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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Im Hinterleibe endlich, der gewöhnlich aus neun Ringen zusammengesetzt erscheint, finden sich hauptsächlich die Organe des vegetativen Lebens: der Darmcanal, das Herz, die Absonderungs- und Geschlechtswerkzeuge. Der Hinterleib trägt keine gegliederten Anhänge, wie die beiden vorderen Körperabtheilungen, die zur Bewegung bestimmt sind, wohl aber häufig solche, die mit dem Fortpflanzungsgeschäfte in Verbindung stehen.

Es wäre sonach leicht, ein Insect von den beiden anderen großen Gruppen der Gliederthiere, den Krustern und den Spinnen, zu unterscheiden. Ist das Thier geflügelt, so ist es jedenfalls ein Insect; ist es ungeflügelt, so genügen die sechs Beine zur Unterscheidung von den Spinnen, welche deren acht besitzen, und der anhanglose Hinterleib und das Vorhandensein von Luftöffnungen, die zu einem verzweigten Luftröhrensysteme im Innern des Körpers führen, zur Unterscheidung von den Krustern.

Wir haben bisher nur von dem vollkommenen Insecte, dem Bilde (imago) oder der Fliege gesprochen, und in der That treten auch nur bei diesem die Unterscheidungszeichen in aller Schärfe hervor. Alle Insecten durchlaufen aber, ehe sie zu diesem Zustande der Vollkommenheit gelangen, verschiedene Zustände, die uns hier um so wichtiger sein müssen, als einige dieser Zustände es gerade sind, welche uns den meisten Schaden zufügen, und andere vorzugsweise zur Vertilgung der Art geeignet erscheinen. Bevor wir indessen diese Zustände näher in’s Auge fassen, möge es uns gestattet sein, noch einige Augenblicke bei dem Zustande des vollkommenen Insectes zu verweilen.

Bei der ungeheueren Mehrzahl der Insecten dauert dieser Zustand, in welchem allein das Fortpflanzungsgeschäft vorgenommen werden kann, verhältnißmäßig nur kurze Zeit; ja man könnte fast als allgemeines Gesetz aufstellen, daß das Insectenmännchen nur so lange lebt, bis es die Begattung vollzogen, das Weibchen, bis es für die Brut gesorgt hat. Ungemein viele Männchen nehmen während der kurzen Dauer ihres vollkommenen Zustandes gar keine Nahrung zu sich und erhalten ihr Leben einzig auf Kosten des während ihres Larvenzustandes angesammelten Stoffes; ja es giebt einige, deren Mundöffnung gänzlich verschlossen ist und keinerlei Aufnahme von Nahrungsmitteln gestattet. Wenn die Weibchen länger leben, wie z. B. das Bienenweibchen oder die Königin drei Jahre, so liegt der Grund eben darin, daß die Sorge für die Brut, das Ablegen von Eiern, erst mit diesem Zeitpunkte beendet ist. Im Ganzen aber sind diese Fälle nur seltene Ausnahmen, und bei dem großen Heere der Insecten gilt die Regel, daß ihre Erscheinungszeit auf wenige Tage oder Wochen, im höchsten Falle auf die Dauer eines Jahres beschränkt und deshalb auch in Folge der Ablaufszeit der verschiedenen Verwandlungszustände an gewisse Jahreszeiten gebunden ist.

Gewöhnlich erscheint das vollkommene Insect nur einmal während eines Jahres zu bestimmter Zeit, die nicht mehr wechselt, als die Erscheinungszeit der Knospen und Blüthen; in andern Fällen giebt es aber mehrfache Generationen innerhalb eines und desselben Jahres. Regel für die große Mehrzahl ist, daß der Entwickelungscyklus für alle verschiedenen Verwandlungszustände sich während der Dauer eines einzigen Jahres abspinnt. Häufig aber findet man auch, daß ein mehrjähriger Cyklus zur Abspinnung dieser Verwandlungen gehört. Nehmen wir ein Beispiel an dem allbekannten Maikäfer. Das vollkommene Insect erscheint nur einmal im Jahre, je nach der Strenge des Winters und dem Auftreten des Frühjahres oft schon im April, gewöhnlich erst im Mai. Das Männchen lebt nur wenige Tage, das Weibchen etwa vierzehn Tage, bis es für seine Eier gesorgt hat. Da aber nicht alle Maikäfer zu gleicher Zeit auskriechen, so zieht sich die Flugzeit über sechs Wochen, ja manchmal über zwei Monate hinaus. Der Maikäfer entwickelt sich aber nicht innerhalb eines Jahres; er lebt mehrere Jahre hindurch als Engerling unter der Erde, so daß z. B. die Nachkommen der Maikäfer, welche im Mai 1861 schwärmen, erst im Mai 1864 als Maikäfer wieder auf der Oberfläche erscheinen. Es stellt sich also ein Entwickelungscyklus von wenigstens drei Jahren heraus, und wenn im Jahre 1861 ein bedeutendes Flugjahr sein sollte, so ist es wahrscheinlich, daß im Jahre 1864 ebenfalls große Maikäferschaaren erscheinen werden; während die dazwischen liegenden Jahre durch weit geringere Schwärme sich kennzeichnen würden.

Das vollkommene Insect allein trägt Flügel, mit denen es sich in die Lüfte erheben kann, ein oder zwei Paare, je nach der Organisation der Ordnung, der es angehört. Doch finden sich auch hier Ausnahmen. Es giebt Insecten, welche ihrer ganzen übrigen Organisation nach zu geflügelten Ordnungen gehören, aber dennoch ihr ganzes Leben hindurch vollkommen ungeflügelt bleiben. Die Bettwanzen gehören unzweifelhaft zu der Ordnung der mit vier Flügeln versehenen Wanzen, und doch erhalten sie niemals und unter keinen Umständen, in keiner Periode ihres Lebens Flügel; die stets ungeflügelt bleibenden Flöhe gehören nicht minder, allen Zügen ihrer Organisation zufolge, zu den zweiflügeligen Mücken.

Auch unter den Geschlechtern herrschen Verschiedenheiten hinsichtlich der Anwesenheit der Flügel. Das Männchen besitzt stets die ausgebildeteren Bewegungswerkzeuge: es flattert umher, um das Weibchen aufzusuchen, das gewöhnlich schon um deswillen weit schwerfälliger erscheint, weil sein Leib mit Eiern vollgepfropft ist. Häufig fehlen dem Weibchen sogar die Flügel ganz, sodaß es einzig auf seine Füße als Bewegungsorgan angewiesen ist, während das Männchen im Gegentheile mit stattlichen Flügeln die Lüfte durchschneiden kann. So ist das bekannte Johanniswürmchen das ungeflügelte Weibchen eines kleinen Käfers; so ist das Weibchen des Forstspanners genöthigt, mit langen Stelzenbeinen die Bäume zu erklimmen, auf deren Knospen es seine Eier ablegen soll, während das Männchen vier große Schmetterlingsflügel trägt, mit denen es an kalten Herbstabenden umherflattert.

Sehen wir von diesen Anomalien und Ausnahmen ab, so bieten die Flügel nach Zahl, Form und Bildung so wesentliche Verschiedenheiten dar, daß sie füglich als wesentliches Unterscheidungsmerkmal der einzelnen Gruppen verwendet werden können, ja sogar von dem Vater der heutigen Naturgeschichte, von Linné, einzig verwendet wurden.

Nicht minder wichtig erscheinen die Mundtheile, welche von Fabricius im Gegensatze zu Linné zur Eintheilung der Insecten benutzt wurden. Es ist mir unmöglich, auf die Anordnung derselben näher einzugehen, so sehr auch der Gegenstand zu gründlicher Besprechung reizt; denn es giebt kaum ein Object der vergleichenden Naturforschung, welches so sehr wie dieses einen glänzenden Beweis für den Scharfsinn und die Beobachtungsgabe der Forscher lieferte. Es giebt Insecten mit kauenden und solche mit saugenden Mundtheilen; die Larven aller Insecten besitzen nur kauende Mundtheile, und durch die feinsten Untersuchungen ist nachgewiesen worden, in welcher Weise die kauenden Theile sich modificiren mußten, um endlich einen Saugrüssel herzustellen. In der Weise aber, in welcher die Mundorgane bei den einzelnen Insecten umgewandelt sind, liefern sie die ausgiebigsten Charaktere für die Unterscheidung der einzelnen Gruppen, der Ordnungen, Familien und Gattungen.

Die dritte und vielleicht wesentlichste Verschiedenheit findet sich endlich in der Art und Weise, wie das Insect den Umlauf seines Lebens besteht und seine Verwandlungen durchmacht. Gestatten Sie mir, auch hierauf mit einigen Worten einzugehen und mich ganz an diejenigen Erscheinungen zu halten, die einem Jeden von uns wohlbekannt sind.

Der Schmetterling legt Eier, aus welchen kleine Räupchen oder Larven ausschlüpfen. Wir wissen Alle, daß diese wurmförmig sind, nur kleine, höchst unvollkommene Füße besitzen, aber eine bedeutende Gefräßigkeit entwickeln, in Folge deren ihr Körper in überraschender Schnelligkeit zunimmt. Die Haut, welche keine große Dehnbarkeit besitzt, wird ihnen im buchstäblichen Sinne des Wortes zu wiederholten Malen zu enge, sodaß sie abgesprengt und gewechselt wird. Nach jeder Häutung erscheint die Raupe größer und sie häutet sich so oft, bis sie endlich ihre definitive Größe erreicht hat. Außer den Anlagen sämmtlicher Organe findet sich nun in dem Raupenkörper eine bedeutende Menge von Bildungsstoff abgelagert, der während der folgenden Zeiten verwendet werden soll. Denn nur während dieses ersten Larvenzustandes wächst das Insect in Wahrheit; nur während dieses Zustandes sammelt es sämmtlichen Bildungsstoff, der zur Ausbildung der Bewegungsorgane, der Geschlechtswerkzeuge, kurz aller jener Organe verwendet werden soll, die später bei dem vollkommenen Insect sich vorfinden. Es ist ein sehr allgemein verbreiteter Irrthum, daß man glaubt, die vollkommenen Insecten wüchsen noch während dieses Zustandes; kleine Fliegen seien z. B. junge Fliegen, welche mit der Zeit größer würden, und ich habe mich selbst als Knabe vergebens abgemüht, kleine unscheinbare Arten gewisser Schmetterlinge, die mir aus der Puppe geschlüpft waren, durch reichliche Fütterung mit Honig größer

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