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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

derjenigen geregelt ist, deren die Pflanzentheile bedürfen, von welchen die Larven sich nähren. Sowie jede Art von Insecteneiern einen bestimmten Grad von Kälte vertragen kann, der in gewissen Fällen sogar sehr tief herabsinkt, sodaß z. B. die Eier des Forstspanners eine Kälte von etwa 20 Graden vertragen können, ohne zu Grunde zu gehen: so bedarf es auch eines gewissen Wärmegrades, um sie zur Entwickelung zu bringen. Wir wissen dies am besten durch die Seidenzucht, bei welcher man die Eier in der Kälte hält, in kalten Kellern aufbewahrt, wenn man ihr Ausschlüpfen verzögern will, dagegen in die Wärme bringt, sobald man Futter genug an frisch ausgeschlagenen Maulbeerblättern besitzt. Am häufigsten findet sich das Ueberwintern der Eier bei denjenigen Arten, deren Existenz ganz auf diejenige der weichen grünen Pflanzentheile und der abfallenden Blätter gegründet ist; ja es giebt Gattungen, wie die Blattläuse, deren überraschend schnell aufeinander folgende Generationen lebendig geborener Jungen nur während des Sommers erscheinen, während über den Winter hinüber die Existenz der Art durch Eier gesichert ist.

Aus dem, was ich schon oben über die Gefräßigkeit der Larven bemerkte, geht schon zur Genüge hervor, daß diese hauptsächlich die Verderber sind, gegen welche wir anzukämpfen haben, und daß in den Fällen, wo wir gegen die vollkommenen Insecten Krieg führen, wir damit nur die Pflanzschulen künftiger Verderber, nicht aber diese selbst bekämpfen. Der zarte Schmetterling, der von Blume zu Blume gaukelt und mit weichem Saugrüssel Honig schlürft, ist wahrlich unfähig, irgend welchen Schaden zu stiften; aber indem wir ein Weibchen tödten, zerstören wir zugleich viele Hunderte von Eiern, aus denen gefräßige Raupen geschlüpft wären.

Die Larven haben gewöhnlich die Gestalt eines Wurmes, sind in den meisten Fällen ganz fußlos oder nur mit kurzen Stummelfüßen versehen, zeigen aber in ihrer sonstigen Organisation, ihrer Lebensweise und Nahrung so unendlich viele Verschiedenheiten, daß es unmöglich ist, sie unter allgemeinen Gesichtspunkten aufzufassen. Man kann wohl sagen, daß es nicht eine Substanz pflanzlichen oder thierischen Ursprungs giebt, welche nicht einer Insectenlarve zur Nahrung oder zum Wohnorte dienen könnte. Ja sogar an Metallen nagen zuweilen ihre scharfen Hornkiefer, um sich durch dieselben einen Weg zur Nahrung zu bahnen. Fast alle führen ein verborgenes, heimliches Leben: jene in der Erde oder im Moder, diese im festen Holz und innersten Mark der Pflanzen; die einen in Aesern, die andern im lebenden Fleische, in Wurzeln oder Samen, in Knochen oder Haaren, ja im festen Horn oder auch in den inneren Organen der Thiere. Wenige nur sind fleischfressende Räuber und werden uns nützlich, indem sie kleineren Insecten nachstellen; die meisten sind uns im Gegentheile schädlich, indem sie unsere Pflanzungen, unsere Ernten, unsere Vorräthe, ja selbst unsere Kleidungsstücke und Wohnungen zerstören. Auf diese Weise führen die Insectenlarven eine ungeheuere Menge pflanzlichen und thierischen Stoffes in die allgemeine Circulation der organischen Substanzen über, indem sie wieder anderen Thieren zur Nahrung dienen. Viele von ihnen sind in der That mit der kleinen Polizei der Natur betraut, und ihr Wirken erreicht in dieser Hinsicht ganz bedeutende Proportionen. Sie schaffen die modernden Stoffe, die kleinen Aeser, alle jene Substanzen, die durch ihre Ausdünstung dem Menschen sogar gefährlich werden können, fort und verwandeln sie in ihrem Körper in frischen lebenden Stoff, der andere Verbindungen eingeht.

Nur selten bekommt man die Käferlarven zu Gesicht; selbst diejenigen, welche vom Raube leben, wie die Larven der Lauf- und Sandkäfer, suchen sich in Erdlöchern zu verbergen, aus denen sie gelegentlich auf ihre Beute hervorstürzen. Diese Raublarven haben dann auch gewöhnlich ziemlich lange Beine, während die übrigen Käferlarven, deren Wirkungskreis beschränkt ist, entweder nur kurze Füße oder Stummel besitzen, die ihnen höchstens zum Nachschieben dienen können. Die Raublarven sind meistens schwärzlich, diejenigen aber, welche im Innern von Gewächsen und Früchten, sowie in der Erde von Wurzeln leben, gewöhnlich hellgelblich oder röthlich gefärbt. Bei allen ist der Kopf stark hornig und die Kiefer kräftig ausgebildet, und wahrlich, sie haben eine solche Ausbildung nöthig bei der Lebensweise, die sie führen. Eine Anzahl von diesen Larven bohrt in die Rinde, den Bast, das Holz und das Mark der Gewächse, in die Früchte von der saftigsten Beere bis zu der härtesten Steinfrucht. Andere nähren sich von unseren Vorräthen, wie die Mehlwürmer; andere endlich zernagen unsere Pelze, unsere Wollenstoffe, unsere naturhistorischen und kunstgeschichtlichen Sammlungen, unsere Möbel und Geräthe. Meist zeigen die vollkommenen Insecten nur insofern Sorge für ihre Nachkommenschaft im Larvenzustande, als sie die Eier an diejenigen Orte legen, an welchen die Larve sich nähren soll, was allerdings in einigen Fällen, wie z. B. bei den meisten Rüsselkäfern, nicht geringer Arbeit und Sorge bedarf. Sonst aber leben die Larven meist auf eigene Faust, ohne daß die längst gestorbenen Eltern sich weiter um sie kümmern könnten.

Anders verhalt es sich bei den meisten Hautflüglern. Denn wenn auch die Larven der Holzwespen, ähnlich wie diejenigen der Käfer, im Holze der Gewächse wohnen, und diejenigen der Sägewespen, nachdem die Eier einmal an den Ort gebracht sind, an welchem sich die Larven entwickeln sollen, sich selbst überlassen bleiben: so findet man doch bei den meisten Hautflüglern, namentlich den Wespen, Bienen, Ameisen und Hummeln, die rührendste und zärtlichste Sorge für die Nachkommenschaft. Während viele Holzwespen raupenähnliche Larven besitzen, die man auch Afterraupen genannt hat und die sich gewöhnlich durch die noch größere Anzahl falscher Füße, als die echten Raupen besitzen, vor diesen auszeichnen: erzeugen jene genannten, mit Giftstacheln bewaffneten Hautflügler nur fußlose, unbehülfliche Larven, welche meistens sogar während der ganzen Zeit ihres Larvenlebens gefüttert werden müssen. Die Nester, Gesellschaften und staatlichen Einrichtungen, welche wir bei vielen dieser Insecten bewundern, sind einzig durch die Sorge für die Nachkommenschaft bedingt und zusammengehalten, und soweit geht die Natur in der Strenge ihrer Einrichtungen, daß bei vielen Gesellschaften, wie bei den Bienen und Ameisen, durch besondere Nahrung die weiblichen Individuen in solcher Weise verstümmelt werden, daß ihre Geschlechtstheile sich nicht ausbilden und diese geschlechtslosen Arbeiter einzig für das Gesammtleben des Stockes und die Besorgung der Nachkommenschaft verwandt werden können.

Der Netzflügler, die für uns in Betracht kommen, sind nur wenige und diese, wozu namentlich die Florfliegen und Ameisenlöwen gehören, besitzen höchst eigenthümliche räuberische Larven mit breitem, plattgedrücktem Leibe und langen, zangenähnlichen, an der Spitze durchbohrten Kiefern, mittelst deren sie ihre Beute aussaugen. Es besitzen diese Larven einen so eigenthümlichen Typus, daß sie sich in keiner Weise verkennen und mit den übrigen verwechseln lassen.

Auch die Larven der Schmetterlinge, die wir gewöhnlich mit dem Namen der Raupen bezeichnen, lassen sich im Allgemeinen leicht erkennen, obgleich es in der That Formen giebt, die durch ihren schildförmigen Körper oder die sonderbaren Auswüchse, welche sie besitzen, ihre Verwandtschaft ziemlich verleugnen. Wenige von ihnen nur leben im Innern der Gewächse, wie z. B. die großen braunrothen Raupen des Weidenbohrers (Cossus ligniperda) im Holze der Weiden und Pappelbäume, oder die Larven der Glasflügler (Sesia) in den Stengeln verschiedener Sträucher und Kräuter. Die meisten Raupen nähren sich von den grünen Theilen der Gewächse, von Knospen, Blättern und saftigen Stengeln; nur wenige nagen in trockenen Früchten, in Vorräthen, ja selbst in Tuch, Wolle oder Wachs. Alle Raupen aber zeichnen sich dadurch aus, daß sie außer den drei wahren Füßen, welche unmittelbar hinter dem hornigen Kopfe an den ersten drei Körperringen stehen, meistens noch eine größere oder geringere Anzahl sogenannter falscher Bauchfüße besitzen, welche gewöhnlich mit einem scheibenartigen Saugnapfe enden und paarweise an den Ringeln des Hinterleibes stehen. Die echten Füße, welche gewöhnlich mit Krallen versehen sind, entsprechen einzig den sechs Füßen des vollkommenen Insectes: schneidet man einen solchen Fuß der Raupe ab, so erscheint der Schmetterling beim Ausschlüpfen ohne den entsprechenden Fuß, während die Verletzung eines Bauchfußes keine weiteren Folgen nach sich zieht. Gewöhnlich besitzen die Raupen fünf Paar solcher Bauchfüße, von welchen die vorderen etwa unter der Mitte des Bauches, das letzte dagegen ganz hinten am Ende angebracht ist. Manchmal fehlen diese mittleren Paare, wie bei den Spannerraupen, sodaß dann die Thiere einen ganz eigenthümlichen Gang

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 247. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_247.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)