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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Herz klopfte ihm dabei so gewaltig, wie er es sonst kaum bei dem anstrengendsten Steigen auf steile Höhen empfunden hatte, obgleich der Weg für ihn nichts weniger als beschwerlich war. Ueberhaupt war ihm wunderlich seltsam zu Muthe, entweder als gehe er einer großen Gefahr und doch zugleich einem außerordentlichen Glücke entgegen, oder als wolle er etwas Unrechtes thun, das ihn gleichwohl mit geheimnißvollem Reize anzog.

Kaum hatte er den Rand des Gletschers erreicht, so zeigten sich auch wieder, wie bei seiner ersten nächtlichen Wanderung da, die schimmernden Funken, diesmal aber nicht neckisch wie damals, um ihn her. Auch schienen sie größer zu sein und sie bewegten sich nicht am Boden, sondern schwebten in einiger Entfernung über demselben. Sie hoben und senkten sich wie tanzend, immer ihm voraus, als wollten sie ihn geleiten und den rechten Weg führen.

So schritt er lange dahin, das Auge unverwandt auf die hüpfenden Fünkchen gerichtet. Um ihn her aber rauschte es bisweilen unheimlich, wie von gewaltigen Flügelschlägen. Einmal blieb er stehen, denn er hörte deutlich eine schmerzlich klagende Frauenstimme von einem zerklüfteten Felsen her; aber er sagte sich bald, es sei wohl nur der Wind, der in den Rissen und Höhlungen jene schauerlichen Töne hervorbringe, die ihn schon manchmal, auch am Tage, auf seinen Wanderungen auf den Bergen getäuscht hätten. Hu! Welch Ungethüm lag da vor ihm, schlangenartig langgestreckt, mit dickgeschwollenem Leibe, kurzen Beinen, katzenähnlichem runden Kopfe und einem kleinen kronenartigen Büschel darauf, dessen Spitzen leuchteten, mit langen, scharfen Zähnen und großen, weißglänzenden Augen? Die Haut schimmerte, als sei sie aus Tausenden kleiner Schildchen oder Schuppen von Silber gebildet. So lag es, in einiger Entfernung vor ihm zur Seite, behaglich auf dem Eise in hellem Mondenscheine. So grauenhaft aber auch das Geschöpf aussah, es machte wenigstens keine drohende Bewegung gegen den Jäger, der denn auch entschlossen weiter ging, wenn auch etwas langsamern Schrittes, weil die weißen großen Augen fest auf ihn gerichtet waren, als wollten sie ihn in ihren Bann locken. Oftmals schon hatte er von dem riesigen Eiswurm erzählen hören, den Manche gesehen haben wollten, aber nie glauben mögen, daß es wirklich ein solches ungeheuerliches Thier gebe, weil er auf allen seinen Wanderungen, bei Tag und Nacht, über das Eis und den Schnee seiner heimathlichen Berge keines je erblickt, bis diesen Augenblick. Während er das seltene und seltsame drachenartige Geschöpf betrachtete, bewegte sich dasselbe auf den kurzen Beinen schwerfällig hinweg; dann sah er nur noch den langen Schweif langsam sich hinringeln, und bald war es in der Ferne ganz verschwunden.

Rascher schritt darauf der Jäger wiederum weiter den wie ungeduldig vor ihm hüpfenden Flämmchen nach, und er blieb nicht einmal stehen, um zu lauschen, als er leise, liebliche Töne vernahm, die tief aus dem Eise unter ihm wie süßlockende Musik emporklangen und sein Herz zauberisch ergriffen, als sprächen sie aus, was er selbst im Busen wie Sehnsucht empfand. Die kleinen Lichter, denen er unwillkürlich folgte, führten jetzt, auf ganz bequemem Wege, abwärts in eine Schlucht oder ein enges Thal, das aber nicht grün war, wie die Thäler draußen, sondern im lieblichsten Himmelblau glänzte. Je tiefer er darin hinabstieg, um so weniger konnten die Mondesstrahlen hineindringen; das Licht wich deshalb mehr und mehr darin, und über das Ganze legte sich ein eigenthümliches bläuliches Dunkel. Die Seiten des Thales stiegen höher und steiler empor, sie rückten zugleich näher zusammen, da aber, wo sie sich ganz aneinander schließen zu müssen schienen, begann eine säulengetragene, kuppelartig überwölbte Halle.

Trotz dem innern Drange, das Abenteuer zu bestehen, wie es auch endigen möge, blieb der Adler-Fritz unentschlossen hier stehen, bald aber trat, zwischen zwei der Säulen hervor, die hohe weiße Frauengestalt, die er schon einmal gesehen und die er jetzt gesucht hatte, ihm entgegen, winkte ihm schweigend mit der Hand, ihr zu folgen, und sah ihn dabei mit ihren leuchtenden Augen an, deren Gewalt er nicht hatte vergessen können, seit er sie zum ersten Mal erblickt. Er sah sie jetzt unverwandt, verwundert, erstaunt an und folgte, denn es überkam ihn in ihrer Nähe diesmal ein so wonniges Gefühl, wie er es noch nie empfunden hatte. Er hätte ihr zu Füßen fallen oder noch lieber sie in seine Arme schließen mögen, denn so unbekannt, so fremdartig, so ganz anders als alle andern Mädchen, die er kannte, sie auch war, er fühlte keine Befangenheit neben ihr, im Gegentheil, es war ihm, als kenne er sie schon seit langer Zeit, als sei sie Diejenige, deren Bild er immer im Herzen getragen, die er zu finden und zu lieben, von der geliebt zu werden er immer gewünscht hatte.“

(Fortsetzung folgt.)




Ein deutsches Bau-Denkmal.

Das nächste Ziel meiner Reise war Halberstadt, die ehrwürdige Residenz von neunundvierzig Bischöfen, vielgenannt in der Geschichte jener Tage, wo noch die Kaiserkrone über der versprengten Welt von tausend kleinen Herren prangte, die sich in den Besitz des Vaterlandes getheilt hatten. Sie ist immer noch dieselbe alte Stadt, wie ich sie vor langen Jahren zum ersten Male betrat; die Etablissements der modernen Zeit, der Bahnhof, die zahlreichen Fabriken, die neuen geselligen Locale liegen außerhalb der Ringmauer und umschließen den uralten Kern wie ein frischer Frühlingskranz. Wandelst Du aber durch die engen Straßen, namentlich die der Unterstadt, so solltest Du meinen, es müßte aus diesen verwitterten Gebäuden die züchtige altdeutsche Hausfrau, der wilde Landsknecht, der fromme Mönch heraustreten und eine längst entschwundene Welt hervorzaubern. In diesem wüsten Gebäude, dem Rathhause, muß der Usurpator, der lange Matthias, mit seiner Empörerrotte gehaust haben; hier verwahrte Tetzel seinen Ablaßkasten, daneben zechte Wallenstein mit seinen Kriegsgesellen – es kann gar nicht anders sein. Als ich mit einem Nürnberger Freund einstmals den malerischen Fischmarkt beim Mondschein betrat, blieb dieser betroffen stehen und wähnte sich nach seiner Vaterstadt zurückversetzt. Die mächtigen Gebäude mit ihren überhängenden Stockwerken und reich verzierten Balkenköpfen, die zitternden Schatten, welche diese über die halberhellten Massen warfen, die unzähligen Inschriften und Holzbilder, welche die leeren Flächen bekleiden, und darüberhin die alten Thürme von St. Martin und St. Stephan erschienen uns als ein in die Neuzeit herübergerettetes, volles Stück Mittelalter, wie es in dieser Ausdehnung wohl wenige Städte Norddeutschlands aufzuweisen haben.

Ich langte diesmal spät Abends an und stieg im vielberühmten Gasthof zum Prinz Eugen ab. Wohl perlte der edle Rheinwein im grünen Römer, den liebe Freunde kredenzten, aber es zog mich zumeist zu meinem lieben, alten Bekannten, wenn dieser vertrauliche Name dem Mächtigen gegenüber erlaubt ist, zum Dom, dem wichtigsten architektonischen Monumente, das die Stadt aufzuweisen hat. Es handelte sich heute nicht um einen ästhetischen Genuß; denn noch verhüllte die Bauhütte das interessante Portal, um die Nordseite des Schiffes wob ein starkes Gerüst sein langweiliges, hölzernes Netz, und die Südseite mit dem Kreuzgange verdeckten immer noch alte, später angebaute Häuser, die hoffentlich mit der vollendeten Restauration rasirt sein werden. Ich wollte mich nur wieder einmal in jene kaleidoskopische Welt des Mittelalters hineinträumen, wo der Geist der Völker, noch umhüllt von den Nebeln des germanischen Heidenthums, ahnend und sehnend an den Blumen der gothischen Wunderbauten in ein Jenseit hinaufstrebte, in dem er seine Heimath suchte, wo im gewaltigen Kampfe der Hierarchie und der weltlichen Macht die zweite große Tragödie der Menschheit aufgeführt wurde, wo noch „ein Kaiser auf Erden“ herrschte, und die Sage vom Kyffhäuser noch nicht ihre tiefere Bedeutung gewonnen hatte, sondern der innern Resonanz entbehrte, die ihr jetzt das deutsche Herz unterlegt. Und wo konnte ich das besser, als an dieser classischen Stätte, in die ein Jahrtausend seine ehernen Spuren eingrub, als hier an diesen gewaltigen Bauwerken, die dreiunddreißig Menschengeschlechter wie „verschwindende Schatten“ an sich vorüberschweben sahen, selbst aber noch dastehen wie „ein ehrwürdig fest begründetes“, hier und da zerbröckelt und durchlöchert, aber noch ungebrochen, eine würdige Mahnung des Unwandelbaren.

Karl der Große, so erzählt die Geschichte, stiftete nach seinen ersten Siegen über die heidnischen Sachsen 780 ein Bisthum zu

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 276. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_276.jpg&oldid=- (Version vom 29.1.2017)