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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Sein geist’ger Bruder auch, der Glaube, frei
Wir haben selber es erlebt, was wir
Den späten Enkeln kaum beschieden glaubten,
Wir selbst, wir fühlen ebenbürtig uns
Den deutschen Männern an der Spree und Isar,
Wir wissen es, daß man am Donaustrand
So wacker denkt, so offen spricht und handelt,
Wie es des Deutschen Art seit Armin’s Zeit.
Heil Ihm, des Größten Spender und des Besten –
Es bleibt fortan für immer unser Theil –
Dem Vater seines Volks, dem Kaiser Heil!

Diesem Prolog folgte sehr bald der erste Act des schönen Lichtdramas. Ein Richtfest im eigentlichen Sinne des Wortes bot dazu die Veranlassung. Am 10. November, dem Geburtstage Schiller’s, sollte die von Herrn Ludwig Riedinger, einem Augsburger, für Botzen hergestellte Gasbeleuchtung zum ersten Male ins Leben treten und dieser Eintritt festlich begangen werden. Unter die Feierlichkeiten war auch ein Festscheibenschießen mit aufgenommen, welches bei solchen Gelegenheiten in Tyrol nie fehlen darf.

Dr. Streiter, der dazu aus eigenen Mitteln einen Preis von 30 Thlr. gestiftet hatte, lud dazu die Vorsteher des Botzener Hauptschießstandes durch folgendes Schreiben ein:

„Die Eröffnung der Gasbeleuchtung in hiesiger Stadt bietet einen frohen Anlaß, diesen Tag als ein Fest der ganzen Bevölkerung zu begehen. Das Licht, das künftig auf unseren Straßen die Nacht nahezu in Tag verwandelt, hat etwas Sinnbildliches: man erinnert sich an das geistige Licht, das uns eben auch in diesem Jahre beglückte; wenige Monate früher gewährte uns kaiserliche Huld die Wiedergeburt unseres staatlichen Lebens und die Befreiung der Gewissen von jeder unwürdigen Schranke. Licht zumal ist der Name der Himmelstochter, die den großmüthigen Geist unseres Kaisers vermochte, uns das Patent vom 8. April zu geben; es verbürgt jedem Staatsbürger die Freiheit des Denkens und Forschens. Lassen Sie mich die Wonne, die ich darüber empfinde, mit Ihnen durch gemeinsamen Jubel feiern, lassen Sie uns die Fahnen schwingen, die Böller lösen und ein stürmisches Hoch ausbringen dem Spender jener Freiheit, welche die Grundlage und Vorbedingung jeder andern bildet. Alle seien eingeladen, die gleich mit uns fühlen, und auch jene, die auf der Gegenseite standen, willkommen, denn durch die Theilnahme an unserer Freude erklären sie sich als die Unseren.

Verschmähen Sie nicht die kleine Gabe, die ich Ihnen zu diesem Zwecke hierbei anbiete; erhält doch jede ihren wahren Werth nur durch den Zweck, dem sie geweiht, und dieser ist, gestatten Sie mir es noch einmal zu sagen, die Begrüßung des Lichtes, das seinen milden Schimmer über uns ausgießt, eine Feier der frohen Erinnerung an das Patent vom 8. April.“

Die zwei Hauptbesten (Preise für die besten Schüsse) waren auf eine deutsche und eine österreichische Fahne geheftet, mit den Devisen: „Deutschland hoch!“ und „Oesterreich hoch!“

Jeder unbefangene Leser kann in diesem ursprünglich keineswegs für den Druck bestimmten Schreiben nichts Anderes erblicken, als eine edle Kundgebung der Freisinnigkeit und des Patriotismus. Der wie gewöhnlich durch den Botzener Hauptschießstand an die übrigen Schießstande des Landes verbreiteten Einladung war aber an gar mancher Stätte kein freundlicher Empfang beschieden. Den Reigen eröffnete ein benachbarter Freiherr, Oberschützenmeister, Bürgermeister und Freischaarenhauptmann. Mit Entrüstung wies er in den „Tyroler Stimmen“ eine solche Entweihung des Schützenwesens von sich. Gleich nach ihm ruft ein Kanonikus, Senior und Schützenveteran aus dem Jahre 1796: „Brüder, schändet Eure alte Schützenehre nicht!“ Und nun stürzt die ganze Schaar ihnen nach und lärmt und lästert in offenen Briefen über den „freigeisterischen Streiter“, über seine „gottlose“ Anpreisung der Befreiung der Gewissen, sein „hochverrätherisches“ Hoch auf Deutschland u. s. w. „Der wahre Patriot,“ schreibt ein Schützenmeister, „wählt zu seiner Fahne die heiligsten Herzen Jesu und Mariä, seine Fahnenträger sind ihm die katholischen Priester“. In Telfs wird sogleich ein Trutzschießen veranstaltet, dessen erste Bestfahne die Devise trägt: „Herz Jesu und Mariahilf hoch!“ und ein „offener Protest“ verfaßt, der da anhebt: „Mit wahrer Entrüstung hören wir, was die Stadt Botzen aus dem Schießstände zu machen im Sinne habe.“ In dem benachbarten Lana ladet ein gräflicher Oberschützenmeister zu einem „Gedenkschießen der alten tyrolischen Schützenehre“ ein. Die drei Hauptfahnen dabei sollen eine päpstliche, eine österreichische und eine tyrolische sein mit den Devisen: „Hoch Se. Heiligkeit Papst Pius IX.!“ „Hoch Se. Majestät der Kaiser! „Unbesiegt, weil einig im Glauben!“ Ausgeschlossen von diesem Schießen sind alle jene Schützen, welche sich bei dem Schießen vom 10.–14. November in Botzen betheiligen. Es kommt Zuzug nach Lana, der auf seiner Fahne die Devise trägt: „Auf, nach Lana weiter, wir sind keine Streiter.“ In Botzen selbst verweigert die Pfarrgeistlichkeit die Beleuchtung des Pfarrthurms, dem Gymnasium und der Mädchenschule wird verboten, den Maskenzug mit anzusehen, und als Gegendemonstration gegen diesen wird eine Glaubensprocession veranstaltet, wie denn auch schon die Gasbeleuchtung selbst als eine „gottlose Neuerung“ verschrieen worden ist. Trotz alledem und alledem verlief dieses in den Annalen Botzens nicht nur, sondern wir dürfen sagen ganz Tyrols Epoche machende Fest nicht nur ohne Störung, sondern gestaltete sich zu einem wahren Volksfest, an dem Jung und Alt, Arm und Reich den innigsten und freudigsten Antheil nahm. Schon am Vorabend wurde die Feier im Theater durch eine Festvorstellung mit einem trefflichen von Dr. Weller gedichteten Prolog eingeleitet. Er erinnert im Eingang an die vor zwei Jahren auch hier stattgefunden Säcularfeier des Geburtstags des großen Dichters, schildert ihn selbst als Spender des Lichtes für sein Volk, und bringt so die Feier dieses Tages mit dem Lichtfeste für Botzen in sinniger Weise in Verbindung.

In der Frühstunde des 10. verkündigten die heitern Klänge der Regimentsmusik von „König der Niederlande“, welche die Hauptstraße der Stadt durchzog, den Beginn des Festes. Nachdem die Gäste aus Trient, Meran, Eppan[WS 1] und Kaltern angekommen, erfolgte in der Mittagsstunde im Saale des in allen seinen Räumen dichtgedrängten Schießstandsgebäudes und in Gegenwart des Generals Grafen v. Castiglione und sämmtlicher Stabs- und Oberofficiere die feierliche Uebergabe der Bestfahnen, wobei Bürgermeister Streiter folgende Rede hielt, die wir unseren Lesern als eine höchst bedeutungsvolle Kundgebung eines echt deutschen und freisinnigen Patriotismus unverkürzt mittheilen müssen:

„Meine Herren! Die Fahnen, die ich Ihnen zum heutigen Festschießen übergebe, tragen Deutschlands und Oesterreichs Farben. Es gab eine Zeit, in der das deutsche Banner wehte von der Eider bis zur Adria, von den Ardennen bis zur Weichsel, es war eine große, herrliche Zeit, und Habsburgs Fürstenhaus gab damals dem deutschen Reiche viele seiner edelsten Kaiser. Aeußere und innere Feinde mit einander trugen sie zu Grabe. Doch siehe da, eben als der Zwiespalt eingenistet, als Deutschlands Landkarte zerstückt schien für immer, da erhob sich das deutsche Volk wieder mit Muth und Kraft, um das fremde Joch abzuschütteln, es erhob sich wie ein Mann in lebendigem Gefühle der nationalen Einheit, es war einig im heiligen Zorn über seine Fesseln, einig im Entschluß, sie zu brechen, einig in der That, die auf den Höhen des Montmartre seine Standarten pflanzte. Die Oesterreicher erinnern sich daran mit Stolz, daß sie mitfochten in den blutigen Schlachten, die das Schicksal Deutschlands entschieden; die schwarz-gelbe Fahne gründete sich ein unverwüstliches Denkmal in der Geschichte Europa’s. Seit jenen Tagen des Ruhmes wurzelt in den Herzen jedes wahren Oesterreichers, jedes echten Deutschen von Neuem die Ueberzeugung, daß Oesterreich unzertrennlich von Deutschland, daß beide von der Vorsehung, welche des Landes Lage und seine Stämme schuf, bestimmt sind, ihr Schicksal zu theilen, daß ihnen eine Bahn angewiesen im Fortschritt der Cultur und Gesittung. Zu den alten Banden kam noch ein neues. Oesterreich erlebte eine Wiedergeburt, und in dem Augenblick, in dem es sich aufzulösen schien in seine vielen Racen und Stämme, fand sich, auf manches mißglückte Streben nach einem Einigungspunkt in abgelebten Formen, ein Gut, woran alle Völker des weiten Reiches mit gleicher Wärme hangen, ein Gut von unschätzbarem Werthe, weil es seinen Bestand für immer sichert. Es ist die durch seine Verfassung, durch des Kaisers heiliges Wort gewährte Freiheit. Sie ist es auch, meine Herren, die einen unzertrennlichen Bund zwischen Deutschland und Oesterreich schließt. Was dort die deutschen Stämme als ihr edelstes Eigenthum erkennen, wofür sie ihr Blut einzusetzen bereit sind, das erblicken sie auch hier durch ein gleiches Gesetz, durch ein auf den gleichen Grundfesten ruhendes Recht verbürgt, die gleiche Sorge für die Erhaltung dieser Krone des Glückes befestigt den Bestand von Deutschland und Oesterreich. Darin wurzelt die Hoffnung des Gedeihens der Zukunft, darin die Gewähr der

Einigkeit, die eine Nation von 40 Millionen Menschen und einen

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Eppom
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 271. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_271.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)