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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

dazu gehabt haben. War doch aber auch der Verwundete verschwiegen und verschlossen gewesen. Die Beiden mußten sich schon früher gekannt haben. Sie hatten es sorgfältig zu verbergen gesucht und gewußt, wenn die alte Frau bei ihnen war. Wenn sie sich aber allein glaubten, hatten sie es desto mehr verrathen. Die alte Frau hatte ihnen nie gezeigt, daß sie etwas gehört habe, aus Gutmüthigkeit nicht, aber auch nicht aus Neugierde. Schon in den ersten Nächten hatten sie leise mit einander geflüstert. Der Kranke hatte wie bittend zu seiner schönen, jungen Pflegerin gesprochen. Die Nonne hatte ihn nur zum Schweigen ermahnt, da das Sprechen ihn angreife, ihm schade. In den Nächten darauf hatte sie seinen Bitten diese Ermahnung allein nicht mehr entgegensetzen können. Sie hatte ihn dann durch andere Vorstellungen zu beruhigen gesucht. Durch welche, das hatte die Frau nicht einmal errathen können, wie auch der Gegenstand seiner Bitten ihr immer fremd geblieben war. Sie hatten Beide zu leise mit einander gesprochen. Nur das hatte sie mehrere Male gehört, daß er sie Ida genannt hatte, und daß sie, wenn er gar nicht nachgegeben, zuletzt in fast lautes Weinen ausgebrochen war. Wenn er dann ruhig geworden und eingeschlafen war, so war sie noch lange in dem Kämmerchen umhergegangen, und die alte Frau hatte hören können, wie sie geseufzt und geweint hatte.

Später, als er auf dem entschiedenen Wege der Genesung war, hatte die Frau dann auch Mancherlei gesehen. Er hatte sich so viel als möglich im Freien aufhalten müssen; die frische Luft des Waldes, die Sonnenwärme thaten ihm wohl, stärkten ihn. Er mußte nach und nach anfangen, den verwundeten Fuß wieder zu gebrauchen. Die Nonne hatte ihn in das Gärtchen neben dem Hause geführt; auf ihren Arm gestützt, war er unter den Bäumen umhergegangen. An ihrer Seite hatte er auf einer Bank vor dem Hause, auf einem Baumstumpf unter den Bäumen ausgeruht. Dann hatten sie auch oft geglaubt, daß sie allein seien, daß keines Menschen Auge sie sehen, kein Ohr ihre Worte vernehmen könne. Sie hatten auch wohl gar nicht daran gedacht, sie hatten sich vergessen. Denn wie ein Paar, das zusammengehörte, das schon lange zusammengehört hatte, waren sie der alten Frau vorgekommen, der schöne, junge und tapfere verwundete Officier, und die schöne, junge Nonne, die nicht mehr die Nonnenkleidung trug, der die alte Frau drüben überm Rhein, damit es diesseits nicht herauskomme, weltliche Kleidung hatte kaufen müssen, und deren wunderbare Schönheit nun erst recht hervorgetreten war. Aber auch daß sie nicht zusammengehören sollten, nicht zusammengehören durften, hatte sie leicht wahrnehmen können. Wenn sie sich vergaßen – und sie vergaßen sich so oft, wie sie allein beisammen waren – dann hatten sich auch schon ihre Blicke gefunden und sie konnten lange sich nicht wieder trennen; die Augen des jungen Mannes hatten zuerst die Augen des jungen Mädchens aufgesucht; sie hatte sie noch niedergeschlagen gehalten, traurig, schmerzlich; er hatte ihr heimliche Worte zugeflüstert; ihre blassen Wangen waren von einer feinen Röthe belebt worden; sie hatte mit sich gekämpft; dann hatte sie nicht mehr widerstehen können; ihre Augen hatten auch die seinigen gefunden; sie hatten sich in einander versenkt. Wie die Augen, hatten sich die Hände gefunden. Sie hatten beisammen gesessen, wie – „wie ein Paar Brautleute,“ sagte die alte Frau, „die sich über Alles in der Welt lieb haben.“

Aber plötzlich hatten sie sich von einander losgerissen, und da war sie, das junge Mädchen, die Nonne, die Erste gewesen. Erschrocken, heftig hatte sie ihre Hände aus den seinigen gerissen, ihre Wangen waren wieder tief blaß geworden, mit ihren Augen hatte sie vor sich hingestarrt, als wenn sie das Unglück vor sich sehe und den Blick nicht davon abwenden könne. Dann hatte er sie gebeten, gefleht. „Ida!“ hatte er gerufen, daß es der horchenden alten Frau in das Herz geschnitten hatte. Aber sie hatte sich von ihm abgewendet und das Gesicht mit ihren Händen bedeckt, und zwischen den Fingern hatte man ihre Thränen herunter fließen sehen, und wenn er dann immer weiter und weiter bittend und flehend zu ihr gesprochen, dann hatte sie zuletzt laut weinend ausrufen müssen: „Alexander, Alexander!“

Sie hatte ihn dann in das Haus zurückgeführt, in sein Kämmerchen, auf sein Lager, und sie selbst war in’s Freie zurückgekehrt und in den Wald gegangen, tief hinein, wohl um sich da, fern von aller Welt, so recht ausweinen zu können. Da war sie bis zum Abend geblieben, wenn der Kranke sich schon zur Nachtruhe begeben hatte. Schon nach den ersten Tagen, da der Verwundete nicht mehr ihrer unausgesetzten Pflege und Sorge bedurfte, hatte sie des Nachts mit der alten Frau deren Kammer getheilt. Lange hatte jener Zustand des Beisammenseins der Beiden nicht mehr dauern können. Das hatte die alte Frau, das hatten die Beiden selbst eingesehen. Aber wie sollte er enden? Sie hatten auch Alle sich davor gefürchtet. Das Ende sollte bald kommen.

Sie waren bis zur sinkenden Sonne zusammen im Walde gewesen. Als sie des Nachmittags ausgingen, hatte der Verwundete zum ersten Male ganz allein, ohne ihre Hülfe wieder gehen können. Bei ihrer Rückkehr hatte er sich doch wieder auf ihren Arm stützen müssen; sie waren wohl viel und weit gegangen. Aber sie hatten auch anders ausgesehen, als sonst. Ueber seinem Gesichte lag ein seliges Glück ausgebreitet, und sie hatte, wenn sie zu ihm aufblickte, ein inniges, stilles und beglückendes Lächeln für ihn gehabt.

„Gott sei Preis und Dank, die sind endlich doch noch einig geworden!“ hatte es laut in dem Herzen der alten Frau gerufen.

Sie hatte zwar, wenn das Mädchen das Gesicht von dem Verwundeten abgewendet hielt, in ihren Augen einen so sonderbar nachdenkenden, träumenden Blick bemerkt; aber sie hatte nicht darauf geachtet. Wenn man nach so langer Zeit und nach so manchem Zögern und Bedenken zuletzt einig wird, dann kommen noch so allerlei Gedanken hinterher; das muß aber sein. So hatte die alte Frau gedacht.

Die beiden jungen Leute hatten sich zur Nacht getrennt. Sie hatten sich herzlich die Hand gedrückt.

„Gute Nacht, Ida!“ hatte er geflüstert, leise, aber doch lauter, als sonst. Er hatte sich weniger Zwang angethan. Er hatte so unendlich glücklich ausgesehen.

„Gute Nacht,“ hatte sie zurückgeflüstert.

„Sage Alexander!“ hatte er gebeten.

„Gute Nacht, Alexander!“

„Aber, Ida, Du zitterst!“ ruft er verwundert.

„Nein, nein!“ Sie reißt ihre Hand aus der seinigen. Er will sie wieder ergreifen. Sie wehrt ihn zurück.

„Du bist krank, Du bedarfst der Ruhe.“

Er geht in seine Kammer.

„Bis morgen denn!“

„Bis morgen!“

Sie muß das Haus verlassen und setzt sich auf eine Bank vor der Thür. Dort saß sie lange, bis in die Nacht hinein. Die alte Frau horchte einige Male nach ihr hin. Sie hörte sie schwer seufzen. Gegen Mitternacht ging sie zu ihr.

„Wollen Sie nicht schlafen kommen, Mamsell? Es ist schon spät.“

Sie war still aufgestanden und der Frau in das Haus gefolgt. Die Frau wollte die Hausthür verschließen.

„Lassen Sie die Thür offen,“ bat sie.

„Wozu?“

„Sie werden es erfahren.“

Sie gingen zusammen in die Kammer, die sie mit der Frau theilte. Dort suchte sie die wenigen Sachen zusammen, die sie hatte. Es waren nur ein paar Kleidungsstücke, die sie gerade nicht trug.

„Was machen Sie da, Mamsell?“ fragte die Frau.

„Still, still, Frau Marthe!“

Sie war schon fertig.

„Gehen wir vor die Thür, Frau Marthe.“

Sie gingen hinaus vor das Haus.

„Kind, Sie wollen fort!“ rief die alte Frau.

„Ich muß fort.“

„Sie wollen auch den kranken Herrn verlassen?“

„Ich muß! Ich muß ihn –!“

„Er wird den Tod davon haben!“

Sie hatte draußen heftig weinen müssen. Aber nur einen Augenblick lang, dann hatte sie sich gefaßt.

„Nein,“ antwortete sie der Frau Marthe ruhig. „Er wird nicht sterben. Er hat ein starkes Herz, und sein Herz schlägt für die Ehre. Sagen Sie ihm das, Frau Marthe. Sagen Sie es ihm, ich ließe ihn bitten, sich sein braves und starkes Herz zu bewahren und an seine edle und reine Ehre zu denken. Leben Sie wohl, Frau Marthe. Haben Sie Dank, tausend Dank für Alles. Gott sei mit Ihnen, mit ihm.“

Sie riß sich auch von der alten Frau los und wollte fortstürzen.

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