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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Wann, Rose Deutschland, blühst Du auf?


So oft der Reif von allen Bäumen
Herniedertroff bei lauem Süd,
Und frisch die Saat begann zu keimen,
Erklang auch hell der Lerchen Lied.

5
Und all die tausend Minnelieder,

Dir Einz’gen dargebracht im Chor,
Erflehten neu und immer wieder:
„O Rose Deutschland, sprieß’ empor!“

Nun lacht der Lenz aus Höh’n und Gründen,

10
Die Rebe blüht zu heiterm Sinn,

Und tausend holde Boten künden
Die Blüthezeit der Königin.
Und darf der Lenz mit duft’gen Schwingen
Dir wehen seine Grüße zu,

15
Hör’ auch den Wachtelruf erklingen:

„Nun, Rose Deutschland, knosp’ auch Du!“

Doch sieh, zur Knospe schon gestaltet,
Birgst Du der Blüthe volle Pracht,
Still harrend, bis sie sich entfaltet

20
In einer Lenzgewitternacht.

Schon künden’s tausend Nachtigallen
In sehnsuchtsvoller Töne Lauf:
Bald wird des Lenzes Donner schallen,
Dann, Rose Deutschland, blühst Du auf!

M. W.




Ein Fest „im Elend“.

Wenn Etwas für die Vaterlandsliebe und Heimathtreue unserer Vorfahren zeugt, so ist es ihre Bezeichnung für das Schicksal der Verbannung und Heimathlosigkeit. Sie nannten’s „das Elend“. Gegenwärtig nennt man es nicht mehr so, aber Deutschland ist reich an edlen Herzen in der Fremde, die es so fühlen. Zu diesen gehört auch Arnold Ruge, der berühmte und früher oft genannte Redacteur der „Deutschen Jahrbücher für Kunst und Wissenschaft“, der in vormärzlicher Zeit bereits so wacker gestritten und seine ganze und reiche Existenz in Deutschland der guten Sache des Volkes geopfert hat. Einen Besuch bei ihm, in seinem englischen Exil, mögen die folgenden Zeilen schildern, denen wir ein kurzes Wort über den Mann selbst vorausschicken.

Arnold Ruge ist mit Fortschrittsbeinen auf die Welt gekommen. Die geistigen Münzen, die er für das deutsche Volk schlug, tragen alle den welfischen Wahlspruch: Nunquam retrorsum! – Weil er aber das Unglück hatte, in der Politik ein deutscher Professor, d. h. Doctrinär über Alles zu sein, so half ihm, trotz der Grundehrlichkeit seines Strebens und der Größe der von ihm seiner Ueberzeugung gebrachten Opfer, beim Volke sogar sein Parlamentsplatz als Linkester aller Linken nichts: das Volk konnte ihm sein Ringen und Dulden nicht mit der dem strebenden Geiste so wohlthuenden Anerkennung lohnen, weil es ihn nicht verstand, weil es dem Fluge seiner social-demokratischen Ideen nicht folgen konnte. Da aber der Mann, wie mancher Irrthum ihm auf seiner Kampfbahn auch als Waffe in die Hand gerathen ist, nicht nur zu den begabtesten und denkendsten Köpfen, sondern auch zu den redlichsten und glühendsten Herzen der deutschen Nation gehört, so soll sie wenigstens sein Andenken ehren, bis die Zeit kommt, wo diese bedeutende und nun durch Jahre und Erfahrungen gereifte und geklärte Kraft wieder auf dem Boden der Heimath wirken kann.

Es wird aber hohe Zeit, daß dies geschehe, denn A. Ruge hat bereits sein sechzigstes Jahr begonnen, er ist am 13. September 1802 geboren, und zwar auf der Insel Rügen, also ein Landsmann des alten Arndt. Sein Leben war ein vielbewegtes gleich von seiner Studentenzeit an. Er gehörte in Jena und Halle zu jenem burschenschaftlichen Bunde der „Jungen“, der im Stolze des politischen Geheimnisses neben sich einen Bund der „Alten“ träumte und an dessen Spitze deutsche Fürsten, die während der Franzosenherrschaft sich als deutsche Patrioten gezeigt hatten, wie den König von Würtemberg, den Kronprinzen Ludwig von Baiern, den Großherzog Carl August, den Herzog Ernst (I.) von Coburg u. s. w. stellte. Als der kühne Traum zerrann, erwachten die Jünglinge im Kerker. Ruge hatte ein volles Jahr die bekannte Demagogen- Untersuchungshaft zu Köpenik erlitten und ward dann zu 15jährigem Gefängniß verurtheilt; nachdem er fünf Jahre auf dem Lauenburger Thor zu Kolberg gesessen, ließ man ihn im Jahre 1830 frei. Diese Zeit war für ihn keine verlorene, er hatte sie zum Ausbau seiner Kenntnisse angewandt. Sein Ruf schien politisch vollkommen gereinigt, denn man gab ihm eine Lehrerstelle am Pädagogium zu Halle und ließ ihn später als Privatdocent an der Universität daselbst zu. Außerdem auch ein vermögender Mann, Salzpfänner und städtischer Beamter dazu, genoß er in Halle Behaglichkeit und Ansehen zugleich. Aus diesem Leben rissen ihn die von ihm und Echtermeyer begründeten „Hallischen Jahrbücher für Kunst und Wissenschaft“, die damals durch ihren frischmuthigen Kampf gegen Zopf und Schlendrian auf allen geistigen Gebieten Epoche machten. Da bedrohte sein junges Blatt die preußische Censur; um es dieser zu entziehen, verließ er Halle, siedelte nach Sachsen über, verwandelte es hier in „Deutsche Jahrbücher“ und – war vom Regen in die Traufe gekommen. Das Blatt ward vollständig unterdrückt. Nun eilte Ruge, voll ungerechten Grimms gegen die ganze deutsche Nation, nach Paris, erlebte jedoch hier, daß das Volk sich nicht und die Polizei so viel um ihn bekümmerte, daß sie ihn auswies und seine dort begonnenen „Deutsch-französischen Jahrbücher“ gleich nach der Geburt erstickte. Ruge ging nun nach der Schweiz, von wo er schließlich nach Deutschland zurückkehrte, nachdem er dort mit Fröbel zusammen das „Literarische Comptoir“ gegründet, in dem bekanntlich zuerst die Herwegh’schen Gedichte erschienen. Später gründete er in Leipzig ein „Verlagsbureau“, aus welchem manches Gediegene hervorging. Da schnellte ihm das Jahr 1848 wieder von Neuem auf. Die Märzrevolution lockte ihn erst nach Berlin und führte ihn dann in die Paulskirche nach Frankfurt a. M., und als er, mit allen politischen Richtungen dort zerfallen, mürrisch „dieses von der Weltbewegung weit überholte Dorf“ verließ, um seinen Zorn auf einer Rundreise durch Deutschland auszuathmen, und die Nationalversammlung ihn für ausgeschieden erklärte, trieb ihn ein böser Genius wieder nach Berlin. Hier war indeß „Vater Wrangel“ der gebietende Mann geworden, und trotz Manteuffel’s Widerspruch mußte Ruge, weil er „stets ein Feind der preußischen Regierung gewesen“, sofort die preußische Hauptstadt verlassen. Mit dem Verlust von Tausenden seines Vermögens, die er namentlich in den Berliner Octobertagen für Agitationsmittel und zur Begründung einer demokratischen Zeitung, „die Reform“, geopfert hatte, kam er nach Leipzig zurück. Er griff nun abermals sein buchhändlerisches Geschäft energisch an, aber kaum hatte er hier den Stuhl zum Arbeitstisch gerückt, so gerieth er in Verwickelung mit den Dresdner Maiereignissen und entfloh den Folgen derselben nach England, wo er seitdem als einer der achtbarsten deutschen Verbannten lebt.

Arnold Ruge nimmt in der deutschen Literatur eine bedeutende Stelle ein. Er muß als einer der scharfsinnigsten Kritiker und der namhaftesten Vorkämpfer des Socialismus in Deutschland anerkannt werden, hatte seiner Zeit dem Studium des Hegel’schen Systems der Philosophie zu großer Ausbreitung mit verholfen, insbesondere aber durch die bereits genannten „Hallischen Jahrbücher“ sich eine Macht erworben, durch welche er eine in der politischen Stickluft von 1837 außerordentlich wohlthätige und ebenso fruchtbringende Umwälzung in der Journalistik bewirkte. Wer an jene Censurblüthentage zurückdenkt, wird noch heute dem tapfern Ruge seinen Dank nicht versagen. Nicht weniger entschieden, wie auf dem Felde der Aesthetik, trat er auf dem der Politik auf, und er verdient die Anerkennung, daß der social-demokratische Freistaat,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 249. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_249.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)