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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Vorsicht bei jedem Schritt und Tritt. Der Mond war aufgegangen, aber er spendete mit seiner schmalen Scheibe nur ein schwaches Licht. Zur Ergänzung desselben loderten zahlreiche Fackeln, wodurch ein höchst malerischer Effect erzielt wurde. Wo die Karawane ein wenig stockte, da sprengten Baschi-Bozuks hinzu, das Dickicht an den Seiten des Wegs durchbrechend.

Die Großfürstin hatte beim Auszug aus Ramleh einen türkischen Schimmel bestiegen; als sie ihn später wieder nebst dem jungen Prinzen mit dem Kutschsessel vertauschte, wurde dieser bei der Unsicherheit des Wegs von vier Mann gehalten und gestützt. Der Großfürst selbst ritt nahe dabei und bewunderte die Unerschrockenheit seiner Gemahlin bei den schwierigsten Stellen des Weges.

Nach 9 Uhr endlich war das Ziel des Tages gewonnen. Inmitten des Waldsteinichts hatten wir eine Bergfläche erreicht, wo einige Hütten den alten Namen Saris tragen. Hier war eine beträchtliche Anzahl größerer und kleinerer Zelte aufgeschlagen worden, um der Karawane als Nachtquartier zu dienen. Bereits vor uns lagerten daselbst zahlreiche Kameele und Maulthiere, die mit der umfänglichen Bagage vorausgeschickt worden waren. Bald war auch für leibliche Erquickungen der sehr ermüdeten Wanderer gesorgt; nur war noch erquickender die Ruhe selbst, wenn schon die Ruhestätte nicht auf Bequemlichkeit angelegt war. Aber einer besondern Ueberraschung muß ich noch gedenken. Der Großfürst war kaum in sein nächtliches Zelt eingetreten, so erschien vor ihm plötzlich Mustapha Abu Ghosch, dessen Name vor Zeiten der Schrecken aller Wandersleute in dieser Gegend gewesen. Er kam in blankem Waffenschmuck, doch begreiflicherweise nur zur Bezeigung seines unterthänigen Respects.

Die Karawane auf dem Gebirge Juda.[1]
Nach einer Originalzeichnung.

Schon um 6 Uhr brach der große Pilgerzug wieder auf. So freundlich auch die Landschaft war, unser Weg wurde dem Charakter, den er Abends vorher angenommen, nicht ganz untreu. Bald nach unserem Aufbruche kam nochmals Mustapha Abu Ghosch dem Großfürsten entgegengeritten, in der Absicht, ihn um die Ehre eines Besuches in seinem Schlosse zu bitten. Gegenwärtig ist derselbe das Oberhaupt der Beduinen Palästina’s. Vater und Großvater haben ihren Namen zum gefürchtetsten des Landes zu machen gewußt. Auch Mustapha, noch jetzt ein Mann vom stattlichsten Wuchse, den Ausdruck der Energie in seiner Haltung wie in seinen Zügen, wandelte eine Zeitlang in ihren Fußstapfen; als er aber nach Gefangenschaft und Exil 1851 im Triumph heimkehrte, zog er’s vor, das angeerbte Straßenhandwerk mit den Künsten des Friedens, das Schwert mit dem Spaten zu vertauschen. Davon überzeugten wir uns mit eigenen Augen, als wir seine Residenz passirten. Uebrigens verschmähte es der Großfürst mit seiner Gemahlin nicht, eine Viertelstunde bei dem Beduinenchef abzusteigen, der dem Brauche der orientalischen Salons gemäß Kaffee, Pfeifen und Confitüren präsentiren ließ.

Vom hochgelegenen Castell führt der Weg in ein Thal nieder, und aus dem Thale wieder auf die Höhe, von der wir einen schroffen, steinigen Bergpfad abwärts zu steigen hatten. Ehe wir ihn betraten, wurde mir mitgetheilt, der Großfürst, benachrichtigt, daß ich bei der Karawane sei, wünsche mich zu sprechen. Dies zu bewerkstelligen war nicht leicht, da ich mit meinem wenig regelrecht aufgezäumten Gaul, der freilich vollkommen mit dem beduinenmäßig angethanen Reiter selbst harmonirte, im Nachtrabe war, während der Großfürst auf seinem feurigen Araber an der Spitze der Karawane ritt. Der Versuch, meinem Thiere auf so bösem Wege einen außergewöhnlichen Eifer beizubringen, gelang jedoch so sehr, daß ich fast gleichzeitig mit dem Vortrab in Kulonieh eintraf. Kulonieh liegt am Fuße des genannten Bergpfades in einem reizenden Thale, durchflossen von einem Bache, aus welchem David der Hirtenknabe die Steine in seine Schleuder für die Stirn des Philister-Riesen geholt haben soll. Hier bot ein großer neben dem rieselnden Bache in voller Blüthe stehender Orangenbaum ein schattiges lockendes Plätzchen, auf dem der Großfürst sich niederließ. Ich kam zu derselben Stelle an und wurde von ihm auf’s Huldreichste empfangen. Bald kam auch die Großfürstin und nahm gleichfalls unter dem Schatten des duftigen Blüthenbaumes Platz.

Eine der ersten Fragen des Großfürsten war, wie es in der Sinaibibel mit dem Schlusse des Marcus stehe. Sieben Monate früher hatte ich ihm auf dem Schlosse zu Altenburg die Marcusstelle unter anderen zur Charakterisirung meiner Textarbeiten genannt. Ich erwiderte, daß die Handschrift vom Sinai meine Auffassung völlig bestätige, woran er ein Urtheil knüpfte, das dem berühmten englischen Kritiker des vorigen Jahrhunderts, dem Master des Trinity College zu Cambridge, näher als einem russischen Prinzen anzugehören schien.

Nachdem sich die Karawane kaum eine halbe Stunde wieder in Bewegung gesetzt hatte, da erschienen zum Empfang des großfürstlichen Pilgerpaares der griechische Patriarch von Jerusalem, ein würdiger Greis im Silberhaar, und der Gouverneur der Provinz, Surreya Pascha, beide mit Gefolg. Mit dem Patriarchen stieg auch der Großfürst ab; der erstere segnete den letzteren, und rief die Worte aus: „Gesegnet sei, der da kommt im Namen des Herrn.“ Darauf begrüßte und segnete er auch die Großfürstin.

Ein wenig später erwarteten die hohen Pilgrime der armenische

  1. Holzschnitt aus der xylographischen Anstalt von F. A. Brockhaus.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 252. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_252.jpg&oldid=- (Version vom 16.4.2020)