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Gustav Werner.

seine Laufbahn machte er durch die „niederen Klöster“ und das Tübinger Stift, aus dem, wie bekannt, bedeutende Männer verschiedener Art schon hervorgegangen sind. Im Jahre 1837 war er Pfarrgehülfe in Waldorf, einem Dorfe bei Reutlingen. Schon damals wies sein Wort und sein Wirken auf die in Liebe thätige Seite des Christenthums hin: er gründete eine Kleinkinder- und Arbeitsschule aus freiwilligen Beiträgen, die seine Gemeindegenossen und auswärtigen Zuhörer, durch seine Vorträge begeistert, ihm freudig darreichten. Das war der erste Anfang. Da starb in dem Orte eine Mutter von sechs Kindern; eines mit 4 Jahren übernahm er zur Erziehung, die Lehrerin der Arbeitsschule führte ihm den Haushalt. Schon im nächsten Jahre hatte er zehn Kinder und konnte, von seinen Gemeindegenossen reichlich unterstützt, auf dem Gemeindebackhause einen eigenen Raum sich erbauen. Im Februar 1840 zog er mit seinen 10 Kindern nach Reutlingen, miethete dort ein größeres Haus, wobei er sich vornahm, seine Kinderbewahr- und Erziehanstalt höchstens bis auf 40 Zöglinge auszudehnen, – schon ein großes Ziel, wenn man bedenkt, daß Werner lediglich auf sich selbst angewiesen war; was die Arbeit der Kinder, namentlich Strickerei, einträgt und was an freiwilligen Liebesgaben in Folge seiner Vorträge, die er über Reutlingen hinaus ausdehnte, einging, mußte genügen. Ging es auch sparsam und dürftig zu, so reichte es doch, und bald konnte er eine, bald eine zweite Kuh anschaffen und einige Aecker pachten. Dazu bildete sich in Reutlingen ein Verein von Jungfrauen, die einige Stunden in der Woche für die Anstalt arbeiteten; später traten einige Jungfrauen ganz in die Anstalt ein, und wie diese gedieh, wuchs zugleich in Werner die Kraft und Zuversicht.

Die Predigten, welche Werner in der Umgegend und später in immer weiteren Kreisen, stets aber nur auf Verlangen, unter freiem Himmel, in Scheunen und sonst hielt, machten Aufsehen; mancher Pfarrer mochte sich durch den „Reiseprediger“ beunruhigt fühlen, und vielfach wurde ihm die Benutzung der Kirchen verweigert; auch forderte die oberste Kirchenbehörde ihn zu einer Erklärung auf. Sie ging dahin, daß er im Sinne des Apostels Johannes auf ein lebendiges Christenthum hinwirken wolle, seine Stellung sei dieselbe, wie früher, als er ein Kirchenamt bekleidet; die Behörde war zufrieden, es wurde dem Kirchenconvente jeder Gemeinde anheimgestellt, ob die Kirche Werner zu seinen Vorträgen überlassen werden solle.

Die freiere Bewegung der Jahre 1848 und 49 gab auch ihm freiere Bahn; allein mit dem Rückschritt auf dem staatlichen Gebiete hielt der kirchliche gleichen Schritt; es liefen Seitens der Geistlichen Beschwerden ein mit Zweifeln, ob Werner noch auf dem Boden der Landeskirche Augsburgischer Confession stehe. Die symbolischen Bücher spielen dabei bekanntlich eine große Rolle; da jedoch diese für das werkthätige Christenthum Werner’s zu eng sind und er es verschmähte, nur dem Buchstaben zu huldigen, so trat er als Geistlicher der Landeskirche aus, worauf ihm die Benutzung der Kirchen verboten wurde. Und so steht es noch heute.

Sein Werk aber gedieh trotz dieser nicht freundlichen Stellung zur Kirche fröhlich weiter. Von der richtigen Erkenntniß ausgehend, daß solche Anstalten sich selber erhalten müssen, mehrte er den Betrieb seiner Landwirthschaft; ferner richtete er mit Jungfrauen eine eigene Schule für seine Anstalt ein. Bald schlossen sich auch einige männliche Glieder der Gemeinschaft an, und nach

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 237. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_237.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)