenden Blick des Raubthiers auf die ihm versprochene Beute.

„Denke nach, und heut Abend, bevor der Sonne Feuer jenseit des Libanon verglommen, ist der Juwel in Deinem Besitz.“

Der Schweiß perlte Asad von den Haarwurzeln über die Stirn. „Unmöglich, Sidi; Du verlangst Unmögliches.“

Der Fremde barg seine Hand unter den Burnus und ging von dem Knaben fort, ohne weiter ein Wort zu verlieren.

Asad flog ihm nach, hielt ihn am Zipfel des Burnus fest und sprach mit leiser, nervös zitternder Stimme, wie Jemand, der sich zu einem Mord versteht: „In einer Stunde lustwandelt meines Herrn Weib im Garten; ihr Lieblingsplatz ist im Kiosk hart an dem Pfade, der zum Wiesenlande führt. Diesen Pfad ziehe zu Fuß oder zu Roß, wie Du willst – Dein Burnus verhülle Dich, aus daß man Dich für einen Mullah halte, der über Land zieht. – Jâ Allah! Dort wirbelt Staub auf! – Es ist mein Herr! Eile fort – nach links, daß Du ihm nicht begegnest, sonst schöpft er Verdacht, und dann wehe Dir und mir!“

Der Fremde sprang in das Blätterdickicht und irrte, ohne sich umzusehen, tief in die reizende Wildniß hinein. Zuletzt sank er erschöpft zu Boden, wie unter einer Centnerlast, umfaßte mit beiden Händen den duftigen Stamm einer Ceder und brach in heiße, heftige Thränen aus.

Traumhaft klang das Lied des Bettlers durch seine Seele:

„Schönes Damaskus! wie ein Smaragd aus der Einfassung gelber Topase hebst du dich aus dem goldnen Sand der syrischen Ebene empor!“



3.

Asad war unterdessen einem Reiter entgegengeeilt, der, im weißwollenen Gewande des Beduinen, auf einer schlanken Khelistute saß und sein Thier anhielt, als er den Knaben erblickte, dessen ehrerbietigen Gruß er durch ein stummes Kopfnicken erwiderte.

Asad wartete, bis sein Gebieter abgestiegen war, und führte alsdann das wiehernde Thier in den Stall.

Der hohe, stattliche Mann, den der Sclave soeben verrathen hatte, ging durch die Gartenanlagen gerade auf die Villa zu. Messaouda öffnete ihm.

„Wo ist sie?“ fragte der Herr des Hauses gebieterisch.

Die Negerin schlug eine Portiere zurück; vor einem Spiegel erblickte der Eintretende sein schönes Weib, welches, mit Perlen und reichen Schleiern geschmückt, im eignen Anschauen versunken stand.

Eine Verklärung kam über den Spender dieser Kostbarkeiten; seinem Munde entwich ein freudiger Ruf – er breitete die Arme aus, und die Glanzgeschmückte sank an seine Brust. –

Obgleich durch einen Bart und die Kleidung verändert, erkennen wir doch auf den ersten Blick Oliver, den berühmten englischen Arzt, in ihm wieder. Unter dem Namen Mac Johnson war er mit der Geliebten nach Damaskus entflohen; in ein Landhaus der Umgegend hatte er die lebende Verstorbene, die er Dolorida nannte, entführt und anfangs in jenem lieblichen Versteck die seligsten Stunden genossen.

Wie einem gestrandeten Ulyß, den die schönste der Nymphen bei sich aufgenommen hat, verflossen ihm die Tage. Um jeden Ueberdruß zu vermeiden, wendete er sich auch seiner früheren schriftstellerischen Thätigkeit wieder zu, doch auf dem Rande der ernsten, medicinischen Manuscripte fanden nicht selten Sonette und Dithyramben an Dolorida Raum. Diese lebte neben ihm wie eine Gefangene; er ließ sie nicht über die Grenzen seines Gartens hinaus.

Aber Gewissensqualen und Sorgen um die Zukunft, die natürlichen Folgen unerlaubter Verhältnisse, blieben auch für Oliver nicht aus. Oft schreckte ihn des Nachts ein wüster Traum; er sah sich entlarvt, gebrandmarkt, auf den Galeeren, wo ein scharfer Wind ihm den Angstschweiß auf der Stirn in Eis verwandelte; – oft hatte er am hellen, lichten Tage Visionen, in denen er glaubte, die Stimmen von Dolorida’s Angehörigen zu vernehmen, die sie ihm entreißen wollten; oder er wähnte sich von Phantomen umringt, die, ihre Leichentücher nachschleppend, ihn verfolgten und ihm entgegenheulten: „Leichenräuber! Leichenräuber! Du hast sie ausgescharrt. Uns war sie verfallen! Gieb sie uns wieder!“

Furchtbar war seine Angst, sich in solchen Phantasieen selbst verrathen zu haben. Mißtrauisch geworden gegen seine Diener, unnatürlich und fremd gegen die Geliebte, verursachte er sich und seiner Umgebung die größte Qual. Durch die täglichen Seelenkämpfe nahm sein Wesen schließlich etwas Schroffes an, dessen er mit aller Gewalt der Liebe nicht Herr zu werden vermochte.

Um sich zu versichern, daß er ohne jeglichen Verdacht lebe, trieb es ihn rastlos, unaufhaltsam durch die Umgegend dahin; in dem unbefangenen Wort. in dem unschuldigen Lächeln eines Bauernkindes, in der gleichgültigen Miene eines vorüberstreifenden Reisenden witterte er eine Anklage. Von den Furien seines Schuldbewußtseins verfolgt, fand er kaum noch in Dolorida’s Besitz Ruhe und Genuß. – – –

Oliver war mit Dolorida in den Garten hinabgestiegen.

„Du hast geweint?“ fragte er sie mit zärtlichem Vorwurf, ihr Kinn in seiner Hand sanft emporhebend.

„Nicht doch, Lieber,“ erwiderte sie mit erzwungener Unbefangenheit.

Oliver wandte das Gesicht von ihr ab. „Wie kann ich auch verlangen,“ murmelte er, „daß so viel Schönheit und Jugend sich mit einer lästigen Liebe begnüge! Heimweh nach der Welt verzehrt sie. – Ach, was bin ich doch elend!“

Und laut fügte er hinzu: „Was sucht Dein Auge auf der Wiese?“

„Ich verfolge die verwegenen Sprünge jenes Apfelschimmels, der jenseits derselben hin und her jagt.“

„Mehr bewundere ich den Reiter, der sein Thier zu einer so rasenden Gangart treibt! – Es ist irgend ein Damascener, der sein Pferd zu einer bevorstehenden Fantasia zureitet. Doch überlassen wir ihn seinem Schicksal; komm.“

„Nie sah ich Jemand mit so großer Gesckicklichkeit ein Pferd zügeln. Schau hin – es bäumt sich hoch empor! Doch glücklich bringt es den Reiter an den Dattelpalmen vorüber. – Jetzt sehe ich nichts mehr – die Bäume verdecken die Aussicht.“

Dolorida und Oliver gingen zusammen weiter. Sie stiegen einige Stufen zu einem weinumrankten Kiosk empor. Hier ließ sich Oliver’s Geliebte auf einen Divan nieder; er setzte sich ihr zu Füßen und blickte trunkenen Auges auf die bleiche, rührend schöne Frau, die auf seinen Wunsch die blendende Tracht der Orientalinnen angenommen hatte, wie eine Christensclavin, die an das Serail eines Padischah verhandelt worden.

„Könnte sie mir jemals entrissen werden?“ Dieser Gedanke zuckte durch sein Herz, während sie mit ihrem geheimnißvollen Lächeln auf ihn niederschaute.

Da! Horch! welch ein wahnsinniger Schrei des Entsetzens durchschneidet plötzlich die Luft?

Beide springen wie elektrisirt empor und sehen dicht unter sich auf dem Wiesenpfad den Reiter, dessen Roß wild in die Höhe bäumt und sich endlich mit ihm überschlägt.

Weit in die Wiese hinein geschleudert lag regungslos der Verunglückte, als hätte ein tödtliches Geschoß seine Brust getroffen. Dolorida, vor Schreck einer Ohnmacht nahe, verbarg ihr Gesicht an Oliver’s Schulter.

„Wahrlich, die Tollkühnheit ist dem Reiter schlecht bekommen,“ rief Oliver bestürzt, während der kühne Renner im Sturmgalopp mit flatterndem Schweife von dannen sauste.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 307. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_307.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)