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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

annehmen, indem sie durch wechselnde Ausdehnung und Zusammenziehung ihres Körpers den Raum gewissermaßen wie mit einem Cirkel durchmessen.

Die Larven der Zweiflügler endlich dürften wohl ihren Aufenthaltsorten nach als die Dreckpeter unter den Insecten bezeichnet werden. Ihr Element ist in der That der Moder, der Mulm und die Jauche. Fußlose Würmer, die wir unter dem Namen der Maden zu bezeichnen pflegen, leben sie in stehenden Gewässern, Tümpeln und Wasserbütten, wie die seltsamen Larven der Schnaken und Mücken, in der Jauche der Cloaken und Miststätten, in allen faulenden Pflanzen- und Thierstoffen, in den eiternden Wunden und Beulen, ja selbst im Magen und Darmschleim lebender Thiere. Aber auch frische Nahrung verschmähen sie nicht, ziehen jedoch meistens weichere Stoffe, wie Beeren und Steinfrüchte, den härteren Geweben vor.

Eigentlichen Kunsttrieb oder besondere höhere geistige Eigenschaften zeigen die Larven niemals in dem Grade, wie die vollkommenern Insecten. Die materielle Arbeit, das Aufspeichern von Nahrungs- und Bildungsstoff beherrscht sie vollständig und beschränkt ihr Treiben während der größten Zeit ihrer Lebensdauer fast nur auf die Sorge um das tägliche Brod. Diese Lebensdauer ist aber oft lang, namentlich bei Käfern, und wenn der Maikäfer einen Cyklus von drei Jahren durchläuft, so wissen wir mit Bestimmtheit, daß die Larven gewisser Prachtkäfer wenigstens acht Jahre im Holze bohren, und daß der Hirschkäfer wahrscheinlich ebenso lange als Larve in den Eichen haust, ehe er sich in der Erde gewissermassen einpackt. Erst gegen das Ende des Larvenlebens, wenn die zur Verwandlung nöthige Stoffmenge angeeignet ist, entwickeln sich einige Kunsttriebe, die sich wesentlich darauf beziehen, der Puppe Schutz und Schirm während ihres Todtenschlafes zu gewähren. Die meisten Käferlarven bleiben an den verborgenen Orten, wo sie sich aufgehalten, oder steigen in die Erde hinab, wo sie sich eine kunstlose Hülle aus einfacher Seide spinnen oder zuweilen auch eine Art Kugel von Erde zusammenkneten, in deren Innerem sich eine geglättete Höhle befindet, in welcher die Puppe ruht.

Am weitesten gehen die Raupen mit ihrer Sorge für das Puppenleben, und bekanntlich zieht die menschliche Oekonomie von dem Cocon, welchen der Seidenwurm spinnt, jenen unschätzbaren Stoff, den kein anderer zu ersetzen im Stande ist. Andere Raupen kriechen in die Erde, in der sie bald vollkommen nackt, bald nur von dünner Hülle umgeben ruhen; andere endlich hängen sich, wie diejenigen des Kohlweißlings oder Schwalbenschwanzes, an dem hinteren Ende auf oder schlingen noch einen Gürtel um die Brust, der sie in wagerechter Stellung erhält. Gewöhnlich findet die Umwandlung in die Puppe fast unmittelbar nach der Anfertigung des äußern Gehäuses oder Gespinnstes statt. Es giebt aber auch Larven, wie namentlich die Larven vieler Sägewespen, welche noch wochenlang innerhalb ihres Gespinnstes in Raupengestalt verharren und erst wenige Tage vor der Umwandlung zum vollkommenen Insect die Puppenhülle annehmen.

Es begreift sich leicht, daß fast alle diejenigen Larven, welche von grünen, hinfälligen Pflanzentheilen leben, den Winter im Puppenzustande verbringen, und daß nur diejenigen, welche in beständigeren Nahrungsmitteln leben, wie z. B. die Holzbohrer oder Wurzelfresser, dem Wechsel der Jahreszeiten keine Rechnung tragen. Doch kann man auch diese Regel nicht zu einer allgemeinen machen; denn es giebt viele jährige Insecten, deren Larven von Blättern u. dgl. leben und dennoch als Larven in einer Art von Winterschlaf die kalte Zeit zubringen. So jene über und über mit langen Haaren dicht besetzten Raupen, welche man die Bärenraupen zu nennen pflegt und die einzeln, im Grase unter Moos oder dürren Blättern versteckt, den Winter zubringen; so die Raupen des Baumweißlings und des Goldafters, welche in ihren dichtgesponnenen Nestern selbst starken Kältegraden trotzen und bei der ersten Frühlingswärme in hellen Haufen hervorbrechen, um die jungen, frischen Knospen abzuweiden.

Die Puppen selbst lassen sich meistens, je nach den verschiedenen Insectenordnungen, leicht unterscheiden. Bei den Käfern und Schmetterlingen, sowie den Netzfaltern trifft man meistens sogenannte maskirte Puppen, bei welchen die allgemeinen Körperumrisse, sowie die einzelnen Körpertheile zwar erkenntlich, aber doch nur gewissermaßen als Basrelief ausgearbeitet sind. Man erkennt an solchen Puppen Kopf, Brust und Hinterleib, man sieht auch die rudimentären Flügel und die Beine, aber nur in Relief angedeutet und nicht frei herausgearbeitet. Nur der Rüssel macht häufig bei den Schmetterlingen oder Rüsselkäfern eine Ausnahme, indem er als schnabelförmige Verlängerung in eigener Scheide auf der Unterfläche sich darstellt. Die Puppenhaut selbst ist eine neue Haut, welche sich anfangs weich und zart unter der alten Larvenhaut gebildet hat, die bei dem Hervortreten der Puppe gesprengt wird und meistens als verschrumpfter Balg daneben liegt.

Bei vielen Hautflüglern geht die Ähnlichkeit der Puppe mit dem Insect noch weiter. Jedes Glied hat hier seine Scheide, in welcher es, stramm an den Leib angezogen, unbeweglich ruht: Fühlhörner, Füße, Flügel – Alles läßt sich an diesen gemeißelten Puppen auf den ersten Blick unterscheiden und zeigt sich sogar annähernd in derselben Form, wie in dem vollkommenen Insect. Man braucht nur die feine Hülle eines sogenannten Ameiseneies – denn jene großen, ovalen Körper, welche die Ameisen häufig im Sommer an die Sonne schleppen und die man zur Nahrung der Nachtigallen namentlich sammelt, sind nichts Anderes als die Puppen und keineswegs Eier – man braucht nur, sage ich, vorsichtig eine solche Hülle mit der Scheere zu öffnen und man wird die junge Ameise darin finden, weiß und unbeweglich, aber mit allen Gliedern, die in eigene Scheiden gehüllt sind.

Am merkwürdigsten unter allen erscheinen die Puppen der Zweiflügler, die aus Maden hervorgehen. Die Madenhaut selbst schrumpft ein und bildet nun eine außerordentlich enge, flaschen- oder tonnenförmige Puppe, in welcher die Fliege enger zusammengeschnürt liegt, als die Kinder im mittelalterlichen Wickel. Man begreift in der That kaum, wie die eben geborene Fliege, die den dreifachen Raum ihrer Tonne einzunehmen scheint, innerhalb derselben Platz hatte, und sieht auf der anderen Seite die Möglichkeit, ein, daß die Larven selbst innerhalb des Leibes der Mutter sich entwickeln und erst die kleinen kernförmigen Puppen von derselben gelegt werden, wie dies wirklich bei den schmarotzenden Lausfliegen (Hippobosca) der Fall ist.

Soll ich Ihnen nun noch das Auskriechen der vollkommenen Insecten aus der Puppe beschreiben? Ich glaube, daß dies kaum nöthig sein dürfte. Sie wissen Alle, daß die Puppenhaut gesprengt wird, daß sie bald wie ein Deckel sich abhebt, bald einen klaffenden Riß erhält, aus welchem das junge Insect, anfangs noch sehr weich und zart, mit Mühe sich hervorarbeitet und die Erstarrung seiner äußeren Hüllen erwartet. Sie wissen, daß die Flügel, welche anfangs völlig verkrumpelt und unscheinbar am Leibe lagen, sich zusehends dehnen und steif werden, bis sie ihrer eigentlichen Bestimmung dienen können, und Sie wissen auch, daß dieser Entwicklungsproceß nicht gestört werden darf, wenn die Flügel in ihrer vollständigen Ausbreitung sich entfalten sollen. Oft genügen wenige Minuten, um dem Insect die letzte Vollständigkeit zu verleihen; oft aber bedarf es auch längerer Zeit, wie man denn nicht selten im Winter schon Maikäfer findet, die zwar vollkommen ausgebildet, aber noch weich innerhalb der Erde des Augenblickes harren, wo sie an der Oberfläche erscheinen können.

Von den Insecten mit unvollkommener Verwandlung ist wenig zu sagen. Denn wenn man bei ihnen Larven und Puppen unterscheidet, so geschieht dies fast nur in Beziehung auf die successive Ausbildung der Flügel, während im Uebrigen mit geringen Ausnahmen Lebensweise und Nahrung der Puppen dieselben sind, wie bei dem vollkommenen Thiere.

Indem wir uns so mit den allgemeinen Grundzügen der Organisation der Insectenwelt vertraut gemacht haben, können wir nun zur speciellen Betrachtung der einzelnen Ordnung selbst übergehen.



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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 248. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_248.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)