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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

zwischen zwei Reitern, um sich dadurch zu decken. Das war anders als er gehofft; er konnte nachdenken, was sein Herr und Meister zu dieser Niederlage sagen würde. Hätten die Tyroler von Obernberg und Pfitshaus rechtzeitig den Brenner gesperrt, so wäre keine Maus entronnen, und er hätte sich müssen in das Schicksal Dupont’s bei Baylen fügen. So aber fehlte trotz aller Tapferkeit und List im Einzelnen nur zu häufig die Einsicht des Handelns im Großen und Ganzen.

(Schluß folgt.)


Die Malzextractomanie.

Braunbier, Bitterbier, Braunschweiger Mumme, Porter, Hoff'sches Malzextrakt, Trommer’sches concentrirtes Malzextrakt.

Nachdem die Revalenta arabica, Goldberger’s Rheumatismusketten und das Anacahuiteholz glücklich beseitigt sind, nachdem der Stern des Aepfelweins, des Bullrich’schen Salzes, der Strahl’schen und Morrison’schen Pillen im Untergehen begriffen ist, sind wir nun in die Aera des Malzextraktes eingetreten. Und diese Aera wäre wirklich nicht so übel, wenn dabei nur Schwindelei und Aberglaube nicht gar so arg mitspielten. Denn als leichte Nahrungsmittel sind die verschiedenen Malzpräparate und Bierarten allerdings nicht zu verachten, nur dürfen sie nicht über den Spahn bezahlt und als heilkräftige Medicin, wohl gar als Universalheilmittel ausposaunt werden, wie dies eben der Fall ist.

Daß manche Kranke nach dem Gebrauche des Malzextractes Besserung ihres Leidens eintreten sahen, ist durchaus nicht wegzuleugnen oder wunderbar; doch braucht deshalb daran das Malzextrakt noch lange nicht schuld zu sein. Trotzdem ist es dem Laien zu verzeihen, wenn er diesem Extrakte seine Besserung zuschreibt, da ja selbst die meisten Aerzte ebenso wie die Charlatane und Homöopathen denjenigen Mitteln und Hokuspokusen, die sie gerade vor dem Besser- oder Gesundwerden eines Kranken anwendeten, den glücklichen Erfolg zuschreiben, während doch neben dem Naturheilungsprocesse (s. Gartenl. 1855, Nr. 25) noch eine Menge anderer günstiger Umstände die Besserung oder Heilung veranlaßten.

Wann wird denn wohl endlich einmal der Mensch in der Schule mit Hülfe der Kenntnisse der göttlichen Naturgesetze so zum Denken erzogen werden, daß er über Ursache und Wirkung (über post hoc, ergo propter hoc, weil darnach, also auch darum, weil’s darauf kommt, darum’s auch daraus kommt; s. Gartenl. 1859, Nr. 33 u. 38) vernünftiger als jetzt urtheilen lernt? Sobald sicherlich noch nicht! Und darum wird man auch noch lange, sogar von Seiten sogen. gebildeter Leute, den Geheimmitteln und den Heiltausendsasas, wie dem Herrn Postsecretär und Sanitätsrathe Dr. Lutze in Cöthen, dem Herrn Schuster und Heildirector Lampe in Goslar, der Frau Müllerin Graf in Schleiz und noch vielen andern heilkünstelnden Laien mehr Vertrauen, als wissenschaftlich gebildeten Aerzten schenken. Daß Hrn. Lutze’s mit Lebensmagnetismus zusammengerührte homöopathische, entweder auf die rechte oder auf die linke Körperhälfte wirkende Arzneien oder dessen lebensmagnetischer Hauch und meilenweit wirkender Willensmagnetismus wirklich unglaubliche Heilwunder verrichten können, das ist Vielen weit glaubhafter, als daß dieser ihr Glaube Blödsinn ist. – Daß der Schuster Lampe, der vorzugsweise mit einer Abkochung von Faulbaumrinde und aromatischen Kräutern curirt, die Krankheiten blos durch Besehen des Auges und Befühlen des Hinterhauptes und Nackens des Patienten sicherer erkennen soll, als ein wissenschaftlich gebildeter Arzt mit Hülfe der physikalischen Diagnostik, das werden sicherlich viele Leser der Gutzkow’schen „Unterhaltungen am häuslichen Heerde“, wo dieser Lampe als „Ritter vom Geiste“ verherrlicht wird, ganz natürlich finden. – Und daß Frau Graf durch Besichtigen des Urins eines Kranken sofort nicht nur die Krankheit, sondern auch das entsprechende Abführmittel wirklich weiß (denn ohne Abführung bei dieser Künstlerin keine Heilung), das muß doch wohl auch geaberglaubt werden, denn sonst hätte diese Purgirheilkünstlerin nicht auf Lebenszeit die Concession erhalten, im ganzen reußischen Lande zu curiren und sogar einen Handel mit selbstbereiteten Geheimmitteln (wie mit Choleratropfen, Flußtropfen, Augentinctur) zu treiben, was geprüften Aerzten nicht erlaubt ist. – Aber zu was wären denn die dummen Gedanken da, wenn sie nicht gedacht werden sollten?

Daß nun nach dem Gebrauche von Malzextrakten, ebenso wie nach Anwendung von tausend anderen Firlefanzereien, Besserung und Heilung einer Krankheit eintreten kann, hat seinen Grund, wie oben schon gesagt wurde, im Naturheilungsprocesse, der aber auf mannigfache Weise und durch mancherlei Zufälligkeiten und Umstände unterstützt, von hemmenden Einflüssen befreit oder wohl auch überhaupt erst in Thätigkeit gesetzt wurde. – Gar häufig kommt z. B. vor, daß gerade in dem Momente, wo der Krankheitsproceß seine höchste Höhe erreicht hat und die Naturheilung eintritt, irgend ein neuer Arzt oder ein besonders angepriesenes geheimes oder öffentliches Medicament herbeigeholt wird. Diesem wird dann natürlich die ganz aus freien Stücken eintretende Aenderung des Leidens zum Bessern zugeschrieben. Und solche, sogar ganz plötzliche Aenderungen werden sehr häufig bei acuten, fieberhaften, entzündlichen und krampfhaften Krankheiten (zumal bei Brustleiden) beobachtet. – Es sind ferner die Fälle gar nicht selten, wo ein Kranker durch unzweckmäßige, wirklich wirksame allopathische Heilmittel, falsche Diät und Curen längere Zeit maltraitirt wurde und dann, sobald er von diesen absteht, durch den nun freiwaltenden Naturheilungsproceß geheilt wird. Daß man nun diese Heilung irgend einem angewendeten unschädlichen Etwas zu verdanken aberglaubt und nicht der Natur, ist bei der Urtheilslosigkeit der meisten Menschen ganz natürlich. Zu den Krankheiten, welche sich in der Regel sofort bessern, wenn der Kranke zu quacksalbern aufhört, gehören vorzugsweise die Magen- und Darm-, überhaupt die Unterleibsleiden. – Sehr oft tritt Besserung und Heilung einer Krankheit deshalb ein, weil Patient unter günstigern, dem Naturheilungsprocesse förderlichen Umständen zu leben beginnt. So wirkt z. B. heilsam: der Luft- und Temperaturwechsel auf Hustekranke, die veränderte Diät auf Magenleiden, eine sonnigere, wärmere und trocknere Wohnung auf Schmerzkrankheiten, eine ruhigere Lebensweise auf Nervöse und Schwächliche, das Vergessen von Kränkungen, Verlusten u. dgl., sowie überhaupt die Befreiung von Sorgen etc. auf Hirnleidende u. s. f. Aber freilich werden solche Umstände beim Schwinden des Leidens ganz ignorirt und dafür irgend ein gebrauchtes lebendes oder todtes Heilding als Helfer ausposaunt. – Manchmal spielt auch die Phantasie des Kranken beim Besserwerden eines Leidens nach der Anwendung eines übersinnlichen, sympathetischen, lebensmagnetischen, somnambülischen oder homöopathischen Hokuspokus die Hauptrolle, und Patient jubelt viel zu frühzeitig über seine Heilung. – Es passirt ferner auch, daß ganz zufällig gerade zu der Zeit, als ein Kranker ein neues Etwas in Gebrauch zog, der Krankheitsproceß einen naturgemäßen Stillstand machte, und nun muß natürlich jenes Etwas die Ursache davon sein. Solche Stillstände kommen bei Lungenschwindsucht gern vor, und darum werden als ganz ausgezeichnet gegen diese Krankheit oft die allerblödsinnigsten Curarten gerühmt. – Kurz, in nur äußerst wenigen Fällen von Heilung und Besserung eines Leidens hat das Arzneiliche oder Quacksalbrige, was geholfen haben soll, wirklich Hülfe gebracht.

Mit den Malzextracten als Heilmittel hat es nun auch keine andere Bewandniß, als mit allen andern unschädlichen Quacksalbereien; man schreibt ihnen ganz mit Unrecht Heilkraft zu und aberglaubt, daß alles Gute, was nach ihrem Gebrauche im Verlaufe der Krankheit zu Tage tritt, durch sie auch veranlaßt sei, während man dies doch dem Naturheilungsprocesse und diesem oder jenem andern günstigen Umstände zu danken hat. Höchstens nützen die Malzpräparate als schwache, leicht verdauliche Nahrungsmittel, die um so nahrhafter sind, je mehr Malz sie enthalten, wie das Trommer’sche concentrirte Malzextrakt und die Braunschweiger Mumme. Jedoch ist ihr Nahrungswerth stets und insofern ein nur geringer und einseitiger, als sie vom Hauptnahrungsstoffe, von der (stickstoffhaltigen) Eiweißsubstanz nämlich, nur äußerst wenig enthalten, und von (stickstofflosen, kohlenwasserstoffigen) fettbildenden und zur Wärmeentwicklung verwendbaren Substanzen auch nicht gerade viel besitzen. Jedenfalls müßte man zur richtigen Kräftigung des geschwächten Körpers neben einem Malzextracte noch eiweißhaltige Nahrung (Milch, Ei, Fleisch) zu sich nehmen.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 296. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_296.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)