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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Aus den deutschen Spielhöllen.

Von E. v. S–g.
Nr. 2. Homburg – Nauheim – Wilhelmsbad – Wiesbaden Baden-Baden.
(Fortsetzung.)
Manipulationen zur Herbeiziehung von Spielern – Die Nauheimer Hölle – Weshalb der Teich gegraben – Eine Scene in Wilhelmsbad und das Urtheil eines Franzosen – Wiesbaden und sein Reich der Courtisanen – Die moralische Spielhölle – Bénazet, der König von Baden und seine Etablissements.

In Homburg sowohl wie in Baden-Baden sind außerdem die Directoren der Bank beflissen, eine Anzahl hübsche Pariser Loretten hinzuziehen, theils um junge reiche Leute durch diese Courtisanen an den Spieltisch zu fesseln, theils um sie an der Bank mitspielen zu lassen, wenn das Geschäft flau geht. Dabei wird die Presse auf jede mögliche Weise benutzt, und die Form, deren sich die Verwaltung bedient, ist oft so fein, daß selbst in die angesehensten Blätter Reclamen in Gestalt hübscher Reiseberichte, kleiner Novellen oder Feuilletonskizzen eingeschmuggelt werden. Die Nachricht von der Sprengung der Bank aber ist ständig und kehrt jedes Jahr wieder, ohne daß sie sich bewahrheitet. Wiesbaden ließ vor einigen Jahren eine Anzahl geistreicher Feuilletonisten von Paris kommen, bewirthete sie auf das Feinste und honorirte ihre Schilderungen der deutschen Badeherrlichkeiten in den französischen Zeitungen auf das Glänzendste.

Nachdem Alles, was die moderne Civilisation bietet, bereits angewandt war, um dem „Curhause“ von Homburg den größten Glanz zu verleihen, hat das Genie des Herrn Blanc in letzter Zeit auch die Religion in das Bereich seiner Speculation gezogen; er läßt nämlich eine englische Kirche bauen, oder bestreitet wenigstens den größten Theil der Kosten aus dem Fond der Bank; hierbei befolgt er das Beispiel des berühmten Eigenthümers der Badner Spielbank, des Herrn Bénazet, von dem ich später noch sprechen werde. Die zahlreichen Kinder Albions, welche sich jetzt in den deutschen Bädern ansiedeln, wo sie mit wenigen Unkosten eine gewisse Rolle spielen können, werden also auch in Homburg ihre Andacht nach dem Ritus ihres Vaterlandes verrichten. Es ist nur sonderbar, daß diese frommen Leute nicht daran denken, wer ihnen das Gotteshaus erbauen ließ. Und ist es nicht unbegreiflich, daß ein Geistlicher sich entschließen kann, in einer von solchen Händen dotirten Kirche das Wort Gottes zu verkünden? Vermag er doch nicht einmal die Entschuldigung anzuführen, daß hier ein reuiger Sünder seine Schuld durch ein vermeintlich gottgefälliges Werk zu sühnen versuchte; – muß er nicht denken, daß in demselben Augenblicke, wo er in der Kirche für seine Gemeinde betet: „Führe uns nicht in Versuchung, erlöse uns vom Uebel,“ die Diener desselben Mannes, der die Kirche stiftete, rufen: Messieurs, faites votre Jeu!? Wahrhaftig, es wäre spaßhaft, wenn der Teufel einem solchen Geistlichen einmal das Evangelium, das dieser in der Hand hält, zu einem Spiel Karten verwandelte und ihn in solcher Weise daran erinnerte, auf welchem Felsen die Kanzel, von der er Predigt, eigentlich errichtet ist!

Was nun sonst noch zur Organisation Homburgs gehört, die Einrichtung, die Ausgaben, die Verbindungen und Beziehungen, die Besoldungen der Angestellten etc., werde ich später besprechen, da die Hauptspielorte, wie der eben genannte, dann Wiesbaden und Baden-Baden, in vielen Punkten gleich stehen. Als besondere Einzelheit soll hier nur hervorgehoben werden, daß Homburg die einzige Hölle ist, wo den ganzen Winter hindurch gespielt wird. Zwar soll es im glücklichen Kurhessen neben Nauheim, Nenndorf, Wilhelmsbad noch eine Spelunke, Wildungen,[1] geben, wo auch im Winter Vögel gerupft werden, doch ist sie zu unbedeutend; Homburg ist bisher der einzige Sammelplatz jener Menschen, die ihr ganzes Leben nur in der Atmosphäre eines Spielsaales verbringen können. Der Einfluß auf die benachbarten Städte ist bei so fortgesetzter Agitation der verderblichste. Unter den jungen Kaufleuten war vor Kurzem noch die Spielwuth so eingerissen und es kamen so viele Veruntreuungen vor, daß die Principale in Frankfurt sich geeinigt haben, keinen Commis anzunehmen, beziehendlich jeden zu entlassen, der an einer Bank spielte. Auch die Turner haben Aehnliches erklärt. Die Zeitungen melden uns, daß der Spieler Garcia in letzter Zeit wieder eine Million Franken daselbst gewonnen habe; dagegen aber auch in dem einzigen Monate Januar drei Menschen in Folge ihres Besuches jener Hölle ihr Leben geendet haben. Der Leser wird mir wohl jeden Commentar erlassen.

Manche hoffen, daß, wenn das Ländchen an Darmstadt übergeht, auch die Spielbank enden werde; die edlen Vorsteher jenes Institutes scheinen keiner Befürchtung Raum zu geben, denn sie haben erst seit Kurzem den Neubau eines Theaters begonnen. Herr Blanc mag wohl, wie einst gegenüber dem Parlamente, in Bezug auf die angedeutete Eventualität sagen: „Meine Bank wird länger dauern als Hessen-Homburg.“ Und wer weiß, ob er nicht Recht behält? Er hat Manches erlebt und durchgesetzt. Sein Bruder ist gestorben; sein erster Compagnon, der ältere Teittler, hat im Irrenhause unter fürchterlichen Gewissensqualen geendet; der jüngere scheint auch nicht auf Rosen gestorben zu sein; sein ehemaliger Director Wellen hat ihn verlassen und ist Generaldirektor der Wiesbadener Hölle; nur seine untergeordneten Helfershelfer sind ihm treu geblieben, und wer diese Nachteulen-Gesichter erblickt hat, der ist überzeugt, daß sie noch lange keine Reue zu spüren Lust haben; Herr Blanc aber hat in letzterer Zeit sogar der französischen Regierung eine Broschüre unterbreitet, worin er einen Plan zu Tilgung der Staatsschulden des neugallischen Kaiserthums darlegt. Vielleicht speculirt er, der Generaldirector von neu zu errichtenden Pariser Spielhäusern zu werden?

Nach mehrtägigem Aufenhalte in Homburg begab ich mich nach Nauheim, um diese hessisch-kurfürstliche Schöpfung in Augenschein zu nehmen. Der Ort selbst ist noch im Werden begriffen, und die Einwohner sind noch nicht, wie die Homburger, darauf dressirt, jeden Fremden als eine Citrone zu betrachten, die man so lange preßt, als noch ein Tropfen Saft darin zu vermuthen ist. Dagegen ist das Curhaus, obwohl als Gebäude nur provisorisch, als Spielhölle bereits so vollständig organisirt, daß es einer nähern Prüfung wohl werth erscheint.

Es wurde im. Jahre 1853 oder 54 gegründet. Der Kurfürst, dessen Vater einst einer der besten Kunden der Homburger Bank war, scheint das Geld, das dieser verloren hat, dadurch zurückbringen zu wollen, daß er in jedem nur einigermaßen geeigneten Ort seines Reiches Spielbanken zu errichten erlaubt. Die Hauptunternehmer in Nauheim, d. h. diejenigen, welche die Fonds lieferten, waren ein französischer Senator C–l, ein französischer Fürst B., ein Frankfurter Rentier S–n, und einige dii minorum gentium. Als ostensibler Leiter erschienen ein Herr Viali und Herr Brigneboule; der letztere ist aber ungetreu geworden und in das Lager der Wiesbaden-Emser Gesellschaft übergegangen. Nach den ursprünglichen Contracten zu urtheilen, müssen sich die Nauheimer Bankhalter goldene Berge versprochen haben; denn sie verpflichten sich nicht nur, einen großen Cursaal und Restauration, sondern auch dem Landesherrn einen großen Palast zu bauen; dem Anscheine nach dürfte dieser in dem Jahre fertig werden, wo der Kurfürst aus eigenem Antrieb die Verfassung von 1831 wieder herstellt. Man versicherte nur, daß zur Zeit, als das Project zuerst nach Kassel gebracht wurde, gewichtige Stimmen sich dagegen erhoben, daß selbst Hassenpflug in einer Anwandlung von Anstandsgefühl es für unbillig fand, das kaum von der Bundesexecution befreite Land, statt mit irgend einer Erleichterung, mit einer Spielhölle zu beglücken; doch der souveraine Wille einerseits und das souveraine Gold der Unternehmer andererseits beseitigten alle Schwierigkeiten, und selbst Hassenpflug fand sich zuletzt veranlaßt, im Herbste 1854 das neue Institut zu besichtigen. Die Geschäfte sind bisher nichts weniger als glänzend, Homburg und Wiesbaden absorbiren noch zu viel; doch hat die Administration neuerdings einen Contract mit einem Architekten geschlossen und scheint die Concurrenz mit den beiden eben angeführten Orten durchaus nicht aufgeben zu wollen.

In dem Munde des Volkes geht die Sage, daß der große Teich dort nur zu dem Zwecke gegraben worden sei, um den unglücklichen Spielern die Gelegenheit zum Selbstmorde zu erleichtern

  1. Der verdienstvolle Gründer ist ein Herr von H., Verwandter der größten Banquierfamilie Europa’s.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 233. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_233.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)