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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

ein schwarzes Kreuz, wie man es in die Hände der Sterbenden zu legen pflegt.

Ein österreichischer Officier, erstaunt über den glänzenden Erfolg des Treffens, fragte den Kapuziner, wo er denn das Kriegführen gelernt habe. Dieser erwiderte kurz angebunden: „Von den Oesterreichern nicht, von den Franzosen.“ Vorläufig bedurfte er jedoch seiner Kunst nicht mehr, das Land war frei und blieb es, bis in Folge des Waffenstillstandes von Znaim sich neuerdings die Schaaren der Feinde heranwälzten.

Hofer rief das Volk zu den Waffen, Haspinger bot zu Clausen von der Kanzel die Schützen auf und war bereits am Morgen des zweiten August schlagfertig, um gegen Brixen aufzubrechen. Tyrol schien jedoch verloren; Lefèbvre hatte Innsbruck besetzt und seine Colonnen schon bis Sterzing vorgeschoben, man redete von Frieden, und die Führer der Tyroler begaben sich auf die Flucht. Nur der Kapuziner verlor den Muth nicht, entschlossen, den Kampf mit einem Häuflein Schützen aufzunehmen und dem General Royer gegenüber jeden Vortheil des Bodens zu benutzen. Von dem Felsen, auf dem jetzt die Wälle der Franzensveste trotzen, zieht sich ein enger Paß gegen Mittewald, überall treten die Berge nahe an die brausende Eisack, bei Spinges überspannt sie, hoch über dem Abgrund schwebend, die Laditscher Brücke. Diese Schlucht endet erst nach anderthalb Stunden bei Sack, unweit Mittewald; wie Oasen mitten unter düstern Föhren und Felsen breitet sich hier und da ein grüner Fleck aus, auf dem ein Wirthshaus steht, so bei Oberau. An der schmalsten Stelle erinnert ein Kreuz aus Stein an die Vernichtung der unglücklichen Weimaraner, denn auch hier stritten für fremde Botmäßigkeit deutsche Brüder gegen deutsche Brüder. Dieser Ort des Schreckens heißt noch die Sachsenklemme. Am 4. August entspann sich das Gefecht; General Royer ließ drei gefangene Schützen vor den Augen ihrer Landsleute als Rebellen erschießen. Nun folgt die schrecklichste Episode des Kampfes. Besser als jeder Augenzeuge hat sie Immermann in seinem „Trauerspiel in Tyrol“ geschildert, ein Werk, welches lange Zeit für Oesterreich verboten war. Das Volk sollte sich nicht mehr an seine großen Thaten erinnern; allein wenn auch Metternich, der treue Diener des Kaisers Franz, die Polizei erfunden hätte, hätten sie nicht schon vor ihm glückliche Genies erfunden, – über den Trank des Lethe konnte er doch nicht verfügen. So erinnerten sich die Tyroler stets an das, was sie für den Kaiser gethan, besonders im Vergleiche mit dem, was er für sie that, und die Bewilligung neuer Festtage, nebst der Einführung der Jesuiten, befriedigte das fromme Volk doch nicht ganz. Habsburgs Dank oder Undank seinen Völkern gegenüber ist sich aber stets gleich geblieben.

Immermann giebt den Sachverhalt ganz genau, wenn er Mayer erzählen läßt:

Wir lagerten bei Laditsch.
Da hörten wir, der Royer zieh’ heran
Durchs Felsenthal. Was sollten wir beginnen
Allein mit uns und schwächer in der Anzahl?

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So sprachen wir den Berg um Hülfe an,

Und redlich hat der Berg sie uns geleistet.

Wir klimmten in der Felsensäulen Mitte,
Da grade, wo sie ob der Brücke hangen,
Die schmal und spärlich überbaut den Fluß,

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Und lösten alte Lärchen aus den Wurzeln,

Und hoben Felsenblöck’ aus ihren Betten,
Und rammten in das Erdreich schwache Pfeiler,
Und legten erst die Lärchen auf die Pfeiler,
Und schoben dann die Blöcke auf die Lärchen.

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Jetzt luden unsre guten Büchsen wir

Und hingen still wie Gemsen an den Zacken.

Nicht lange drauf, da kamen hergezogen
Die hüpfenden Franzosen in der Tiefe.
Sie trippelten in Hasten über’s Brücklein

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Und sahen aus von oben klein wie Mäuse.

Und als die rechte Zeit gekommen war,
Gab ich das Zeichen mit der Jägerpfeife,
Und unsre Buben löseten die Stützen.

Da hob der Berg zu dröhnen und zu wandern an,

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Und ging als wie ein rollend Weltgericht

Hinunter in die Tiefe! – Allsobald
Klang ein erschrecklich Wimmern aus dem Schlunde,
Geschrei und Heulen, wie dicht bei uns, tönte,
Drauf stieg ein Dampf empor und rollte qualmend

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Die Schlucht bedeckend bis zu unsern Füßen.

Wir aber schossen durch den Dampf hinab,
Daß, wer noch lebt’, empfing vom Blei sein Grab!

Wie nun der Staub verzogen war, so stiegen
Wir von dem Grat und gingen zu den Feinden.

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Da sah’n wir nichts als Stein gethürmt auf Stein,

Gebrochne Augen, rauchendes Gebein!
Die Brücke lag in Trümmer und die Eisack,
Von wild verschränkten Todtengliedern starrend,
Sprang wie ein rasend Unthier über’s Schlachtfeld.

Einen echt biblischen Zug hat der Dichter nicht beigesetzt. Als die Steinlawine niedergegangen war und man von oben die ungeheure Verwüstung übersah, fiel Haspinger mit den Schützen auf die Kniee und dankte Gott für den Untergang der Feinde, dann wurde noch ein Gebet gesprochen, daß der Herr ihren Seelen, welche jetzt vor seinem Richterstuhl ständen, gnädig und barmherzig sein solle. Indeß war der Kampf noch nicht beendigt, sondern es wurde, da der Feind noch immer neue Schaaren nachschob, noch lange mit wechselndem Erfolg gestritten. Erst am 5. August Abends gelang es, die tapfern Sachsen im Wirthshause von Oberau, wo sie sich zusammengedrängt hatten, durch einen allgemeinen Sturm zu bezwingen und gefangen zu nehmen. Darauf hielten die Tyroler Kriegsrath, voll Siegesfreude entsandten sie Boten an Hofer, auch ihn zum raschen Vorgehen auffordernd. Denn noch war nicht Alles gewonnen. Am 6. Aug. marschirte das Gros vom Armeecorps Lefèbvre’s zu Sterzing ein. Allsobald beorderte der General einen Studenten, Namens Pichler, nach Mauls mit einem Schreiben, worin er verlangte, die Schützen möchten das Gewehr strecken. Haspinger schlug es ab. Da bestimmte der Herzog von Danzig den nächsten Morgen zum Angriffe, Haspinger wurde davon durch einige Zeilen der Nagelwirthin, wo jener im Quartier lag, verständigt. Es gelang den Baiern unter Wittgenstein, im Engpasse vorzudringen; Lefébvre rückte freudig nach, dabei über die Sachsen schimpfend, daß sie Tags zuvor als Feiglinge unterlegen seien. Da konnte sich ein deutscher Officier nicht halten und rief ihm zu: „Marschall, die Tyroler kennen Sie noch nicht!“ Er sollte sie bald darauf kennen lernen. Als sich hinter seinem Rücken zu Mauls Gepäck, Kanonen und Soldaten häuften, wodurch Verwirrung entstand, brach der Landsturm von Rodeneck ein und jagte durch die wuchtigen Kolbenschläge, mit denen er auf die dichten Massen eindrang, Alles in die Flucht, was nicht erschlagen wurde. Der stolze Marschall mußte umkehren; da es nicht möglich war zu Pferd zu entrinnen, stieg er ab und kletterte über das umgestürzte Fuhrwerk in solcher Hast, daß ihm Hut und Mantel entfiel. Er hatte nun das verfluchte Bauernpack kennen gelernt und bequemte sich jetzt sogar zu unterhandeln. Weil aber Haspinger überspannte Forderungen stellte, so fuhr Lefébvre mit seiner gewohnten Derbheit auf und antwortete im gröbsten Casernenstyle:

„Du bist ein rothbarteter Saukerl, bekommen wir Dich, so
lasse ich Dir jedes Haar einzeln ausraufen. Der erste Baum
sei Dein Galgen. Steht Ihr nicht eilends von Eurem Vorhaben
ab, so lasse ich alle Häuser in Brand stecken und werde
das Kind im Mutterleib nicht verschonen.“

Daraus erwiderte Haspinger: „Euer Excellenz! Wenn ich ein Saukerl bin, wie Sie mich gütigst benennen, oder was vielleicht nur irrig geschrieben wurde, so können Sie die angedrohten Grausamkeiten in Ausführung bringen. Ich bin jedoch der Ansicht, daß Sie den Leidenskelch schon voll gefüllt haben und daß Sie durch erneuerte unmenschliche Handlungen die Tyroler nur noch wüthender machen würden. Uebrigens wollen auch wir Ihrem guten Beispiele folgen: morgen mit den ersten Sonnenstrahlen sollen die drei gefangenen Officiere auf unsern äußersten Vorposten aufgehangen, die Mannschaft aber, deren Zahl Sie besser wissen als wir, erschossen werden. Nächstdem sage ich Ihnen zum letzten Male, daß ich eher meinen letzten Blutstropfen für meinen angestammten Kaiser verspritzen, als ihm durch eine Unterwerfung an Sie meineidig werden werde. In einer Stunde hoffe ich Antwort.

Adieu!

J. H.“

Auf diesen Brief, den Schallhammer mittheilt, zog der Marschall gelindere Saiten auf; es erfolgte die Auswechselung der Officiere gegen einige Schützen. Nachts brach Lefébvre von Sterzing auf, um über den Brenner zurückzukehren. Freilich nicht unbemerkt von den Schützen. Diese eilten ihm verstärkt durch die Schaaren Speckbacher’s und Hofer’s nach, überall sandten sie in die langen Heersäulen ihre Kugeln, der Marschall hielt sich nicht mehr für sicher; nachdem er über die gestickte Uniform den Mantel eines gemeinen Soldaten geworfen, ging er wie ein Troßknecht

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 295. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_295.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)