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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

„Was ist denn das, Sie obstinater Mensch, Sie tanzen ja schon wieder nicht? Wenn Sie nicht tanzen, so lasse ich Sie augenblicklich verhaften.“

„Herr Commissär,“ ruft verzweiflungsvoll unser Weiß, indem er sich den Todesschweiß von der Stirne wischt, „ich kann nicht tanzen. Wenn Sie mich nicht dispensiren, so will ich lieber nach Hause gehen.“

„Nun gut, so will ich diesmal Nachsicht haben. Sie brauchen nicht mehr zu tanzen. Bleiben Sie hier und amüsiren Sie sich gut.“

Unter den lautesten Dankesversicherungen entfernte sich der junge Mann mit freudestrahlendem Gesichte.

„Siehst Du den Domino mit der großen Nase?“ frug Castelli nach einer Weile. „Gieb acht, mit dem giebt’s einen Hauptjux.“

Er geht auf sein Opfer los, schlägt es kräftig auf die Achsel, indem er ihm zürnend zuruft:

„Du bist denn doch ein nichtswürdiger Kerl, Du läßt mir da Deine Frau auf dem Halse, weißt wie eifersüchtig sie ist, und gehst mir nichts Dir nichts auf den Maskenball. Sie ist wüthend und wartet unten beim Thore auf Dich. Geh sogleich hinunter, Du schlechter Mensch!“

„Sie verkennen mich, ich bin nicht der, welchen Sie meinen.“

„Ah,“ poltert Castelli, indem er den Schlag auf die Schultern des Dominos noch viel kräftiger wiederholt, „da hört denn doch Alles auf. Mir mache keine Wippchens vor, geh hinunter zu Deiner Frau, sonst bring ich sie wahrhaftig in den Saal herauf, und dann sollst Du Deinen Spectakel erleben.“

„Aber,“ ruft der Mann aus, indem er die Larve vom Gesicht reißt, „überzeugen Sie sich doch, daß Sie sich irren.“

Wie erwartet, starrt ein erbostes, aber sehr dummes Antlitz dem Dichter entgegen.

„Entschuldigen Sie,“ erwidert der Letztere, „ich habe Sie wirklich verkannt, ich muß nur gleich meinen Freund aufsuchen, seine arme Frau vergeht vor Ungeduld.“

Deinhardstein, der die Scene beobachtet hat, meint, der Spaß wäre doch etwas zu derb, und sie würden einmal Unannehmlichkeiten davon haben, während ihn Castelli versichert, daß die Geschichte noch nicht zu Ende sei, sondern „der Jux“ erst los ginge.

Während sich die Menschenmenge im dichtgedrängten Saale herum treibt, hat Castelli seinen Domino nicht aus den Augen gelassen, und nachdem er ungefähr eine Viertelstunde verstreichen ließ, segelt er auf ihn los, haut ihn mit einem furchtbaren Handschlag auf den Rücken und ruft, scheinbar mit äußerster Entrüstung:

„Du Sacrementskerl, so eben habe ich einen äußerst honetten und liebenswürdigen Herrn Deinetwegen gehauen, augenblicklich geh hinunter, Deine Frau wartet auf Dich.“

„Himmel-Donnerwetter, Herr,“ ruft der Gefoppte, die Larve herab reißend, „ich bin ja wieder der Nämliche!“

„Merkwürdig,“ sagt Castelli, indem er denselben ganz verdutzt stehen läßt, „Sie sind wirklich wieder der Nämliche! Gehen Sie lieber nach Hause, sonst schlage ich Sie heute Nacht noch einige Male.“

Ehe sich der Domino von seinem Erstaunen erholen kann, hat sich Castelli an den Arm Deinhardstein’s gehängt, und sie promeniren ruhig in dem Saale herum.

Alle diese Scherze waren weder zart noch sinnig; wir theilen sie auch nur hier mit, weil sie Hauptzüge im Bilde des alten, läppischen, vermetternichten Wiens sind. Man glaubt es heute kaum, daß solche Kindereien damals von Mund zu Mund gingen, und der ganzen Residenz Stoff zum Gelächter gaben.

Zu den damaligen Tagesfiguren Wiens gehörte auch der Schwiegersohn des Fürsten Metternich, der ungarische Graf Schandor, einer der tollsten Wagehälse seiner Zeit. Der kühnste Reiter, machte er sich kein Gewissen daraus, mit seinem Gaul über den offenen Kram einer erschrockenen Obstfrau und diese selbst weg zu setzen, vor den Maßregeln der Polizei war der Schwiegersohn des allmächtigen Premiers ja sicher.

Einst schlug er einem andern Cavalier eine sehr namhafte Wette vor, daß er, Graf Schandor, es dahin bringen wolle, an einem öffentlichen Orte arretirt zu werden, ohne sich die geringste ungesetzliche Handlung zu Schulden kommen zu lassen. Die Wette wurde angenommen, und der nächste Tag zur Ausführung bestimmt.

Graf Schandor begab sich, in ärmlichen, aber reinlichen Kleidern, in eine entfernte Vorstadt und ließ sich im Kaffeehause eine Tasse schwarzen Kaffees geben. Als der Marqueur die Bezahlung verlangte, sah sich der Graf ängstlich um und zog endlich aus dem Stiefel eine Banknote von tausend Gulden, mit der Bitte, ihm heraus zu geben. Der Kellner brachte sofort seinem Herrn Nachricht von dem Vorfall, der nichts Eiligeres zu thun hatte, als dem nebenan wohnenden Polizei-Bezirks-Commissar davon Kunde zu geben. Dieser seinerseits ließ schleunigst den „verdächtigen“ Fremden durch einen Polizeimann verhaften und vor sein Antlitz sistiren.

„Wie kommt Er,“ frug barsch der Beamte, „zu den tausend Gulden, die Er im Kaffeehaus wechseln lassen wollte?“

„Das geht Sie nichts an, warum lassen Sie mich arretiren?“

„Das wird sich finden! Warum hatte Er das Geld in dem Stiefel stecken?“

„Ist das gesetzlich verboten? Kann nicht Jedermann sein Geld aufbewahren, wo er will?“

„Das wird sich finden! Wie heißt Er?“

„Graf Schandor!“

„Ist Er verrückt?“

„Ich nicht, aber Er scheint mir verrückt, daß Er einen Menschen verhaften läßt, der nicht das Geringste verschuldet hat, blos weil er sich im Besitz von tausend Gulden befindet. Begleiten Sie mich in das Palais meines Schwiegervaters, dort wird sich das Weitere finden.“

Natürlich kehrte sich die Scene um, der zum Tod erschrockene Beamte legte sich auf’s Bitten, erhielt natürlich volle Verzeihung, und – Graf Schandor hatte seine Wette gewonnen. –

Am 30. Aug. 1836 erscholl in Wien die Trauerkunde, Ferdinand Raimund, der Liebling des Publicums, der Dichter des „Verschwenders“, des „Rappelkönigs und der Menschenfeind“ etc., der geniale Schauspieler, habe sich in einem Anfall von Trübsinn erschossen.

Kaum hat je eine durch und durch gemüthvollere poetische Natur als Raimund die deutsche Bühne geziert. Derselbe hatte sich in dem reizend gelegenen und damals noch nicht von der Eisenbahncultur beleckten Guttensteinerthal eine kleine Besitzung gekauft, die ihm unbeschreibliche Freude gewährte. Die tiefe ländliche Abgeschiedenheit, die romantische Gegend und der prächtige, frische Menschenschlag, welcher den fremden, stillen Mann sehr bald bei hundert Gelegenheiten als Wohlthäter verehren lernte und ihm mit Achtung und Herzlichkeit entgegen kam, waren eben so viele Anziehungspunkte für die zart besaitete Künstlerseele. Er lud seinen Freund, den Schauspieler Landner, dringend ein, ihn zu besuchen. „In mein Thal,“ pflegte er zu sagen, „ist noch keine böse Leidenschaft eingedrungen, die Menschen, die es bewohnen, sind alle noch so unverdorben und schuldlos, wie sie aus der Hand des Schöpfers kamen; ich nenne es daher nur das Thal der guten Leute.

Als Landner endlich, der vielfachen Aufforderung des wackeren Raimund Folge leistend, ihn auf dessen Landsitz heimsuchte, fand er die Behauptung des Freundes bei dem ersten Ausflug bestätigt. Es war ein Sonntagsmorgen, stiller Gottesfriede schien über der prachtvollen Landschaft zu schweben, ehrbar und sittig ging Jung und Alt, die Gebetbücher in den gefalteten Händen haltend, dem entfernten Kirchlein zu. Der Ton des Glöckchens, welches zum Gottesdienst ries, gab der Scene ein ungemein feierliches Colorit. Bei dem Anblick Raimund’s zogen die Männer freundlich grüßend die Hüte vor dem verehrten Manne, die Weiber knixten achtungsvoll und bescheiden. Raimund kannte alle Namen, alle Verhältnisse der Einzelnen, knüpfte über die letzteren, wo es am Platze schien, ein kurzes Gespräch an, kurz sein ganzes Wesen schien gehoben und freudig verklärt. „Habe ich nicht Recht?“ rief er dem Freunde in seliger Stimmung zu, „kannst Du Dir ein größeres Glück denken, als hier auszuruhen von den Qualen meines Berufes, im Schooße dieser himmlischen! Natur, hier unter diesen prächtigen Menschen? Habe ich nicht Recht, diesen paradiesischen Fleck „das Thal der guten Leute“ zu nennen?“

Horch, ein Mißton schallt durch die Luft!

Dort vom Kruge her ertönt ein widerliches Gejohle, ein junger Bursche, den Hut schief auf dem Kopfe, taumelt, offenbar betrunken, mit erhitztem, wuthentbranntem Antlitz dem Dichter entgegen.

„Hansl,“ ruft dieser entsetzt, „Hansl, Du bist b’soffen!“

„Ja,“ schrie dieser, „ich war auf dem Amt, um mir mein Recht zusprechen zu lassen. Mein Vater, der Lump, will mir die Hütte nicht abtreten, ich will ihm aber schon zeigen, wer der Herr ist! Hinaus werfen laß ich den alten Spitzbub’n!“ –

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