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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Jahre trägt – ein Mal weniger, ein anderes Mal dafür um desto mehr.

Mancher unschuldige Leser dürfte sich wundern über diese enormen Gewinne und gar nicht begreifen, wo dieselben herkommen mögen, da doch nicht alle Spieler verlieren können; und er wird sich noch mehr wundern, ja, er wird es unglaublich finden, daß nicht die großen, die reichen Spieler der Bank diesen Gewinn bringen, sondern nur die kleineren. Auch ich fand es ganz unglaublich, als mein französischer Bade-Cicerone mich zuerst auf diesen Umstand aufmerksam machte, auch ich hielt seine Angaben für durchaus übertrieben, bis mich genauere Beobachtungen von der vollkommenen Wahrheit überzeugten.

Die großen Spieler spielen mit den seltensten Ausnahmen nur am Trente und Quarante-Tisch, manchmal tritt auch ein solcher an die Roulette, dann aber bleibt er nur kurze Zeit und spielt auf Nummern, um sich zu amüsiren. Beim Trente und Quarante sind nur einzelne Chancen, man kann nur Roth oder Schwarz setzen, und es kommt sehr oft vor, daß die Farben so ziemlich gleich besetzt sind, daß also, wenn kein refait von 31 für beide Farben erscheint - wo alle Einsätze die Hälfte verlieren – die Bank nach der einen Seite nicht viel mehr einzieht, als sie auf der andern auszahlen muß. Es kommt auch vor, daß ein kühner Spieler einen glücklichen Moment benutzt und eine bedeutendere Summe gewinnt. Aber wohlgemerkt! nur die großen Spieler, die große Summen riskiren, sind auch kühner. Hat ein solcher auch bedeutend verloren, so wird er wissen, daß nur ein besonderer Glücksfall seinen Verlust wieder heranbringen kann. Der kleine Spieler wird ängstlich, sobald er verloren hat, und wenn auch für ihn die günstige Wendung eintritt, er benutzt sie nicht, ihn verwirrt der Anblick der sich vor ihm häufenden Gelder, er zieht immer einen Theil zurück, und wenn der glückliche Moment vorüber ist, dann hat er kaum die Hälfte seines Verlustes wiedererlangt, während der große Spieler neben ihm sehr oft noch im Gewinne bleibt. Die kleinen Spieler gehen auch meistens an die Roulette, wo ein kleiner Einsatz auf Nummern einen ungleich höheren Gewinn bringt.

Alle diejenigen, die das Spiel kennen, taxiren es in der Weise, daß der Trente- und Quarante-Tisch gewöhnlich die Unkosten des Etablissements deckt, daß die Roulette aber, wo gerade die kleinern Spieler und besonders diejenigen, die am Sonntage nach den Bädern kommen und ihr Glück versuchen, den Reingewinn bringt. So viel ist sicher, daß am Trente und Quarante der eine oder andere Spieler bedeutende Summen gewonnen hat; zwar war dies nur „geliehenes Geld“ nach dem Spielerjargon, d. h. er verlor es später oder früher wieder; aber es war doch einmal gewonnen worden; in der Roulette gehört es schon zu den seltensten Fällen, daß ein Spieler überhaupt sein Geld nicht ganz verliert, und Fälle von Gewinnsten, wie die Garcia’s, sind an derselben geradezu unmöglich. Es ist also ganz unumstößlich wahr, daß eigentlich nur die kleineren Spieler die eigentlichen Erhalter der Bank sind.

Ich habe nun genug, vielleicht schon zu viel über das Wesen und Unwesen der Banken gesagt, ich muß nun zu dem eigentlichen Hauptpunkte gelangen, auf welchen ich den Leser schon vorbereitet habe: daß nämlich die Schmach, die Vorwürfe nach meiner Ueberzeugung Niemanden mehr treffen, als diejenigen sogenannten Räthe der Fürsten, die da genau wissen, wie es mit jenen Hölleneinrichtungen beschaffen ist, und die ihren Fürsten, sowie das Land in dem Wahne zu erhalten suchen, daß für den Aufschwung der Bäder jene Einrichtungen nöthig seien. Der Großherzog von Baden und der Herzog von Nassau eignen sich nicht einen Heller von dem Pachtertrage der in ihrem Staate bestehenden Banken zu; haben sie aber wohl eine Idee von dem Einflusse, den dieselben nicht auf die Spieler, sondern auf das Land ausüben?

Es wird wohl keiner langen Darlegungen bedürfen, um in jedem vernünftigen Menschen die Ueberzeugung festzustellen, daß die Beherbergung einer solchen Gesellschaft, wie sie in den Spielorten sich versammelt, der nothwendige Contact, in welchen die Bewohner mit ihr gerathen müssen, nicht ohne zersetzenden Einfluß auf alle Verhältnisse des bürgerlichen Lebens bleiben kann.

Zunächst unterliegt es keinem Zweifel, daß ein reeller Geschäftsbetrieb und Handel in der Umgebung einer solchen Spielhölle, je näher derselben, desto seltener, ja desto unmöglicher werden wird, weil auf das Erwerbsleben nichts gefährlicher einwirkt, als alles Haschen nach augenblicklichem und nur augenblicklich sicherem Gewinn. Mit der geschäftlichen Corruption geht dann die moralische Hand in Hand, denn das Volk, so weit es im Dunstkreise solch einer Hölle athmet, gewöhnt sich daran, einen ruinirten Spieler mit den Augen der sogenannten Employés anzusehen. „Wer hat ihn gezwungen zu spielen?“ Mit dieser Frage lernt auch das Volk nur zu bald und zu leicht sich gegen den Anblick der schauderhaftesten Folgen der Spielwuth verhärten. Wie weit aber eine solche Verhärtung der Gemüther um sich frißt, wer bestimmt die Grenze?

Ich komme auf meine frühere Bemerkung: Wenn gewisse Leute Spielbanken errichten, und Leute sich zu Dienern und Helfershelfern hergeben, so ist das ihre Sache; das haben sie mit ihrem Gewissen abzumachen, und so lange sie nichts Ungesetzliches begehen, so mag man sie in die Kategorie derjenigen stellen, die eben auf die schlechteste Leidenschaft der Menschen speculiren; man mag sie verachten, sie bei jeder Gelegenheit angreifen, ihr Gewerbe bloßstellen, die Menschen vor ihnen warnen; wenn sie sich über das Alles hinaussetzen – und sie sind darauf eingerichtet, sich über Alles hinauszusetzen, wenn sie nur brav Geld gewinnen – so kann man ihnen weiter nichts anhaben. Sie sind Fremde – denn die für das Wohl ihrer Unterthanen besorgten Regierungen verbieten ja Einheimischen sich bei der Direktion zu betheiligen[1] - sie haben also für die sittlichen und gewerblichen Verhältnisse des Landes und der Stadt, wo sie ihre Buden aufschlagen, keine Sorge zu tragen, übernehmen keine moralische Verantwortlichkeit und können sich – von ihrem Standpunkte aus – rühmen, den Wohlstand, den Luxus, ja selbst die Künste zu befördern! Die Schmach und die Schande des grauenhaften Unwesens trifft einzig und allein jene Beamten, welche als erfahrene Männer genau wissen müssen, wie es mit dem eigentlichen Wesen der Höllen beschaffen ist, welche ihre Wirkungen kennen, welche da genau zu bemessen im Stande sind, wie alle andern Theile des Landes dadurch leiden, daß man die Hauptaufmerksamkeit nur auf den einen Ort concentrirt, wo dies Spiel betrieben wird, – die da wissen, wie ganze Landestheile in Elend und Noth versunken sind, denen durch richtige volkswirthschaftliche Verwaltung aufgeholfen werden könnte, wie sie aber in Noth und Elend verbleiben müssen, weil das, was sie benöthigen, dem Glanze und dem Luxus des Spielortes geopfert wird, weil kein Capitalist Geld hergeben wird, um Ackerbau, Forstcultur und industrielle Unternehmen dort zu befördern, wo er vielleicht nur wenige Procente für sein Darlehen erhält, während er als Actionair der Bank oder als Hausbesitzer in dem Spielorte sich so leicht und sicherer großen Zinsertrag verschaffen kann – die da genau und manchmal auch selbst aus unmittelbarer Erfahrung beurtheilen können, wie es mit der Sittlichkeit, mit dem Familienleben in den Orten, wo die Spieler hausen, und in der Umgebung beschaffen ist – die da Alles genau erwägen können, und die sich dennoch nicht scheuen, den Banken ihren Schutz angedeihen und sie gegenüber den Regenten als ein zum Vortheile der Stadt bestehendes Institut erscheinen zu lassen! Was für besondere Beweggründe manchmal bei den Anschauungen jener Beamten, maßgebend wirken, darüber kann jeder Leser denken, was er will; es cursiren in den betreffenden Orten ganz curiose Gerüchte, die wir nicht vertreten möchten; es genügt, daß der Umstand einmal zur Sprache gebracht werde. Nur Eines muß hier bemerkt werden: Wenn so viele Nichtswürdigkeiten, so viele Uebelstände derartig zu Tage liegen, daß sie jeder nur einigermaßen aufmerksame Beobachter erkennen muß: wie Vieles mag wohl noch im Dunkeln verborgen sein, was nicht zur öffentlichen Kunde gelangt ist, oder was, wenn auch bekannt, doch nicht authentisch zu beweisen ist?

Die badische Regierung soll, wie man hört, den löblichen Entschluß gefaßt haben, die Spielbank in Baden aufzuheben. So sehr dieser Entschluß zu preisen ist, muß doch gleich hier bemerkt werden, daß dessen Ausführung nur den Höllen von Homburg und Wiesbaden zu Gute kommen wird. Möge der Bundestag[2] inmal der Gesammt-Angelegenheit eine größere Aufmerksamkeit als bisher widmen! Man wird freilich wieder von Verträgen reden, die nicht gebrochen werden dürfen – obwohl man in gewissen Kreisen in Deutschland eben nicht stolz auf das Halten von Verträgen sein darf – aber man könnte vielleicht Maßregeln treffen, durch welche die Wirksamkeit

  1. Auch an der Bank zu spielen. Wenn sich der Wiesbadener ruiniren will, muß er nach Homburg gehen, und umgekehrt.
  2. Sonderbarer Schwärmer! D. Red.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 255. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_255.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)